Deutschlands Hunger auf Lebensmittel aus dem Online-Shop wächst

Während andernorts bereits das wöchentliche Obst und Gemüse im Internet geordert wird, waren die Deutschen bislang eher zögerlich mit dem Lebensmitteleinkauf online. Das ändert sich gerade.

Deutschlands Hunger auf Lebensmittel aus dem Online-Shop wächst

Im Vereinigten Königreich hat sich der Online-Lebensmittelhandel in den letzten 20 Jahren gut etabliert. In Deutschland sieht das völlig anders aus. Der Umsatz des britischen Online-Handels mit Lebensmitteln belief sich im Jahr 2012 auf 5,5 Milliarden Euro. In Deutschland betrugen die Einnahmen aus Lebensmittelverkäufen im Internet hingegen gerade einmal 540 Millionen Euro. Ein Jahr später hatte sich nicht viel verändert: Im Vereinigten Königreich lag der Marktanteil des Segments bei 5 Prozent, in Deutschland bei mageren 0,3 Prozent. Die großen britischen Supermärkte haben inzwischen gut etablierte Online-Präsenzen aufgebaut. Auf dem deutschen Markt überwiegen Nischenhändler und Newcomer, die reine Online-Anbieter sind. Sie haben zwar keine frischen Lebensmittel im Sortiment, aber eine breite Palette anderer Produkte. Was fehlt, sind die Zugkraft und Unterstützung durch bekannte Marken. Traditionelle Handelsketten und Supermärkte wagen sich eher zaghaft in den Online-Handel.

Hindernisse für den Lebensmittelhandel online

Obgleich deutsche Kunden das Online-Shopping mit all seinen Unterschieden zum Einkaufen im Laden seit den späten 1990er Jahren gut angenommen haben, sind sie sehr zögerlich, was den wöchentlichen Lebensmitteleinkauf im Internet angeht. In zahlreichen Studien ist man zu dem Schluss gekommen, dass diese zurückhaltende Akzeptanz hauptsächlich kulturelle Ursachen hat. Deutsche sind im Allgemeinen sehr anspruchsvolle Käufer und in puncto Lebensmittel sehr vorsichtig. Gesunde Ernährung, der Kauf von Produkten aus der Region und das Wissen um die Herstellungsweise der Waren (Fair-Trade, nachhaltig, Ökowaren) haben höchste Priorität. Die gesunde Ernährung basiert auf der Zubereitung der Speisen daheim – und das aus hochwertigen, frischen Zutaten.

Wenn deutsche Verbraucher frische Lebensmittel einkaufen, wollen sie deren Frische und Qualität prüfen können. Das Anfassen, Riechen und sogar Kosten der Produkte ist Teil dieser Qualitätsprüfung und gehört einfach zum Einkaufserlebnis dazu. Beim Online-Kauf sind solche Qualitätsproben nicht möglich. Ohne überzeugende Beweise vertrauen die Verbraucher den Angeboten für Online-Frischeprodukte nicht und gehen lieber weiterhin zum Gemüseladen um die Ecke.

Zusätzliche Hindernisse für eine breitere Akzeptanz sind die geringe Produktauswahl, höhere Online-Preise und Liefergebühren. Aufgrund der Bedenken der Verbraucher hinsichtlich der Frische haben die meisten Online-Händler nur bereits abgepackte, verarbeitete oder konservierte Produkte im Angebot. Weil aber derVorrat der Händler begrenzt und die Auswahl im Internet gering ist, finden die Kunden nicht alle gewünschten Artikel auf einer einzigen Website. Die fehlenden frischen Lebensmittel müssen sie dann bei einem lokalen Anbieter bestellen, was mit mehr Zeitaufwand und zusätzlichen Lieferkosten verbunden ist und den Online-Einkauf zu aufwendig macht. Alternativ finden sie nämlich alle benötigten frischen Produkte im örtlichen Supermarkt. Weil sich dieser im Durchschnitt nur sieben Minuten entfernt befindet, kaufen Deutsche häufig gleich nach der Arbeit auf dem Heimweg im Laden ein. So können sie sicher sein, dass Preis, Auswahl und natürlich auch Qualität und Frische stimmen.

