Survival Kit für das Marketing im Jahr 2025

Wenn Experten die Zukun­ft vorher­sagen, geschieht immer wieder Fol­gen­des. Zunächst neigen sie dazu, die Anpas­sungs­fähigkeit der Kun­den sowie das Tem­po poli­tis­ch­er Reg­ulierun­gen zu überschätzen. Bei­des erfol­gt meist langsamer als erwartet. Wir mögen in der Lage sein, selb­st­fahrende Autos zu bauen, etwas ganz anderes ist es aber, diese Autos an den End­ver­brauch­er zu übergeben und sie damit am nor­malen Straßen­verkehr teil­nehmen zu lassen. Darüber hin­aus analysieren Experten meist rück­wirk­end. Wir nen­nen dies den „T‑Ford-Effekt“. 1907 wur­den in Europa und den USA mehr Pferde gezüchtet und verkauft als je zuvor. Zu dieser Zeit erwarteten Experten für 1908 ein stetiges Wach­s­tum der Nach­frage nach Pfer­den. Im Rück­blick wis­sen wir, dass der T‑Ford 1908 einge­führt wurde, was das gesamte Konzept des Indi­vid­u­alverkehrs für immer verän­derte.

Das ist der „T‑Ford-Effekt“ und Experten neigen dazu, zu extrapolieren was schon vorhan­den ist. 1907 hätte die kor­rek­te Analyse darin bestanden, einen wach­senden Markt für Indi­vid­u­alverkehr zu erwarten, nicht aber für Pferde. Ich werde nun diese bei­den Fehler selb­st bege­hen, wenn ich ver­suche, die Zukun­ft des Mar­ket­ings zu umreißen. Ich werde auf jeden Fall die Kun­den­reak­tion überschätzen und die Schlussfol­gerun­gen auf Basis der Real­ität ziehen, die wir heute leben. Hier­für entschuldige ich mich.

Vorhersage 1: Big Data + Künstliche Intelligenz = wahr

Ich sehe kein­er­lei Grund für die Annahme, dass Unternehmen ver­füg­bare Kun­den­dat­en weniger nutzen wer­den, um ihre Mar­ket­ing- und Kom­mu­nika­tion­sak­tiv­itäten zu opti­mieren. „Big Data“ war 2012 zwar das Has­sliebe-Schlag­wort, doch waren dies nur die beschei­de­nen Anfänge. Die Zukun­ft des Mar­ket­ings muss daher von Dat­en bes­timmt sein.

Sie sagen, das sei eine Bin­sen­weisheit? Nun, wen­den wir uns der KI (kün­stliche Intel­li­genz) zu, dann spie­len wir plöt­zlich in ein­er ganz anderen Liga. Stellen Sie sich vor, der dig­i­tale Kun­den­di­enst wird von Ihrer firmeneige­nen KI gelenkt. Mit jed­er Kun­den­in­ter­ak­tion – ob an Bild­schir­men im Laden, in sozialen Medi­en oder in ein­er Art Wiederkun­ft von Sec­ond Live – wird Ihre KI dazuler­nen und ihren eige­nen Quel­lkode anpassen, um Ihren Kun­den ein immer besseres Erleb­nis zu liefern. Ist das Sci­ence-Fic­tion? Nun, es gibt viele ange­se­hene Köpfe, unter ihnen Wis­senschaftler wie Stephen Hawk­ing und Ray Kurzweil, die sagen, dass die KI-„Singularität” schon sehr nahe ist.

2011 rief mich ein inter­na­tionales Unternehmen (dessen Namen ich nicht nen­nen möchte) an und wollte, dass ich für interne Zwecke einen Artikel schreibe. Sie arbeit­eten damals an ein­er Kun­den­di­enst-Soft­ware für Unternehmen mit Tele­fon­sup­port. Am meis­ten beein­druck­te mich, dass es, wenn man jeman­den über diese Soft­ware anrief, nicht offen­sichtlich war, dass man mit ein­er Mas­chine statt mit einem Men­schen sprach. Die Soft­ware erlernte mit jed­er men­schlichen Inter­ak­tion neue Fähigkeit­en zur Inter­pre­ta­tion von emo­tionalen Reak­tio­nen. Und das war 2011. Inzwis­chen haben wir 2015 und ich weiß nicht, wie weit dieses Unternehmen mit der Entwick­lung sein­er KI gekom­men ist. Aber seien Sie sich­er, andere Unternehmen arbeit­en hart an genau der gle­ichen Sache. Die erste Automa­tisierungswelle verän­derte die Real­ität der kör­per­lichen Arbeit im Tay­loris­mus, aber die zweite Automa­tisierungswelle auf Grund­lage der KI wird geistige Arbeit­er, inklu­sive Ver­mark­ter, betreffen.

