Oliver von Wersch über das „digitale Verlagshaus“ innerhalb von Gruner + Jahr
Gruner + Jahr hat das Marketing für digitale Produkte eng mit dem für physische verzahnt. Der frühere Chef der G+J Digital Products, Oliver von Wersch, erklärt welche Vorteile das hat.
Oliver von Wersch war bis Anfang dieses Jahres Geschäftsführer bei G+J Digital Products, dem digitalen Zweig des Verlags Gruner + Jahr, der zu den größten Europas gehört. Gruner + Jahr veröffentlicht knapp 300 Magazine und Zeitungen in 22 Ländern. Zu den wichtigsten Titeln gehören das wöchentlich erscheinende Nachrichtenmagazin Stern und Deutschlands größte Frauenzeitschrift Brigitte.
Von Wersch kümmert sich bei G+J Digital Products um alle Aspekte der digitalen Produkte des Unternehmens, auch ums Marketing. Der 120 Mitarbeiter starke Firmenzweig wurde 2012 im Zuge der Digitalisierung von Gruner + Jahr gegründet und hat seinen Sitz in Hamburg. G+J Digital Products verantwortet alle Aktivitäten, die für die Erstellung und Pflege digitaler Inhalte sowie deren Verkauf an werbetreibende Kunden erforderlich sind. Von Wersch beschreibt G+J Digital Products als „das digitale Verlagshaus innerhalb von Gruner + Jahr“.
CMO.com: Wie viel Marketing fällt in Ihren Zuständigkeitsbereich?
Von Wersch: Wir tragen die Verantwortung für die digitalen Aspekte, Websites, Apps, E-Magazine und Mobile-Angebote der fest etablierten Magazin-Marken, wie Stern, Brigitte, Gala und GEO. Für all diese Marken haben wir ein digitales Marketingbudget, mit dem wir zweigleisig fahren. Einerseits wird es eingesetzt, um die Reichweite zu vergrößern. Wir investieren dafür zum Beispiel in Facebook, um die Click-Through-Rate für unsere Websites zu erhöhen, und in mobile Kanäle, um Downloads auf Cost-per-Install-Basis zu bewerben.
Auf der anderen Seite stecken wir einen Teil des Budgets in Branding-Kampagnen in unseren eigenen und externen Medien. Wenn wir ein neues digitales Angebot vorstellen, gehen wir ins Fernsehen, um das Publikum darauf aufmerksam zu machen und eine neue Marke zu etablieren.
CMO.com: Wie lässt sich das mit dem Marketing für Offline-Produkte vereinbaren?
Von Wersch: Die Hüterin der Marken ist unsere zentrale Marketingabteilung. Dort werden Branding-Kampagnen für alle Kanäle erstellt, macht man sich über die Neuvorstellung von Marken Gedanken und informiert die Marketing- und Kreativagenturen, mit denen wir zusammenarbeiten. Print- und Online-Medien und alle anderen relevanten Kanäle sind hier einbezogen.
Einige unserer Marketingkampagnen sind aber auch nur digital. Wenn wir zum Beispiel neue Apps einführen oder einen neuen Service für Mobilgeräte vorstellen, läuft die Kommunikation wahrscheinlich hauptsächlich über digitale Kanäle und nicht übers Fernsehen oder andere Wege. Aus früheren Kampagnen haben wir gelernt, dass das Publikum aufmerksamer ist, wenn man digitale Angebote in speziell konzipierten digitalen Kampagnen bewirbt.
CMO.com: Sie trennen also digitales Marketing für digitale Produkte vom digitalen Marketing für Offline-Produkte?
Von Wersch: Nein, das geschieht alles in einer Abteilung. Aber andererseits gibt es digitale Kampagnen, die technisches Spezialwissen und Expertise erfordern, um bestimmte Zielgruppen zu erreichen, zum Beispiel auf Facebook. Wenn wir eine Social-Media-Kampagne starten, arbeiten wir mit Digitalexperten und Produktmarketingprofis. Denn wir brauchen einen Digitaleditor, der bestimmte Headlines schreibt oder bestimmte Artikel veröffentlicht, und jemanden vom Produktmarketing, der die richtigen Informationen in die Marketingkanäle leitet.
CMO.com: Wie entwickelt oder verändert sich dieses Modell Ihrer Ansicht nach?
