Vernetzte Services bestimmen die neue Customer Experience in der Automobilindustrie

In gewiss­er Weise hat die Auto­mo­bil­tech­nik schon immer viele der Auf­gaben übernom­men, die heute den sozialen Medi­en zuge­sprochen wer­den. Seit über einem Jahrhun­dert verbinden Autos die Men­schen über große Ent­fer­nun­gen. Sie brin­gen die Nutzer ganz ein­fach zusam­men und lassen sie in Nul­lkom­manichts, von ein­er Sta­tion zur näch­sten zu reisen. Nichts anderes tun wir, wenn wir bei Face­book, Twit­ter & Co. unter­wegs sind. Vor diesem Hin­ter­grund ist es nicht allzu ver­wun­der­lich, dass sich die Social Media Kul­tur und die der Auto­mo­bilin­dus­trie heute mehr ähneln als man auf dem ersten Blick ver­muten würde.

Viele tra­di­tionelle Entwick­lun­gen der Auto­mo­bil­welt wer­den inzwis­chen durch verän­derte Kun­de­nan­forderun­gen beein­trächtigt, die sich aus der fortschre­i­t­en­den Dig­i­tal­isierung ergeben. Die Kun­den betreiben heute inten­sive Online-Recherchen vor dem Kauf eines Fahrzeugs. Die auss­chlaggeben­den Fak­toren ihrer Kaufentschei­dung verän­dern sich dadurch rapi­de. Klas­sis­che Verkauf­sar­gu­mente wie die Geschwindigkeit oder der Fahrspaß ziehen längst nicht mehr. Der Schw­er­punkt der Kun­den liegt aktuell vielmehr auf Aspek­ten wie dem Kraft­stof­fver­brauch, der Kon­nek­tiv­ität und den Betriebskosten.

Und dann sind da noch neue Konkur­renten wie Uber, die überhaupt keine Fahrzeuge her­stellen und die Auto­her­steller den­noch zum Umdenken zwin­gen. Durch sie wird ihnen immer klar­er, dass sie sich zukün­ftig nicht nur als Her­steller, son­dern auch als Ser­vice- und Mobil­ität­san­bi­eter posi­tion­ieren müssen. In all diesen Punk­ten spielt die Cus­tomer Expe­ri­ence für die Auto­mo­bilin­dus­trie eine entschei­dende Rolle.

Um her­auszufind­en, wie sich Auto­mo­bil­marken im Jahr 2017 auf die Kun­den­er­fahrung konzen­tri­eren, habe ich Axel Heyen­ga, den Indus­try Strat­e­gy Direc­tor EMEA von Adobe für die Auto­mo­bilin­dus­trie, getrof­fen. Als inter­na­tionaler Man­age­ment-Experte ver­fügt Axel über mehr als 20 Jahre Ver­triebs- und Mar­ketinger­fahrung in der Medien‑, Einzelhandels‑, Sport- und IT-Beratungs­branche. Vor seinem Ein­tritt bei Adobe war er als Direk­tor für Ver­trieb und Mar­ket­ing bei Val­tech, Refer­at­sleit­er bei Sapi­ent­Ni­tro und Leit­er der Geschäft­sen­twick­lung bei BTD New­me­dia tätig.

Axel Heyenga Adobe

Axel Heyen­ga, Indus­try Strat­e­gy Direc­tor EMEA von Adobe

JB: Axel, wie würdest du Cus­tomer Expe­ri­ence in der Auto­mo­bilin­dus­trie generell definieren?

AH: In der Auto­mo­bilin­dus­trie bein­hal­tet die Cus­tomer Expe­ri­ence viel mehr als das Fahrerleb­nis, obwohl das natür­lich ein wichtiger Teil davon ist. Alle Markenkon­tak­te, die Kun­den online, bei seinen Ver­hand­lun­gen mit dem Händler und nicht zulet­zt bei der Fahrzeug-Reparatur oder ‑Wartung haben, sind gle­icher­maßen wichtige Teile des Kundenerlebnisses.

