Leonid Sudakov von Mars Petcare möchte mit dem Kunden kuscheln

Der Global President der Connected Solutions-Abteilung weiß, dass der „theoretische Blick auf den Kunden“ nicht ausreicht. In Zukunft müsse wieder die „High-Touch“-Beziehung, also der Umgang mit dem Menschen und nicht mit der Technik, im Vordergrund stehen.

Leonid Sudakov von Mars Petcare möchte mit dem Kunden kuscheln

Traditionelle FMCG-Unternehmen (Fast Moving Consumer Goods) haben den Kontakt zu ihren Kunden verloren. Wer nicht umdenkt, wird seinen Wettbewerbsvorteil nicht halten können. So jedenfalls sieht es Leonid Sudakov, ehemals Global CMO und jetzt Global President der Connected Solutions bei Mars Petcare.

Als ranghöchster Marketer im Unternehmen spielte Sudakov eine entscheidende Rolle dabei, das Unternehmen für Branchen- und Kundentrends zu öffnen und neue Formate und Themen wie Gesundheit und Wellness auf die Agenda von Mars Petcare zu setzen. Dazu gehört beispielsweise das im letzten Jahr erworbene Start-up Whistle, das ein vernetztes Hundehalsband entwickelt hat, und die Zusammenarbeit mit der Kreativagentur AMV BBDO am Flare Studio, einer Initiative zur Entwicklung von Video-Content auf der Grundlage von Crowdsourcing.

Im November letzten Jahres wechselte Sudakov an die Spitze der neuen Division Connected Solutions, die für technische Anschaffungen verantwortlich ist und zukunftsfähige Innovationen einbringen soll. Im Interview mit CMO.com berichtet Sudakov über den Wechsel vom CMO zu seiner neuen Position und über die Bedeutung der „High Touch“-Beziehung zu den Kunden als treibende Kraft.

Sudakov: Mars Petcare ist ein einzigartiges FMCG-Unternehmen, denn unser Geschäftsbetrieb umfasst einen riesigen Lebensmittelbereich, ein spezialisiertes Nahrungsmittelgeschäft und seit einigen Jahren ein stetig wachsendes Segment mit Haustierprodukten. Wir haben weltweit die meisten Tierärzte angestellt und betreiben eine große Anzahl von Kliniken für die Grund- und Notversorgung von Haustieren. Daraus ergeben sich einmalige Gelegenheiten, um unsere Kunden besser zu verstehen und ihnen näher zu kommen.

Während des Aufbaus unseres Ökosystems für Produkte und Dienstleistungen im Haustiersegment bot sich uns mit dem Trend zur Digitalisierung eine Möglichkeit, auf die großen Veränderungen im Kundenverhalten zu reagieren. Damit änderten wir die Spielregeln in unserer Branche. Im Bereich Haustiergesundheit stehen diese Veränderungen noch ganz am Anfang.

Wir hatten die Chance, Mars Petcare nicht nur als führenden Anbieter in den verschiedenen Geschäftsfeldern, sondern auch als Vordenker zu positionieren. Es reicht heute nicht mehr, nur Waren und Dienstleistungen anzubieten. Wir müssen uns einen Wettbewerbsvorteil für die Zukunft aufbauen. Und das können wir erreichen, indem wir nahe beim Kunden stehen und dessen Probleme besser verstehen als alle anderen.

Unser Ansatz ist, dass wir alte Formate aufbrechen. Auf dieser Grundlage haben wir unsere neue Division Connected Solutions ins Leben gerufen.

CMO.com: Welche Ziele hat die neue Division?

Sudakov: Im Bereich Connected Solutions haben wir die Möglichkeit, uns mit zwei wichtigen Dingen zu beschäftigen. Eine große Rolle spielen Initiativen, die althergebrachte Strukturen in unseren Geschäftsbereichen hinterfragen und aufbrechen. Vielleicht werden diese Initiativen später die Stars des Unternehmens.

Die andere Aufgabe besteht darin, unsere Daten zu nehmen, zu analysieren und die größtmögliche Kundennähe aufzubauen. Das ist entscheidend, denn in traditionellen FMCG-Unternehmen, bei denen ich früher gearbeitet habe, konzentrieren sich die Marketer eher auf die Beziehung zu Agenturen. Aus diesem Grund kennen wir die Bedürfnisse unserer Kunden nicht so gut, wie wir sollten. Das haben uns einige der Start-ups und Technologieunternehmen gezeigt.

Daher kooperieren wir jetzt mit Start-ups, die diese Philosophie der Kundennähe umgesetzt haben. Zu ihnen gehört beispielsweise Whistle. Das Start-up hat durch die Entwicklung der Technologie für ein vernetztes Halsband ein neues Marktsegment geschaffen. Die Halter verlieren so nie die Verbindung zu ihrem Tier und müssen keine Angst haben, dass es ausbüchst oder sich verirrt. Außerdem versorgt das Halsband den Tierhalter mit Daten, mit deren Hilfe er die Gesundheit des Tieres besser überwachen kann.

Ein weiteres Beispiel ist Wisdom Health, unsere wegweisenden DNA- und Gentests für Haustiere. Mithilfe des DNA-Profils ihres Tieres können Besitzer deren Gesundheit und Wohlergehen besser kontrollieren.

CMO.com: Wo liegt die Herausforderung bei der Integration von Start-ups ins Unternehmen und der Start-up-Denkweise ins Marketing?

Sudakov: Whistle ist ein waschechtes Start-up: Seine Gründer sind alle um die 30 Jahre alt und wir müssen dafür sorgen, dass sie sich im Rahmen eines Großunternehmens weiterentwickeln können.