Von Wersch: Vor über einem Jahr haben wir die Marketingaktivitäten zentralisiert, um die Gatekeeper der Marken an einem Ort zusammenzubringen. Vorher wurde sehr dezentral über verschiedene Verlagsgruppen gearbeitet. Andererseits sind die Digitalexperten für die auf Performance ausgelegten Kampagnen in den digitalen Kanälen verantwortlich. Wichtig ist dabei eine gut vernetzte Kommunikation. Unser jetziges System ist zwar schon ziemlich gut, aber wir optimieren noch.
CMO.com: Sind Sie der Meinung, dass digitale Marketer auch mithelfen sollten, dass Digital in der Marketingabteilung allgegenwärtig wird? Oder sind Sie zufrieden mit der Aufteilung, die Sie beschrieben haben?
Von Wersch: Von der redaktionellen Seite her gesehen ist es für einen Print-Redakteur sicherlich unglaublich schwer, plötzlich in allen Kanälen zu arbeiten. Das ist eine komplexe Sache, denn unsere Mitarbeiter sind für diesen einen Kanal geschult. Ihr Fokus liegt auf der Verbreitung von klar abgegrenzten Inhalten mit regelmäßigen Veröffentlichungsterminen und einem meist eindeutigen Produktversprechen. In der digitalen Welt muss eine Marke in allen Kanälen verbreitet werden, in denen Faktoren, Zielpublikum und Benutzersituation ständig variieren.
Ich glaube nicht, dass man ein ganzes Unternehmen und jeden Mitarbeiter darin zu einem Allrounder machen kann, der vollkommen unabhängig vom Kanal funktioniert. Man muss mithilfe von Allroundern und Experten ein gesundes Mittelmaß für das Unternehmen finden.
Dieses Konzept gilt ganz besonders im Marketingbereich. Die Abteilung muss die Markenarchitektur berücksichtigen und erkennen, wie diese sich verändert. Und ihr muss jeder einzelne Aspekt einer Marke in allen Kanälen bewusst sein, in denen unsere Benutzer unterwegs sind. Andererseits braucht man auch Fachleute, die wissen, wie die unterschiedlichen Kanäle funktionieren, wie man Reichweite erzielt und wie man in den verschiedenen digitalen Kanälen, aber auch in den anderen verwendeten Kanälen, die Zielgruppen anspricht. Das Konzept muss ausgewogen sein.
CMO.com: Wie wird sich das digitale Marketing bei Ihnen entwickeln?
Von Wersch: Es wird immer wichtiger werden. Unsere Marketingausgaben in den digitalen Kanälen steigen jährlich.
Wenn Sie zusätzlich mehr neue und jüngere Leser ansprechen möchten, die sich weniger als das ältere Publikum in den Print-Medien bewegen, müssen Sie in den digitalen Kanälen immer aktiver werden. Das beste Beispiel: Vor zwei Jahren noch hatten wir null Marketingausgaben für Facebook und andere Social-Media-Kanäle. Ein Jahr später waren die Kosten erheblich gestiegen, im letzten Jahr dann noch mehr und dieses Jahr werden sie auch wieder höher liegen.
Hinzu kommt noch, dass es innerhalb der digitalen Kanäle einen massiven Wandel von Desktop bzw. klassisch digitaler Nutzung zu Mobile gibt. In Deutschland gibt es 50 Millionen Smartphone-Besitzer, und die Nutzung von Mobilgeräten in unseren Zielgruppen hat extrem zugenommen. Einige unserer Marken werden zu mehr als 50 Prozent auf Mobilgeräten konsumiert. Die Veränderungen im Marketing müssen sich im Grunde daran orientieren.
CMO.com: Der Kundendienst im Mobilbereich funktioniert außerordentlich gut, aber irgendwie hat man das Gefühl, dass die Rolle von Mobile in der Customer Journey noch nicht ganz klar definiert ist. Stimmen Sie dem zu?
Von Wersch: Grundlegend stimme ich dieser Beobachtung zu, denn durch die Verbreitung von Smartphones sind Nutzung, Akzeptanz und Traffic im Bereich Mobile der Monetarisierung und Etablierung von Mobile als eigener Kanal weit voraus.
In Deutschland wurde vielen Medienagenturen und großen Werbetreibenden bewusst, dass sie sich Mobile anpassen müssen. Wo ein Leser im Print-Bereich zwei Stunden pro Woche mit einer unserer Marken verbrachte, sind es am Desktop wöchentlich zwanzig und auf einem Mobilgerät gerademal zwei Minuten. Im besten Fall sind diese zwei Minuten sehr intensiv, weil sich der Mobile User nur jeweils mit einer Marke beschäftigt und nicht mit mehreren auf einmal.
