Für Felix Wenger sind Zahlen spannender als der persönliche Geschmack
Für eine internationale Bank, die strengen Regulierungen unterliegt, ist Marketing eine technische wie inhaltliche Herausforderung. Felix Wenger, ehemaliger MD Communication & Branding bei der UBS, kommt es daher auf die Datenlage an.
Felix Wenger war Managing Director Communication & Branding bei der Schweizer Bank UBS und für alle Shared Services in den Bereichen Marketing und Kommunikation verantwortlich, einschließlich digitale Kanäle.
Die UBS ist in 54 Ländern vertreten und organisatorisch in fünf Geschäftsbereiche gegliedert. Das Corporate Center umfasst alle konzernbezogenen Sachbereiche. Zu den vier übrigen Geschäftsbereichen gehören Wealth Management, Investment Bank, Global Asset Management und ein Retail-Franchise in der Schweiz.
Im Interview mit CMO.com fragten wir Felix Wenger zunächst, wie die Marketingkommunikation zwischen dem Corporate Centre und den anderen Unternehmensbereichen abläuft.
Wenger: Die Shared Services und Sachbereiche, die den ganzen Konzern betreffen, fallen in den Verantwortungsbereich des Corporate Center. Die eigentlichen Marketingabteilungen befinden sich in den jeweilige Geschäftsbereichen.
Ich bin für die digitalen Kanäle der Bank verantwortlich, zu denen auch ubs.com, die Websites in 54 Ländern und das Intranet gehören. Außerdem steuere ich Social Media, also die Governance und Zuständigkeit der Social-Media-Kanäle. Und ich kümmere mich um Direktmarketing, Print- und Videoproduktion.
Bei etwa 70 Prozent meiner Arbeit habe ich direkten Kundenkontakt und bei 30 Prozent kommuniziere ich direkt mit Aktionären, Investoren oder Arbeitnehmern. Zusätzlich trage ich die Verantwortung für zirka 60 marketing- oder kommunikationsbezogene IT-Plattformen – ich bin also quasi das Zentrum der Geschäftstechnologie.
Allerdings produziere ich keine Inhalte. Der meiste Content wird mir von Medienpartnern, den Mitarbeitern der Investor Relations oder von den Marketingabteilungen und ihren Agenturen geliefert. Aber ich erstelle und pflege die digitalen und die Offline-Assets. Damit bin ich sozusagen der Maschinenraum des Schiffs.
CMO.com: Wie sieht die Beziehung zwischen Ihnen und den Marketern in den anderen Geschäftsbereichen aus?
Wenger: Da gibt es zwei Aspekte. Einerseits bin ich für sie ein Serviceanbieter. Die Marketer wenden sich an mich, wenn sie eine Kampagne starten möchten. Ich berate sie hinsichtlich der möglichen Tools und, wenn wir uns einig werden, setzen wir das Ganze in ihrem Namen um. Andererseits bin ich für Governance und Compliance der relevanten Kanäle der Bank verantwortlich.
Es gibt zwei Dinge, mit denen Marketer heutzutage ein Problem haben, insbesondere wenn sie für eine Bank arbeiten. Erstens geht es da um Investitionen. Die meisten Ausgaben einer Marketingabteilung haben mit den Kampagnen zu tun. Für Investitionen in die IT-Infrastruktur zur besseren Informationsverbreitung fehlt den Geschäftsbereichen einfach das nötige Kleingeld.
Zweitens ist da das Problem der Konformität und Datenintegrität für alle Marketingsysteme. Kein Marketer schafft es, ein System so einzurichten, dass es absolut konform funktioniert. Bei der UBS dauert es sieben bis neun Monate, um ein brandneues IT-System zu installieren und seine Konformität zu gewährleisten.
Die Marketer wissen also, dass es für sie viel einfacher ist, mein System zu benutzen. Und sie können sicher sein, dass nicht die IT-Sicherheit plötzlich auftaucht und ihnen sagt, dass sie ihre Kampagne stoppen müssen, weil sie Datenschutzauflagen oder internationale Richtlinien verletzt haben.
CMO.com: Wer macht sich darüber Gedanken, wie es bei der Bank in puncto Digital weitergehen soll?