Vorhersage 2: Hier kommt … diese eine Person

Clay Shirky schrieb 2008 das bahn­brechende zeit­geistige Werk „Here Comes Every­body“. Es fasst in Worte, dass die Gesellschaft sich der Tat­sache stellen muss, dass jet­zt alle eine Stimme und eine glob­ale Plat­tform für ihre Ideen haben. „Here Comes Every­body“ bedeutet wörtlich Hier kom­men alle. Und tat­säch­lich: Die Rev­o­lu­tion der sozialen Medi­en hat die alten Mod­elle der Massenkom­mu­nika­tion her­aus­ge­fordert und grund­sät­zlich alle, ins­beson­dere aber die tra­di­tionelle Indus­trie mit ihren „Zwis­chenin­stanzen“, verän­dert. Der File-Shar­ing-Dienst Nap­ster war nur der Vor­bote ein­er neuen Zukun­ft für die Musikin­dus­trie. Heute haben wir für High-End-Con­tent neue Dis­tri­b­u­tion­ssys­teme, wie Net­flix und Spotify.

Während des diesjähri­gen Adobe Sum­mit EMEA wurde mir bewusst, dass wir die Idee hin­ter „Hier kom­men alle“ überar­beit­en müssen, weil ja alle schon da waren und wieder weg sind. Heute geht es eher darum, die eine Per­son zu würdi­gen, die die Ini­tia­tive ergreift und Ihr Unternehmen auf­sucht. Dieses Sig­nal ist wohl oder übel alles, was Sie bekom­men wer­den und Sie kön­nen es sich nicht erlauben, es zu ignori­eren oder die eine Per­son mit einem min­der­w­er­ti­gen Erleb­nis abzus­peisen. Das ist kein brand­neuer Gedanke. Google beschrieb den neuen Moment der Kun­de­nentschei­dung als ZMOT (“zero moment of truth”, also den Nullpunkt der Wahrheit), als all die Mikro­mo­mente, die zu wichti­gen Sig­nalen beim Ankurbeln des Geschäfts wer­den. Im Wired Mag­a­zin beze­ich­nete Shay­na Hod­kin 2014 diesen Trend als “Inter­net of Me” (Mein Inter­net), in dem das Kun­den­er­leb­nis gle­ich­sam „per­son­al­isiert und trans­for­ma­tiv“ wer­den muss.

In diesem Jahr schrieb Aseem Chan­dra, Expe­ri­ence Man­ag­er bei Adobe, über die„Hyperpersonalisierung“ am Schnittpunkt von IoT („Inter­net of Things”, das Inter­net der Dinge) und IoM („Inter­net of Me”). Ich sel­ber denke nicht, dass Unternehmen diesen Trend als dig­i­tales Uni­ver­sum mit Mil­liar­den an “Ich”-Personalitäten visu­al­isieren soll­ten. Ich denke, wir soll­ten diesen Gedanken kom­plett bei­seite schieben und an die eine Per­son denken, die hier und jet­zt an unser Unternehmen her­antritt. Denn let­ztlich zählt nichts anderes. Daher bevorzuge ich es, diesen Trend als „Inter­net of One“ (Inter­net des Einen) zu beze­ich­nen. Das passt natür­lich per­fekt zur Big-Data-Rev­o­lu­tion und der nahen­den Explo­sion der KI im Mar­ket­ing und dem Cus­tomer Expe­ri­ence Man­age­ment. Ihre Liebling­sun­ternehmen wer­den Sie bald bess­er ken­nen als Sie sich selb­st. Das mag etwas gruselig anmuten, aber wahrschein­lich wer­den wir den Übergang erst bemerken, wenn wir bere­its mit­ten­drin sind. Oder wie Mor­pheus es in dem epis­chen Sci­ence-Fic­tion-Block­buster „Matrix“ aus­drückt: „Es hat schon angefangen“.

Vorhersage 3: Der Kunde schlägt zurück

Denken Sie ein­mal nach: Warum sollte ein Kunde in ein­er daten­fokussierten Mar­ket­ingzukun­ft seine per­sön­lichen Dat­en ein­fach so an ein geldgieriges Unternehmen ver­schenken? Gewiss kön­nen sie dann auf tolle und nüt­zliche Web­di­en­ste zugreifen, aber reicht das? Wer­den manche Unternehmen damit begin­nen, Ver­brauch­er für ihre Aufmerk­samkeit direkt zu bezahlen, anstatt einen Ver­mit­tler dazwis­chen­zuschal­ten? Bedenken Sie dabei, dass Unternehmen wie Google und Face­book fest in unser­er dig­i­tal­en Welt ver­ankert sind – aber ihre wer­be­basierten Geschäftsmod­elle sind nur tra­di­tionelle Einkom­men­squellen, die hüb­sch herg­erichtet wur­den, um mod­ern zu erscheinen.

Die Unternehmen, die unsere Mar­ket­ing­prozesse im sozialen Web gestört haben, wer­den sel­ber gestört wer­den. Sie haben vielle­icht rev­o­lu­tion­iert, wie wir miteinan­der kom­mu­nizieren, aber sie haben nicht rev­o­lu­tion­iert, wie Medi­enun­ternehmen ihr Geld ver­di­enen. Es erscheint daher logisch, dass wir die Verän­derun­gen der eigentlichen Einkom­mens­ba­sis durch neue Arten von Online-Umsatzquellen noch nicht erken­nen kön­nen.

Check-Box: Wie Sie sich auf die Zukun­ft des Mar­ket­ings vor­bere­it­en kön­nen

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