Was Kunden wollen

A.T.Kearney untersuchte 2013 in einer Studie (Online-Food-Retailing: Ein Markt im Aufschwung), wie man die Akzeptanz des Online-Lebensmittelhandels im großen Stil verbessern könnte. 80 Prozent der Kunden wünschen sich demnach, die Produktqualität bei der Lieferung an der Haustür überprüfen und Artikel ablehnen zu können, wenn sie den Erwartungen nicht gerecht werden. Weitere 59 Prozent der Befragten erklärten, dass der Online-Einkauf für sie ansprechender wäre, wenn sie mehr Informationen bekämen. Wenn außerdem garantiert werden könnte, dass ein Produkt am gleichen Tag oder am Vortag verpackt wurde, wäre das ein weiterer wichtiger Anreiz für den Lebensmitteleinkauf im Internet. Darüber hinaus wünschten sich die Befragten Qualitätsbewertungen und Kritikoptionen wie bei anderen Online-Produkten üblich. 72 Prozent der Umfrageteilnehmer äußerten Qualitätsbedenken. Sie wollen dazu in der Lage sein, bei ihrem vertrauten Händler vor Ort auch online einzukaufen.

Die geringe Akzeptanz des Online-Lebensmittelhandels führt laut Studie in eine Zwickmühle: Händler zögern mit der Investition in Online-Angebote, weil die Nachfrage zu gering erscheint; Kunden wiederum bevorzugen traditionelle Einkaufsmöglichkeiten, weil das Online-Angebot nicht ihren Bedürfnissen entspricht. Deutsche Händler brechen nun aber zunehmend aus dem Teufelskreis aus und gehen online. Dadurch haben sich Angebotsvielfalt und Auswahl für die Verbraucher verbessert und der Online-Lebensmittelhandel kommt endlich in Schwung.

Veränderte Erwartungshaltung

Auch die Einstellung und Erwartung der Verbraucher ändert sich. Durch den Online-Einkauf von Lebensmitteln bei Nischenanbietern entwickeln deutsche Kunden nun langsam mehr Vertrauen in die Qualität von Online-Produkten und in das Online-Shopping-Erlebnis selbst. Laut Ernst & Young (Cross Channel – Revolution im Lebensmittelhandel) erwarteten 57 Prozent der Befragten online eine genauso hohe Produktqualität wie im Laden. Für die Zukunft gehen sie davon aus, dass sich Angebotsvielfalt und Preise weiter verbessern werden. Das wachsende Interesse am Online-Lebensmitteleinkauf wird auch von demografischen Veränderungen beeinflusst: Hauptanliegen der alternden Bevölkerung sind Komfort und Unkompliziertheit. Die Generation der Digital Natives wiederum erwartet, dass Produkte und Dienstleistungen rund um die Uhr verfügbar sind.

Während sich deutsche Verbraucher allmählich an den Lebensmitteleinkauf im Internet gewöhnen, hinken die großen Handelsketten hinterher und können den sich wandelnden Bedarf noch lange nicht abdecken. Die Herausforderungen liegen dabei im IT-Bereich und in der allgemeinen Logistik. Dort eröffnen sich Möglichkeiten für Anbieter von innovativen Liefer- und Kühllösungen, aber auch für Start-ups im Online-Lebensmittelhandel mit einem soliden digitalen Geschäftsmodell.

Interessante Anbieter derzeit sind:

Die Aussichten für den Online-Lebensmittelhandel in Deutschland sind vielversprechend. Man rechnet damit, dass die E-Food-Erlöse bis 2020 einen Anteil von 30 Prozent des Gesamtumsatzes ausmachen werden. Auf dem gesättigten deutschen Lebensmittelmarkt kann das allerdings eher als Kanalwechsel und nicht als Marktwachstum bezeichnet werden, weil die Verbraucher ihr Einkaufsverhalten lediglich ändern. Laut Schätzungen von Ernst & Young wird der Online-Lebensmittelhandel im Jahr 2020 einen Wert von 60 Milliarden Euro erreicht haben. Das heißt 60 Milliarden Euro mehr für diejenigen, die sich dem Bedarfswandel beim Verbraucher am schnellsten und am besten anpassen.

Der Artikel erschien im März 2015 auf CMO.com.