Ist der Wahlkampf 2017 in Deutschland wirklich digital?

Beflügelt von den US-Wahlen im let­zten Jahr ver­suchen sich auch in Deutsch­land die Parteien im Kampf um die Stim­men mit der ver­stärk­ten Nutzung von dig­i­tal­en Tools, Big-Data-Anwen­dun­gen und kün­stlich­er Intel­li­genz. Doch die Real­ität fällt eher beschei­den aus. Denn men­tale Unter­schiede, stren­gere Daten­schutzbes­tim­mungen und auch schlicht fehlen­des Know-how brem­sen hier deut­lich. Was sich übrigens auch in der eher zöger­lichen Entwick­lung in Rich­tung Dig­i­tal Gov­ern­ment wider­spiegelt, die im Ver­gle­ich zu Staat­en wie Est­land bei uns immer noch in den Kinder­schuhen steckt.

Tür‑zu‑Tür‑App ist nur ein For­mu­lar auf ein­er Website

Nehmen wir das Beispiel der Tür‑zu‑Tür‑App der SPD, über die Spiegel online kür­zlich berichtet hat. Ganz nach dem Vor­bild von Cam­paign­ing-Tools in Ameri­ka soll sie die Haus­be­suche der Wahlkämpfer opti­mieren. Anhand von konkreten Infor­ma­tio­nen über Einkom­men, let­zte Wahlentschei­dun­gen und Fam­i­lien­si­t­u­a­tion, die auf dem Smart­phone bere­it­gestellt wer­den, klin­geln die Aktivis­ten dort nicht mehr wahl­los an jed­er Tür. Son­dern nur dort, wo die soziode­mographis­chen Dat­en auch einen Erfolg der Überzeu­gungsanstren­gun­gen erwarten lassen. Das min­dert den Frust bei den Cam­paign­ern und macht ihren Ein­satz effizien­ter. So weit, so gut. Doch was ist dabei in Deutsch­land herausgekommen?

De fac­to aber ist diese App nur eine Web­site und diese Web­site nur ein Online-For­mu­lar. Der Wahlkämpfer trägt bis zu drei Infor­ma­tio­nen ein – über die sta­tis­tis­che Auswer­tung erhält dann der Wahlkreiskan­di­dat eine Ahnung davon, wie seine Gegend, ganz grob, tickt“, schreibt Spiegel Online und stellt zu Recht die Frage: „Ob man die vie­len jun­gen Neu­mit­glieder der SPD wirk­lich mit einem Online-For­mu­lar für den Haustür­wahlkampf begeis­tern kann?“ Ver­mut­lich eher nicht.

Automa­tis­che Per­son­al­isierung mit Hil­fe von Chatbots

Die CDU denkt unter­dessen über den Ein­satz von Chat­bots nach, die im Wahlkampf automa­tisch Anfra­gen von Bürg­ern beant­worten. Sie basieren auf Kün­stlich­er Intel­li­genz (KI) und sollen in Chat-Pro­gram­men oder sozialen Net­zw­erken Fra­gen ver­ste­hen und passende Antworten aus Textbausteinen geben. Auch hier kom­men die Vor­bilder aus den USA. So hat die NY Times zum Beispiel einen Soft­ware-Robot­er anlässlich des US-Wahlkampfs veröf­fentlicht, der automa­tisiert und auf die eige­nen Bedürfnisse der Leser abges­timmt, über neueste Entwick­lun­gen berichtete.

Das Beson­dere an einem solchen Chat­bot ist, dass er qua­si eigen­ständig kom­mu­niziert, sich den Präferen­zen und dem Ver­hal­ten seines Nutzers anpassen kann und dazu in der Lage ist, auf Befehle zu reagieren. An und für sich ein guter Ansatz, denn Per­son­al­isierung im Web erhöht die Rel­e­vanz für den Nutzer. Das empfehle ich ja auch in der eGov­ern­ment-Debat­te.

Doch lei­der wird eine solche Anwen­dung von Kün­stlich­er Intel­li­genz in der öffentlichen Diskus­sion von etwas ganz Anderem überschat­tet: Dem Ein­satz von Social­bots, mit deren Hil­fe die öffentliche Mei­n­ung manip­uliert wer­den soll. Nach Schätzun­gen kamen etwa im US-Wahlkampf rund 20 Prozent aller Tweets von solchen automa­tisierten Pro­gram­men, die sich als Men­schen aus Fleisch und Blut aus­geben. Eine Unter­suchung britis­ch­er Wis­senschaftler hat ergeben, dass Social­bots auch während der Debat­te über den Brex­it einge­set­zt wur­den, um Stim­mung für einen Aus­tritt Großbri­tan­niens aus der EU zu machen.