Aber in den Marketingkampagnen müssen die Wahl des Werbeformats und des Contents genau diese zwei Minuten anvisieren. Wenn Sie das richtige Konzept für die Kampagne haben und das richtige Werbeformat für Mobile, wird die Mobile-Kampagne sehr erfolgreich sein.
CMO.com: Können Sie ein Beispiel für ein Projekt nennen, an dem Sie im Bereich Mobile gerade arbeiten?
Von Wersch: Wir haben eine Reihe von E-Magazinen entwickelt und diese digitalen Verlagsangebote in traditionellen Kanälen beworben, also auch als Druck. Dann testeten wir gemischte oder auch ausschließlich digitale Kampagnen. So haben wir herausgefunden, dass die Konversionsrate viel höher ist, wenn wir mithilfe spezifischer Targeting-Kriterien für Smartphones direkt werben. Der Markenaufbau ist so viel wirkungsvoller.
Ein zweites Beispiel ist Urbia, Deutschlands größte Website im Familie/Eltern-Segment. Dort beträgt der Anteil der Mobilgerätenutzer mehr als 50 Prozent. Unsere Performance-Marketing-Kampagnen sind hauptsächlich auf Mobile ausgerichtet, weil das unsere große Chance ist, die Konkurrenz in den Schatten zu stellen.
CMO.com: Welche Rolle spielt Social Media im Marketing für Ihre digitalen Produkte?
Von Wersch: Social Media und entsprechende Kampagnen sind heutzutage auf Mobile ausgerichtet. Facebook wird von unterwegs benutzt. Das heißt, die Weiterleitungen und Klicks auf unsere Facebook-Werbung stammen entweder von Tablets oder Smartphones.
Social Media ist der Hintergrund, vor dem sich alles abspielt. Hier geht es darum, wie man einen Nutzer anspricht. Mobile bezieht sich auf das Gerät, über das der Nutzer angesprochen wird. Die beiden Dinge können nicht voneinander getrennt betrachtet werden, es geht dabei nur um eine Frage der Perspektive.
CMO.com: Wie verändern sich die Fähigkeiten, die Ihre Marketer haben müssen und wie sorgen Sie dafür, dass das passiert?
Von Wersch: Wie schon gesagt, Sie müssen an den Allroundern arbeiten. Die müssen unbedingt verstehen, wie der Markenaufbau allgemein und in den unterschiedlichen alten und neuen Marketingkanälen funktioniert, und wie man Kampagnen auf die Beine stellt, die über jeden einzelnen Kanal funktionieren.
Außerdem müssen Sie Digitalexperten und Spezialisten für digitale Marketingkanäle engagieren, die für die Performance-Kampagnen und für die wirkungsvolle Verbreitung der Markenkampagnen in den digitalen Kanälen zuständig sind. Im ersten Punkt geht es im Grunde mehr darum, zu verstehen, wie Markenlogik beziehungsweise der Markenaufbau in den neueren Kanälen funktioniert und wie man es schafft, dass seine Media-Auswahl für alle Kanäle geeignet ist. Der zweite Punkt zielt eher auf das technische Know-how ab, also wie Social-Media-Kanäle oder beispielsweise Google rein technisch funktionieren, um digitale Marketingkampagnen mit größtmöglicher Wirkung zu erstellen.
CMO.com: Wie färbt das auf die Menschen ab, die Sie rekrutieren? Oder bieten Sie zur Entwicklung dieser Fähigkeiten eher Schulungen an, anstatt Leute einzustellen?
Von Wersch: Nein, wir machen beides. Also wir schulen unsere Leute, aber auch unsere Personalbeschaffung hat sich drastisch verändert. Vor ein paar Jahren noch haben wir in den klassischen Kanälen für offene Stellen geworben. Heutzutage gehen wir dafür zu Events mit ausgefallenen Namen, wie Online Marketing Rockstars. Die Personalbeschaffung hat sich verändert und damit auch die Fähigkeiten, die in der Personalabteilung gebraucht werden.
Das Interview erschien im Februar 2015 auf CMO.com. Zu Beginn dieses Jahres hat Oliver von Wersch G+J verlassen und sich selbstständig gemacht.