JB: Viele Auto­mo­bil­her­steller beobacht­en, dass ihre Kun­den eine immer proak­ti­vere Rolle beim Kauf und der vor­ange­hen­den Recherche übernehmen. Kannst du diesen Trend aus dein­er Sicht bestäti­gen?

AH: Abso­lut. Wir nen­nen das „den Auf­stieg des dig­i­tal­en Auto­mo­bil-Experten“. Poten­zielle Käufer erforschen in Frage kom­mende Fahrzeuge manch­mal bis zu zwölf Monate, bevor sie sich für oder gegen einen Kauf entschei­den. Für 73 Prozent spie­len dabei vor allem die Kom­mentare in den sozialen Medi­en eine wichtige Rolle. Das hat auch den Ver­hand­lung­sprozess beim Händler bee­in­flusst. Vor ein paar Jahren haben die Kun­den den Auto­händler vor einem Kauf durch­schnit­tlich sieben Mal besucht. Jet­zt schauen sie im Durch­schnitt nur noch 1,5 Mal beim Händler vor­bei. Mit anderen Worten: Die Kun­den betreiben bere­its im Vor­wege eine umfassende Recherche und haben bere­its eine ziem­lich genaue Vorstel­lung davon, was sie wollen und wie viel sie zu zahlen bere­it sind, bevor sie überhaupt am Point of Sale auftauchen.

JB: Was wollen diese Kun­den? Wie haben sich ihre Erwartun­gen durch die Recherchen verän­dert?

AH: Sie inter­essieren sich heute viel mehr für The­men wie Mobil­ität und Con­nect­ed Ser­vices. Tra­di­tionelle Verkauf­sar­gu­mente wie das Ausse­hen, die Leis­tung oder die Geschwindigkeit haben inzwis­chen weniger Gewicht. In dieser Hin­sicht ist die Auto­mo­bilin­dus­trie wirk­lich auf den Kopf gestellt wor­den. Die tra­di­tionellen Annah­men, dass jed­er ein Auto besitzen will – und dass jed­er danach strebt, ein hochw­er­tigeres Fahrzeug zu besitzen – gel­ten nicht mehr. Vor allem bei jün­geren Kun­den ist das längst nicht mehr der Fall. Die Käufer machen sich heute viel mehr Gedanken darüber als früher, wie viel das Fahrzeug in der Anschaf­fung und dem langfristi­gen Betrieb kosten wird – nicht zulet­zt in Bezug auf den Kraft­stof­fver­brauch, die Wartung, mögliche Ersatzteile und so weit­er. Sie inter­essieren sich auch zunehmend für die Kon­nek­tiv­ität des Fahrzeugs. Also, wie genau das einge­baute GPS funk­tion­iert, wie intel­li­gent der Pan­nen­di­enst unter­stützt wird und welche Möglichkeit­en das Dig­i­tal­ra­dio bietet.

JB: Es klingt ein wenig danach, als wenn sich Autos in Deliv­ery Sys­teme für dig­i­tale Ange­bote ver­wan­deln wür­den ….

AH: In viel­er­lei Hin­sicht ist das wahr. Das Marken­er­leb­nis geht inzwis­chen weit über das Fahrzeug, den Händler und das Ser­vice-Cen­ter hin­aus. Der Fokus liegt mehr und mehr auf dem dig­i­tal­en Erleb­nis. Tat­säch­lich fra­gen wir uns in Zeit­en, da in eini­gen Städten immer mehr fahrerlose Autos unter­wegs sind, ob die Zukun­ft des Auto­mo­bils im „Auto als Con­tent Deliv­ery Sys­tem” liegen kann. Denn wenn Autobe­sitzer nicht mehr selb­st fahren müssen, ist ihre Aufmerk­samkeit frei, um Anrufe zu beant­worten, nach nahe gele­ge­nen Des­ti­na­tio­nen zu suchen, die sie besuchen möcht­en, und sog­ar den Zus­tand des Fahrzeugs zu check­en. In naher Zukun­ft kön­nen Autos viel mehr wie selb­st­fahrende Com­put­er sein, in denen der Benutzer seinen All­t­ag organ­isiert – von der Nachricht an den Geschäftspart­ner über die Tis­chre­servierung im Lieblingsrestau­rant bis zum Werk­statt­ter­min für einen Ölwech­sel. Alles, was son­st das Smart­phone bzw. der Rech­n­er zuhause oder im Büro geleis­tet hat, übern­immt in Zukun­ft das Auto.

