CX verändert die Kreativabteilung, aber sind die Unternehmen bereit dafür?

Wird bei den diesjährigen Cannes Lions das Ende der Kampagnen-Ära verkündet? Es wird vor allem darum gehen, dass gute Ideen alleine nicht mehr ausreichen. Um den Kunden zu erreichen, muss sich die Branche an neuartige Customer Experiences wagen.

CX verändert die Kreativabteilung, aber sind die Unternehmen bereit dafür?

Die Kreativabteilung hat sich seit den Tagen der „Rockstar“-Werber ein gutes Stück weiterentwickelt. Es geht längst nicht mehr nur um einen peppigen Slogan für einen 30-sekündigen TV-Spot, der dann die Umsätze kräftig ankurbelt und den Geniestatus bestätigt.

Heutzutage braucht es mehr als eine einprägsame Kampagne. Marken wollen den Kunden an jedem einzelnen Touchpoint mit neuen Experiences abholen und binden. Genau dieses Thema wird ab Samstag bei den Cannes Lions für Gesprächsstoff sorgen. Zum Auftakt wollen die Event-Macher einen Bericht veröffentlichen, demzufolge die Richtung, in die sich die Creatives entwickeln, heutzutage von innovativen Kundenerlebnissen vorgegeben wird.

Wenn man sich mit Art Direktoren und Copywritern kurz vor ihrem Auftritt an der Riviera unterhält, hört man vor allem, dass Kreativseite und Experience vermehrt zueinanderfinden und von Agenturen gerne in dieser Verbindung aufgegriffen werden.

Die Frage lautet: Sind die Marketing-Entscheider darauf vorbereitet? Können Marken althergebrachte und isolierte Rollen neu ausrichten und so die Bereiche Technologie, Daten, Kreativität und Funktionen für den Kunden besser aufeinander abstimmen? Und nicht zuletzt, sind sie sich im Klaren über ihren Standpunkt, darüber, was der Konsument über sie denkt und welche Customer Experience es im Sinne des Marken-Image zu verbessern gilt?

Vom Souschef zum Chefkoch

Laut Peter Kang, Brand Creative Lead bei Accenture Interactive, müssen Kreativteams jetzt neu organisiert werden. Ähnlich wie ein Souschef in einem Restaurant haben bisher auch Kreativmitarbeiter mit der Agentur und der Marke ihrer Kunden interagiert: Sie haben sich schrittweise mehr Fähigkeiten angeeignet, bevor sie als Copywriter oder Interface-Designer eingesetzt wurden. Genauso wie sich ein Souschef auf ein bestimmtes Gericht spezialisiert.

„Kreativmitarbeiter werden normalerweise Experten auf einem Gebiet und bleiben dann dabei, sodass es manchmal ein wenig eintönig wird. Stellen Sie sich vor, Sie machen immerzu Lasagne“, erklärt Kang.

„Auf einmal wird aber von Ihnen verlangt, den ganzen Restaurantbesuch als ein Erlebnis zu betrachten. Sie werden also nach der Zubereitung rausgeschickt ins Restaurant, wo die Leute essen. Das Gericht ist gut, soviel steht fest. Aber nun müssen Sie auch an den Tischen dafür sorgen, dass die Kunden mit ihrem Erlebnis zufrieden sind.

Teams ausrichten, Aggregatoren-Websites überholen

Tatsächlich lassen Agenturen immer öfter verlauten, dass sich in den vergangenen Jahren ein Wandel des Briefings vollzogen hat – über die vergangenen Monate hat dieser Trend sogar noch mehr Fahrt aufgenommen. Den Marken ist eine simple Kampagne nicht mehr genug. Sie wollen beeinflussen können, wie Kunden über die Marke denken und mit ihr interagieren.

Mark Bell nennt einen der wichtigsten Antriebsfaktoren für diesen neuen Ansatz: Aggregatoren bereiten den Marken immer mehr Kopfzerbrechen. Der Chief Experience Officer der Oliver Group, ein Spezialist für In-house Agenturen, spricht davon, dass Marken sich einen soliden Namen aufbauen möchten, der von den Kunden geliebt und direkt aufgesucht wird. Auch bei der Listung auf Aggregatoren-Websites sollen die Konsumenten die Marke möglichst gezielt auswählen, weil sie wissen, dass sie hier eine bessere Customer Experience erwarten können.

