Philip Ginthör von Sony Music über Online- und Offline-Marketing

Musik ist ein Produkt mit immensen Marketing-Möglichkeiten. Im Internetzeitalter setzt Sony Music auf eine Mischung aus klassisch und digital.

Philip Ginthör ist bei Sony Music als CEO DACH für die Geschäfte von Sony Music Entertainment in Deutschland, Österreich und der Schweiz verantwortlich. Sony hat viele der bedeutendsten Plattenlabel der Welt sowie lokale und internationale Superstars jeglicher Couleur unter Vertrag, wie Justin Timberlake, Depeche Mode, Beyoncé, Foo Fighters, One Direction und Pharrell Williams, dessen Hit „Happy“ zum Beispiel die erfolgreichste internationale Single 2014 war.

CMO.com sprach mit Philip Ginthör über digitales Marketing und wie es mit dem traditionelleren Marketing in der Branche zu vereinbaren ist.

Ginthör: In der Musikindustrie geht ohne digitales Marketing gar nichts. Keine Kampagne kommt ohne aus, nicht einmal für klassische Musik oder Schlager.

Aber natürlich ist die Umstellung in Sachen Budget und Aufmerksamkeit von klassischen auf digitale Medien noch in vollem Gange. Wir müssen die verschiedenen Marketingkanäle jetzt viel besser integrieren. Dafür vermischen wir quasi digitale mit herkömmlichen Medien.

In der Entertainment-Branche und insbesondere bei Sony Music konzentriert man sich heute hauptsächlich darauf, Content-Marketing-Kampagnen auf die Beine zu stellen oder damit zu handeln, anstatt normale Marketing- oder Display-Kampagnen zu entwerfen. Wenn wir es klug anstellen, sind unsere Inhalte natürlich so ergiebig, dass die Musik für sich selbst sprechen kann. Uns kommt es darauf an, Kampagnen mit hervorragendem Content zu entwerfen und nicht einfach nur einen Kaufaufruf zu senden.

CMO.com: Wie regen Sie mit einer Content-Marketing-Kampagne für Musik zum Kauf an, ohne dabei das Produkt preiszugeben?

Ginthör: Früher war das Radio das wichtigste Medium, um Musik zu verkaufen. Sie konnten einen Titel anhören und dann losziehen, um ihn zu kaufen. Musik ist ein großartiges Beispiel für ein Geschäft, bei dem das Produkt schon im Umlauf ist, bevor man es erwerben kann.

Der Kauf ist aber nur eine Seite unseres Produkts; die andere Seite ist die Reichweite. Musik als Produkt ist stark genug, um Menschen dazu zu bringen, digitale Kanäle wie Vevo oder Streaming-Dienste zu nutzen. Dort konsumieren sie nicht nur einen bestimmten Titel, sondern auch die andere von uns angebotene Musik.

Außerdem gibt es fantastische digitale Möglichkeiten, um das Produkt zu ergänzen und eine starke Marketingumgebung um die Musik herum aufzubauen, durch die das Kaufen oder Anhören der Musik noch interessanter wird.

CMO.com: Haben Sie dafür ein Beispiel?

Ginthör: Meine Lieblingskampagne war die für den deutschsprachigen Rapper Marteria. Zusammen mit dem Künstler überlegten wir, wie wir das neue Album auf aufsehenerregende Weise präsentieren könnten. Marteria schlug vor, eine Weltreise zu machen, den Trip aufzuzeichnen und ihn dann für seine Fans zu kommentieren. Er nahm also eines seiner Teammitglieder mit und die beiden brachten spektakuläre Film- und Fotoaufnahmen zurück. So entstanden alle Bilder, Inhalte und Musikvideos für das Album in ganz unterschiedlichen und absolut atemberaubenden Gegenden. Natürlich waren die beiden auch online auf allen möglichen Social-Media-Kanälen stark präsent. Als der Trip vorbei war, hatten wir eine riesige Menge von Inhalten zur Verfügung, aus denen wir spielerische Tools für die Kommunikation in den Social Networks entwickelten.