JB: Das kön­nte tat­säch­lich ganz neue Felder öffnen. Aber wie sieht es im Augen­blick aus: Was machen Auto­mo­bil-Unternehmen derzeit, um ihren Kun­den mehr ver­net­zte Erleb­nisse anzubieten?

AH: Ein gutes Beispiel für einen zukun­ftsweisenden Auto­her­steller ist Renault. Das franzö­sis­che Unternehmen hat die Notwendigkeit längst erkan­nt, Kun­den auf der ganzen Welt mit ein­er per­son­al­isierten, geziel­ten Eins-zu-eins-Kom­mu­nika­tion anzus­prechen. Renault hat dazu eine stan­dar­d­isierte Plat­tform geschaf­fen, um sicherzustellen, dass seine inter­na­tionalen, regionalen und lokalen Kam­pag­nen alle mit einem kon­sis­ten­ten Mes­sag­ing und Brand­ing arbeit­en. Gle­ichzeit­ig trägt die Plat­tform dazu bei, per­sön­lichere und geziel­tere Nachricht­en über Web‑, Mobile- und weit­ere Kanäle auszuliefern. Das Ergeb­nis dieser stan­dar­d­isierten Kam­pag­nen war ein 20-prozentiger Anstieg der Con­ver­sions auf seinem Besitzer-Por­tal, das Renault viele neue Möglichkeit­en eröffnet, mit diesen Kun­den in Kon­takt zu treten.

JB: Wir kön­nen also fes­thal­ten: Anstatt sich auf der Basis von Fahrzeug­merk­malen zu dif­feren­zieren, wie es die Auto­mo­bil­her­steller in der Ver­gan­gen­heit getan haben, erken­nen Auto­her­steller nun, dass kon­se­quente Kun­den­er­fahrun­gen im Mit­telpunkt ihrer Ver­mark­tung ste­hen müssen.

AH: Das ist defin­i­tiv der Fall. Tat­säch­lich hat der Fahrzeugher­steller Lin­coln vor kurzem ent­deckt, dass seine Web­site-Besuch­er den Fil­ter „Fahrzeug­merk­male“ ver­mehrt deak­tivieren, weil sie diese nicht als rel­e­vant empfind­en. Als Reak­tion hat das Unternehmen eine völ­lig neue Mar­ket­ing­plat­tform aufge­set­zt, um präzis­ere Dat­en über Kun­den­stan­dorte, Marken­ver­trautheit und Präferen­zen zu sam­meln. Ziel ist es, für jeden Besuch­er per­son­al­isierte Web­site-Inhalte zu liefern und diese in Echtzeit anzu­passen, um genau jene Vorteile des Fahrzeugs zu beto­nen, die den indi­vidu­ellen Kun­den am meis­ten inter­essieren. Dadurch wurde das Besuch­er-Engage­ment um atem­ber­aubende 99 Prozent und die Galerie- Inter­ak­tio­nen auf der Web­site um 27 Prozent erhöht – und das in nur 10 Wochen.

JB: Ich hoffe, dass kün­ftig noch mehr Auto­her­steller die wach­sende Bedeu­tung der Con­nect­ed Expe­ri­ence erken­nen. Denn genau das ist es, was die Kun­den wollen.

Vie­len Dank für diese span­nen­den Insights aus der Auto­mo­bilin­dus­trie, Axel!