„Aggregatoren haben das Spielfeld ziemlich aufgemischt und die Marken möchten die Kontrolle zurückgewinnen“, erklärt Mark Bell.

„Es geht also nicht mehr nur um Werbeanzeigen. Wir sollen für die Marken aussagekräftige Customer Experiences entwerfen, damit sie in einem überfüllten, von Aggregatoren beherrschten Markt hervorstechen. Damit das gelingt, müssen Technik- und Kreativabteilungen vom ersten Briefing an zusammenarbeiten. Nur so entsteht eine Customer Experience, die relevant ist und zieht. Eine Idee allein reicht nicht – man muss von vorneherein wissen, welche Tools man benötigt, um sie rüberzubringen.“

„Das ist für uns und unsere Kunden eine riesige Herausforderung“, sagt Bell. „Unserer Erfahrung nach müssen wir darauf achtgeben, ob ein Unternehmen wirklich bereit ist für diese neue Arbeitsweise. Manchmal gibt es bei Kunden noch die althergebrachten, isolierten Strukturen. Dann ist es viel schwieriger, auf multidisziplinäre Weise mit ihnen zu kooperieren. Etwa wenn Innovationsexperten und Marketingleute in verschiedenen Teams organisiert sind.“

Werden die Leute darauf anspringen?

Ein weiterer möglicher Fallstrick für Agenturen und Marken ist die Frage, ob sich die Marke wirklich in einer Position befindet, in der sie neue Erfahrungen anbieten kann. Im schlimmsten Fall, sagt Nina Taylor, Creative Director bei Ogilvy One, wollen Marken auf Biegen und Brechen neue und bessere Customer Experiences präsentieren, ohne zu hinterfragen, ob sie für den Aufbau langfristiger Beziehungen gut platziert sind.

„Manchmal kommt ein Unternehmen daher und sagt, dass es irgendwo eine geniale Customer Experience gesehen hat und nun genau die gleiche haben will“, berichtet Taylor.

„In unserem Gespräch muss es dann darum gehen, ob so etwas wirklich jemanden hinter dem Ofen vorlocken würde. Manchmal ist es Marken gar nicht bewusst, dass sie und ihre Produkte in der Gunst der Konsumenten ziemlich weit unten rangieren. Sie haben vielleicht irgendwo die fantastische neue Werbung einer anderen Marke gesehen, sind sich aber nicht darüber im Klaren, dass sie sich nicht in der gleichen Position befinden, um so etwas anzubieten. Es fehlt ganz einfach die richtige Ausgangslage. Sie haben nicht die schwierige Vorarbeit geleistet, die die Konsumenten für eine Marke gewinnt. Also müssen sie nun zunächst Mal das Fundament legen.“

Taylor stimmt mit Bell überein, dass IT- und Kreativteams aus Sicht der Customer Experience vom ersten Tag an zusammenarbeiten müssen. Sie verweist dafür auf das Beispiel der „Magic of Flying“-Kampagne, die Ogilvy One für British Airways (BA) entworfen hat. Das charmante Storytelling-Konzept zeigte dem Londoner Publikum auf einer großen Werbeanzeige ein Kind, das auf die tatsächlich darüber hinweg fliegenden BA-Flugzeuge zeigte und dabei das jeweilige Ziel des Fluges einblendete.

Was nicht zu sehen war: Ausgeklügelte Technologie stellte im Hintergrund fest, ob der Himmel klar genug war, um die Flugzeuge sehen zu können. Das Kind bewegte sich dann über den Bildschirm und zeigte gen Himmel auf das Flugzeug, wobei dessen tatsächliche Flugnummer und das Flugziel eingeblendet wurden.

Werbeanzeige, Storytelling und Technologie in einem

Das Zusammenspiel von originellen Ideen, Storytelling und Technologien ist heutzutage fester Bestandteil der Kreativarbeit. Genau darauf sind Agenturen nach eigener Aussage aus und darum wird es nächste Woche bei den Cannes Lions gehen.

Den größten Erfolg werden letztlich Marketing-Experten und Entscheider haben, deren Unternehmen die traditionellen Rollenstrukturen aufgebrochen haben. Nur mit multidisziplinären Teams und dem Wissen um die tatsächlichen Bedürfnisse der Kunden können neue Customer Experiences entstehen, die sich positiv auf das Geschäft auswirken.