Wenger: Da müssen wir zwischen Kunden-Transaktionen und Interaktion mit den Kunden unterscheiden.
Online-Banking ist ein enorm wichtiges Thema. Für Innovationen in diesem Bereich sind der CTO und der IT-Chef verantwortlich. Sie sichern die digitale Zukunft des transaktionsbezogenen Zweigs der Bank.
Digitale Innovationen im Marketing und was die Interaktion angeht werden von mir und meinen Marketingkollegen in den Geschäftsbereichen vorangetrieben. Normalerweise haben sie die Ideen und ich mache ihnen einen Strich durch die Rechnung, denn ich habe zwei Probleme: Das eine ist meist Google oder Apple, das andere nenne ich immer einfach „das Luxusding“.
Meine Marketingleute zeigen mir dann nämlich eine bewährte Praxis aus dem Handel und wollen das Konzept genau so auch bei der UBS umsetzen. Ziemlich oft klafft dabei aber eine Lücke zwischen dem, was die Kunden gerne hätten und dem, was die Bank gerne anbieten würde. Außerdem müssen wir noch die Vorgaben der Regulierungsbehörde und die Wünsche des Verbraucherschutzes beachten. Meine Aufgabe ist es dann, diese Lücke so gut wie möglich zu schließen.
CMO.com: Wie arbeiten Sie effektiv in mehreren Märkten, noch dazu in einem so streng reglementierten Umfeld? Und wie lässt sich der Austausch bewährter Praktiken marktübergreifend umsetzen, um zu gewährleisten, dass die Customer Experience bei der UBS so einheitlich wie möglich ist?
Wenger: Wir könnten einfach eine Vorschrift nach der anderen festlegen. Das wäre ein einfacher Ansatz und jeder wüsste, was er darf und was nicht. Leider würde es zu keinem Ergebnis führen.
Also arbeiten wir in fünf bis sechs regionalen Clustern. Alles, was nicht das Kerngeschäft betrifft, ist in diesen Clustern ziemlich gut abgestimmt. Die Personalbeschaffung funktioniert zum Beispiel reibungslos, weil sie eine solide Basis hat.
Medienaktivitäten, Public Relations und das Sponsoring sind genauso gut aufgestellt und ganz allgemein betrachtet auch die Werbung. Im Bereich Produktmarketing müssen wir etwas vorsichtiger sein, haben aber noch genügend Spielraum.
Richtig kompliziert wird es bei der Interaktion mit Kunden und potenziellen Neukunden, da müssen wir uns jedes Land einzeln vornehmen. Aus Erfahrung wissen wir, dass hierbei weniger die Akquise im Mittelpunkt steht, sondern mehr die Frage, was wir anbieten müssen, um auf der sicheren Seite zu sein.
Lernen-durch-Ausprobieren wäre da ein fataler Fehler, was besonders fürs Marketing ziemlich ungünstig ist. Wir müssen sehr konservativ vorgehen. Trotzdem sind unsere Erfahrungen in den verschiedenen Regionen sehr einheitlich. Und wir können uns noch verbessern. Es ist einfach, sich zu beklagen, dass dies oder jenes von den Regulierungsbehörden untersagt ist. Wir haben trotzdem immer noch genug Spielraum, um wirklich etwas auf die Beine zu stellen.
CMO.com: Wie wird sich Digital Ihrer Meinung nach bei Ihnen entwickeln? Welche Dinge sind in den Bereichen Mobile und Social Media gerade besonders interessant für Sie?
Wenger: Wir haben gelernt, dass sich unsere Kundschaft eine durchgängige Customer Journey auf verschiedenen Geräten und Kanälen wünscht.