Alle Parteien außer der AfD haben bere­its erk­lärt, dass sie auf ihren Ein­satz im Bun­destagswahlkampf 2017 verzicht­en wollen. Denn da es zunehmend schw­er­er wird, die Social­bots aus­find­ig zu machen, gefährden sie die generelle Glaub­würdigkeit von Diskus­sio­nen und Mel­dun­gen in den sozialen Net­zw­erken. Das gilt auch in Frankre­ich, wo der Präsi­dentschaftswahlkampf am 27. April inzwis­chen in der heißen Phase ange­langt ist. Das Paris­er Start­up Liegey Muller Pons (LMP) geht deshalb einen anderen Weg und verbindet dazu Date­n­analyse, Micro­tar­get­ing und Pro­fil­ing mit dem tra­di­tionellen Haustür­wahlkampf. Ihr Mot­to: Men­schen lassen sich am besten von Men­schen überzeu­gen.

Franzö­sis­ches Start­up will Wahlkampf 4.0 in Europa etablieren

Dass dieses Konzept funk­tion­ieren kann, zeigt die Kam­pagne für den Kan­di­dat­en Emmanuel Macron, der als Außen­seit­er bin­nen Monat­en Hun­dert­tausende Men­schen mobil­isierte – ganz ohne Parteiap­pa­rat. Die LMP-Grün­der, die ihr Unternehmen als „erstes Dig­i­tal-Start-up für Wahlstrate­gie in Europa“ ver­ste­hen, haben ihr Handw­erk eben­falls in den USA gel­ernt und wollen den Poli­tik­ern das richtige Werkzeug für den Sieg liefern. Beispiel­sweise opti­male Routen für das müh­same Klinken­putzen oder das Auf­stellen von Infos­tän­den.

Dazu kom­biniert die LMP-Soft­ware die Ergeb­nisse aller Wahlen seit 2007 mit soziode­mografis­chen Dat­en wie Alter oder Einkom­men der Wäh­ler­schaft in bes­timmten Gegen­den. Entschei­dend sind die Anteile von Wech­sel­wäh­lern und Nichtwäh­lern, um einzelne Straßen­züge für den Wahlkampf zu pri­or­isieren. Schließlich sollen diejeni­gen erre­icht wer­den, bei denen Sym­pa­thie für die eigene Partei ver­mutet wird, die aber nicht zu den Stammwäh­lern gehören.

Die Kom­bi­na­tion aus Dat­en, der Tech­nolo­gie und den Men­schen ist das, was einen guten Wahlkampf ausze­ich­net“, sagte LMP-CEO Guil­laume Liegey kür­zlich im Inter­view mit Poli­tik dig­i­tal. Der Ein­satz der Big Data-Analy­sen lohne vor allem bei Wahlen, wo die Kan­di­dat­en um die fünf Prozent auseinan­der­liegen. denn mehr als drei bis fünf Prozent zusät­zliche Stim­men – so die Erfahrung aus 340 Kam­pag­nen in 14 europäis­chen Län­dern – seien damit nicht zu holen.

LMP plant mit­tler­weile die Eröff­nung eines Berlin­er Büros, um eventuell auch noch im Bun­destagswahlkampf mit­mis­chen zu kön­nen. Für die Grü­nen in Bay­ern hat das Start­up schon ein­mal gear­beit­et: Allerd­ings nur mit mäßigem Erfolg. Zwar wur­den 85 Prozent der Wahlkämpfer an den Türen, an denen sie gek­lin­gelt hat­ten, von den Bewohn­ern laut anschließen­der Auswer­tung her­zlich emp­fan­gen. Ihr Kreuz macht­en sie aber wohl woan­ders. Trotz­dem kann ich mich dem Appell von Buchau­tor und Social-Media-Experte Philipp Steuer nur anschließen: „Liebe deutsche Poli­tik­er, ganz egal auf Regional‑, Lan­des- oder Bun­de­sebene – stellt doch lieber 500 Plakate weniger auf und steckt ein biss­chen Arbeit in eure Dig­i­tal­strate­gie. Danke.“