In einem Online-Spiel wurde den Fans zum Beispiel ein Bild gezeigt und sie mussten herausfinden, wo es entstanden war. Die Gewinner wurden zu Diavorführungen eingeladen, auf denen der Künstler und seine Freunde Bilder und Geschichten über die Reise zum Besten gaben.

Sie hätten sehen sollen, was die sich alles ausgedacht haben. Wenn ich an das starke Engagement denke, das wir generiert haben und wie intensiv es war, ist das wirklich mein bestes Beispiel. Das Album schoss in den deutschen Charts sofort bis auf Platz Eins und erreichte Goldstatus.

CMO.com: Man spricht viel über das Ende der Kampagnen-Ära und dass es heute darum geht, die Kommunikation zwischen Marke und Verbraucher ständig aufrechtzuerhalten. Wie sehen Sie das?

Ginthör: Das hängt wirklich vom Produkt ab. Was genau ist das Produkt im Fall von Musik? Ist es der Künstler oder ist es sein neues Album? Meiner Ansicht nach sind Kampagnen auf jeden Fall sinnvoll, denn bei einem Produkt mit kürzerem Lebenszyklus, wie einem Album, müssen in sehr kurzer Zeit viele Geschichten erzählt werden.

Wir haben allerdings auch gelernt, dass Künstler zwischen den Kampagnen mit ihren Fans Kontakt halten müssen. Und als Unternehmen mit zahlreichen eigenen und unabhängigen Medien beschäftigen wir uns natürlich auch damit. Im konstanten Dialog mit den Fans unserer Musiker verzeichnen wir allein in Deutschland jeden Monat einen gleichmäßigen Kommunikationsfluss mit Millionen von Menschen.

CMO.com: Wie ist die Marketingabteilung bei Sony Music aufgebaut? Wo kommt das digitale Marketing zum Tragen?

Ginthör: Das digitale Marketing ist bei uns Teil einer Matrixstruktur. Jedes Label hat seine eigenen Digitalverantwortlichen und alle Digitalverantwortlichen gehören zu einem Spezialteam für ausschließlich digitale Inhalte, das klare Zielsetzungen hat und unternehmensweit tätig ist.

CMO.com: Wo ist die Verbindung zum traditionellen Marketing?

Ginthör: Es ist vollkommen integriert, eben weil jedes Label einen Digitalverantwortlichen hat. Das digitale Marketing ist also Teil der ganz normalen Marketingaktivitäten.

CMO.com: Wie passen Social Networks in diese Struktur?

Ginthör: Wir haben ein zentralisiertes Konzept für Dinge wie Social Media, Streaming-Media-Partner, Websites und Newsletter. Eine zentralisierte Herangehensweise an unsere eigenen Medienkanäle erschien uns die beste Lösung, weil es dabei ganz einfach um Ausmaß und Reichweite geht und bewährte Praktiken erkannt werden sollten.

CMO.com: Wie sieht es bei Ihnen mit Mobile Marketing jetzt und in der Zukunft aus?

Ginthör: Musik gehört wahrscheinlich zu den mobilsten, sozialsten und allgegenwärtigsten Produkten, die es gibt. Die meiste Musik wird auf Mobilgeräten konsumiert.

In der Kommunikation hat Mobile Marketing heute natürlich höchste Priorität. Doch alle Kanäle, über die wir gesprochen haben, werden ja hauptsächlich auf Mobilgeräten genutzt, sei es Facebook, Instagram oder auch YouTube. Bei unserer Arbeit mit den Social Networks dreht sich eigentlich alles um Mobilgeräte und deshalb haben wir kein spezifisches Mobile-Marketing-Konzept. Unsere Botschaften werden auf Mobilgeräten gelesen, und unsere Musik wird auf Mobilgeräten gehört.

CMO.com: Noch einmal zurück zur Integration, die Sie als Herausforderung erwähnt hatten: Wo stehen Sie da jetzt und wo sehen Sie sich in der Zukunft?