Ganz allgemein ist die Zusammenarbeit mit Start-ups für Marketer eine einzigartige Gelegenheit. In großen Unternehmen geht es beim Marketing meist um riesige Projekte, große Zeitrahmen und unzählige PowerPoint-Präsentationen. Die Sicht auf den Kunden ist dort sehr theoretisch und in vielen Fällen hat man den Umgang mit dem Kunden verlernt, den ich bei Start-ups dagegen immer wieder erlebe. Aber genau diesen Kontakt, diese Nähe zum Kunden wollen wir wieder in den Mittelpunkt rücken. Wir wollen dazu in der Lage sein, ihre Probleme zu erkennen und zu lösen um gemeinsam Lösungen zu finden.

Deshalb stehen bei uns kontinuierliches Lernen und Übung im Umgang mit unseren Kunden auf der Tagesordnung. Whistle 3 – unser modernstes Halsband aus der Whistle-Kollektion – ist ein Beispiel dafür. Es wurde auf der CES vorgestellt und hat es uns erstmals ermöglicht, mit Kunden zusammenzuarbeiten, um ein Produkt noch vor der Markteinführung zu verbessern. Wir haben auch versucht, unsere aktuellste Werbekampagne so innovativ wie möglich zu gestalten. Sie wurde mithilfe der Crowdsourcing-Inhalte von Flare Studios entwickelt, der Kooperation mit unserem Kreativpartner AMV BBDO, die wir im letzten Jahr angekündigt haben.

Früher sind wir ganz anders an unsere Produkte und an die Kommunikation herangegangen. Heute ist es für Großunternehmen wirklich entscheidend, die Kundennähe wieder herzustellen, um in der heutigen transparenten Welt mit gut informierten Kunden zu überleben. Sie müssen alte Strukturen aufbrechen.

CMO.com: Welche Auswirkungen hat das auf die Art und Weise, wie Sie die Wirksamkeit von Marketingaktivitäten messen?

Sudakov: Bei Mars Petcare hat man schon immer gewusst, was beim Aufbau von Kundenbeziehungen wirklich zählt. Vor rund zwanzig Jahren haben wir viel Investiert, um zwischen Verbraucherverhalten und Umsatzanstieg bei bestimmtem Content einen Zusammenhang sehen zu können. Das war lange bevor solche Analysen in Mode kamen. Unsere Ausgaben für Werbeinhalte werden schon seit Langem dadurch gesteuert und wir haben uns auch nicht durch das Sammeln von Social-Media-Likes ablenken lassen. Unsere Messmethoden haben sich also im Laufe der Zeit entwickelt.

Was sich in den letzten paar Jahren verändert hat, ist die Verlagerung vom traditionellen Content hin zu digitalen Inhalten. Unsere Zusammenarbeit mit Google und Facebook konzentriert sich darauf, wie wir die tatsächlichen Auswirkungen von neuem Content auf den Umsatz schnellstmöglich messen können. Indem wir die Ermittlung von wirksamen Inhalten perfektionieren, können wir uns intensiver mit den verschiedenen Content-Typen beschäftigen, mit denen wir einen Treffer landen.

CMO.com: Gibt es eine neue Entwicklung, die die Beziehung zu Ihren Kunden verändern wird?

Sudakov: Am spannendsten sind die neuen Analyse-Tools mit künstlicher Intelligenz, durch die wir Einblicke in das Verhalten einzelner Kunden gewinnen werden. Sie ermöglichen es uns, all die verschiedenen Datenpunkte zu bündeln, um so zu erfahren, wo der Schuh drückt. In den nächsten Jahren werden wir Kundenbedürfnisse allmählich immer besser befriedigen, weil wir Daten immer besser (und schneller) auswerten können.

CMO.com: Sie waren CMO und sind jetzt Innovations-Chef – was war ausschlaggebend für Ihre Marketing-Karriere?

Sudakov: Nachdem ich Finanzwesen studiert hatte und bevor ich mit meinem MA für Unternehmensfinanzierung anfing, arbeitete ich im Marketing in einer Stelle, die ich wirklich mochte. Unsere Wertigkeit als Marketer wird von unserer Fähigkeit zur Wachstumsförderung bestimmt. Genau das hat mich schon immer motiviert – diese Kombination aus strategischer Betrachtung des Unternehmenswachstums und der Verantwortung für den Wachstumsalgorithmus als Marketer.

Außerdem hat mich die Schnelligkeit, mit der sich unser Dasein als Kunde verändert, auch hinsichtlich der Veränderungen in unserem Berufszweig nachdenklich gestimmt: Welche Fähigkeiten brauchen wir als Marketer, um im Rahmen der Veränderungen der Kundenbedürfnisse das Wachstum unseres Geschäfts zu stärken? Das macht unsere Arbeit so spannend. Stillstand existiert nicht. Wir sind dafür verantwortlich, die Veränderungen im Leben unserer Kunden in neue Geschäftsmöglichkeiten umzuwandeln. Das gilt insbesondere für Kategorien, in denen wir diesen entscheidenden Momenten schon sehr nahe sind.

Für mich hat sich auch die Arbeit in der Privatwirtschaft als Glücksfall erwiesen. Denn wir denken langfristig und investieren in Projekte, die über das nächste Quartal hinausgehen. Das ist enorm befreiend. Dadurch konnten wir auch den sogenannten Digital-Marketing-Minderwertigkeitskomplex vermeiden, der für viele Marketer problematisch werden kann. Bei Mars Petcare haben wir es meiner Ansicht nach geschafft, einen klaren Kopf zu bewahren und Zukunftsideen zu entwickeln, die nicht wie Seifenblasen zerplatzen.