Besonders den Bereich Wealth Management haben wir genauer untersucht. Die Vision der Kunden sieht ungefähr so aus: ‚Wenn ich morgens etwas auf dem iPad erledige, möchte ich unterwegs auf meinem iPhone genau an der Stelle weitermachen und im Büro die selben Informationen auf dem Computer ansehen können. Und wenn ich dann nach der Arbeit in Ihre Bank komme, sollte Ihr Kundendienst genau da ansetzen, wo ich zu Hause aufgehört habe.‘
Uns wurde klar, dass die Online-Kanäle der Bank früher ziemlich statische Informationsquellen waren. Im Laufe der letzten drei Jahre haben sich diese Kanäle in den Augen der Kunden und Kundenberater immer mehr zu Conversion Points entwickelt. Das gilt vielleicht nicht so sehr für den letztendlichen Kauf eines Produkts, denn von einer Bank kauft man eher selten etwas online. Doch alle Conversions vor oder nach einem solchem Kauf finden auf Online-Kanälen statt. Die Kunden möchten heutzutage für alle Conversions jeden beliebigen Kanal nutzen können.
Das ist eine operative, logistische und wirtschaftliche Aufgabe, die ich lösen muss. Aus diesem Grund haben wir auch kräftig in Systeme und skalierbare Betriebsmodelle investiert. Denn Multi-Channel heißt für uns, dass wir mehr Geld in mehr Kanäle stecken müssen, um eine unveränderte Anzahl an Touchpoints mit dem Kunden zu behalten.
CMO.com: Ist Mobile in Ihrer Customer Journey allgegenwärtig geworden oder spielt es für bestimmte Aufgaben eine besondere Rolle?
Wenger: Diese Frage können wir noch nicht ganz beantworten. Klar ist, dass die Kunden erwarten, Transaktionen uneingeschränkt auf Mobilgeräten ausführen zu können. Wir verzeichnen monatlich knapp zehn Mal so viele Logins pro Kunde wie noch vor fünf Jahren, und das alles über Mobilgeräte. Informationen über die Finanzlage sollen heute jederzeit auch von unterwegs aus verfügbar sein.
Unser zweiter Schwerpunkt in Sachen Mobilität ist der Kontakt. Das können Anrufe, Chats, synchrone oder asynchrone Gespräche sein – die Möglichkeit, Mobilgeräte für die Kommunikation nutzen zu können, ist für uns enorm wichtig.
CMO.com: Wie beeinflussen diese Veränderungen die Art der Mitarbeiter, die Sie in Ihr Team holen?
Wenger: Sehr stark. Ich versuche mit viel Aufwand eher Marketingingenieure als Kreativdirektoren zu finden. Ein Marketingprofi muss die Verantwortung für Content, User Journey und die verbundene Infrastruktur übernehmen können. Er oder sie muss wirklich verstehen, was die Bounce Rate beeinflusst und wie Interaktionen zustande kommen. Ich glaube, es ist möglich, weniger an externe Anbieter auszulagern.
Unsere Mitarbeiter sollen nicht wissen, wie die Plattform gesteuert wird, sie müssen nur wissen, womit wir im Markt erfolgreich sein können.
Das Marketing wird immer inhaltslastiger. Vor fünf Jahren noch brauchte man für eine Werbekampagne im Wealth Management einfach nur ein schönes Segelboot, ein sympathisches männliches Model mit grauen Haaren und das Wort „Vermögen“. Und schon war die Kampagne fertig.
Heute sieht das anders aus. Aber diesen Lernprozess kann man nicht delegieren. Alle schreien nach A/B-Tests oder multivariaten Verfahren, aber die meisten Leute in den großen Konzernen und Finanzinstituten haben keine Ahnung, was B sein könnte, wenn sie A haben.
Und genau dieser Faktor entscheidet über Erfolg und Misserfolg. Diese Aufgabe kannst du nicht auslagern, denn sie ist der Knackpunkt deiner Arbeit.
Marketingexperten müssen endlich den Analysen mehr vertrauen als ihrem persönlichen Geschmack oder dem der Kollegen, die sie beraten. Ich weiß, das hört sich ziemlich negativ an, aber ich bin wirklich der Meinung, dass die Leute ihre Einstellung ändern müssen. Anstatt sich für ihre Werbekampagne auf irgend so ein Luxusding oder ein Model zu konzentrieren, müssten sie Daten viel spannender finden.
Das Interview erschien auf Englisch im Juni 2015 auf CMO.com. Felix Enger ist im gleichen Jahr zu Raiffeisen Schweiz gewechselt.