Ginthör: Wir versuchen, Content-Kampagnen zu entwerfen, die weder auf digitale noch auf Offline-Zielgruppen beschränkt sind. Wir möchten beide miteinander verknüpfen und Musik ist dafür natürlich wunderbar geeignet. Man kann ein paar schöne digitale Bilder von einer Weltreise verwenden, einen großartigen Titel streamen, aber auch ein geniales Konzert veranstalten. Dann ist das Ganze auf einmal viel realer und viel aufregender. Unser Ziel ist es, Kampagnen auf die Beine zu stellen, die diesen spannenden, nicht käuflichen Offline-Moment kreieren. Dafür brauchen wir etwas, das Fans und Stars außerhalb der digitalen Welt zusammen bringt.

Ein ganz anderer Aspekt sind unsere großen Medienpartner. Wir kaufen nämlich nicht nur TV-Zeiten und -Media, sondern sind zunehmend auch an Reach-On- und Offline-Projekten interessiert. Wir fördern also die Integration beim Medieneinkauf.

Außerdem gibt es da noch die strukturelle Perspektive. Wir versuchen, das Unternehmen nicht in digital und offline zu unterteilen. Mit anderen Worten: Wir werden zu Digitalexperten und haben Spezialisten, aber achten gleichzeitig auch darauf, dass die digitale Entwicklung nicht das ganze Unternehmen überschwemmt. Das Ergebnis sind dann ausgewogene Kampagnen, bei denen online-geschulte Mitarbeiter mit Offline-Experten zusammenarbeiten und Großartiges leisten.

CMO.com: Für diese digitalen Rollen rekrutieren Sie sicherlich Mitarbeiter mit digitaler Expertise. Wie sorgen Sie dafür, dass deren Wissen und Fähigkeiten im Unternehmen auch weitergegeben werden?

Ginthör: Ich denke, Fähigkeiten bleiben in einem Unternehmen immer isoliert, wenn die Unternehmenskultur nicht stimmt. Es ist großartig, Leute mit Expertise zu haben. Doch zehn Nerds in einem Raum machen aus einer Firma noch kein echtes digitales Unternehmen.

Seit drei Jahren arbeite ich daran, die Umwandlung vom traditionellen Plattenlabel in ein digitales Entertainment-Unternehmen voranzutreiben. Dabei hat die geeignete Unternehmenskultur höchste Priorität.

Selbstverständlich sind uns Fähigkeiten wichtig. Doch noch wichtiger ist im Moment der Aufbau einer Unternehmenskultur, die für junge Digital Natives attraktiv ist. Sie soll ihnen ein Arbeitsumfeld bieten, das sie lieben, das ihnen genügend Freiräume lässt, das Anreize liefert, in dem sie aber auch durch eine angemessene Führung zu einem integralen Teil des Unternehmens werden.

Deshalb kommt bei uns niemand an „digital“ vorbei. Wir haben es in jedes Meeting, in jedes von uns aufgekaufte Unternehmen und in jede Präsentation integriert. Wir haben begonnen, Wissen transparent zu machen. Wer sich bestimmte Kenntnisse aneignen will, wird bei uns weitergebildet. Gleichzeitig haben wir auch begonnen, die unternehmensinterne Kommunikation zu verbessern. Den Spezialisten im Unternehmen haben wir eine Plattform zur Verfügung gestellt, über die sie mit Mitarbeitern in anderen Unternehmensteilen kommunizieren können, um ihr Wissen mit ihnen zu teilen.

Es sind also viele kleine Schritte nötig. Es gibt kein Großprojekt, mit dem man eine Unternehmenskultur innerhalb eines Jahres umwälzen kann. Das ist ein Prozess, der drei bis fünf Jahre dauern kann. Und es ist ein Prozess, der vom Management und insbesondere vom CEO viel Engagement verlangt. Wichtig sind dabei Authentizität, Transparenz und echte Marathonausdauer, um am Ende auch ans Ziel zu gelangen.

Das Interview erschien im Dezember 2014 auf CMO.com.