BMW schaltet um, vom Auto auf den Kunden

„Bisher wussten wir alles über das Auto, in Zukunft möchten wir alles über unsere Kunden wissen“, erklärt Rainer Feurer, Senior Vice President für kundenorientierte Verkaufsentwicklung bei BMW.

BMW schaltet um, vom Auto auf den Kunden

Als Senior Vice President leitet Rainer Feurer bei BMW die Bereiche Customer Experience und kundenorientierte Verkaufsentwicklung. In dieser Rolle treibt er den Wandel des Münchener Autoherstellers zu einem Unternehmen mit nahtlosem Omnichannel-Kundenerlebnis voran und überwacht nicht nur die Entwicklung der digitalen und Online-Kanäle, sondern auch aller anderen Kanäle.

Vor Kurzem hatten wir auf dem Adobe Summit EMEA 2017 die Gelegenheit, Feurer zum Stand der Digitalisierung bei BMW zu befragen.

Feurer: Unsere Branche verändert sich gerade von Grund auf. Das Auto der Zukunft wird autonom fahren, vernetzt sein, elektrisch angetrieben und von den Menschen gemeinsam genutzt werden. Aber auch in der Interaktion mit den Kunden gibt es gewaltige Veränderungen. Früher haben wir die Fahrzeuge über unser Händlernetzwerk verkauft. Künftig werden wir uns viel mehr auf den einzelnen Kunden und auf dessen Bedürfnisse konzentrieren – und das ein Leben lang.

Momentan befindet sich BMW im Umbruch: weg von der fahrzeugorientierten und hin zur kundenorientierten Unternehmenskultur.

CMO.com: Wie sieht das neue Kundenkonzept von BMW aus?

Feurer: Ganz einfach: So wie wir in der Vergangenheit dank der Fahrgestellnummer alles über jedes Auto wussten, möchten wir in der Zukunft über jeden Kunden Bescheid wissen. Wir wollen ein Leben lang personalisierte, individuelle Angebote machen können, die genau auf ihre jeweiligen Bedürfnisse zugeschnitten sind.

CMO.com: Wie schaffen Sie es, die Kunden ganz individuell anzusprechen und wie verändert das Ihr Geschäft?

Feurer: Zu allererst müssen wir die Online-Kanäle und Social Media in unseren Geschäftsbetrieb einflechten. Danach müssen alle Informationen aus dem Händlernetzwerk integriert werden. Zukünftig werden wir dann erfahren, wie die Kunden unsere Fahrzeuge nutzen. Im Moment arbeiten wir am Aufbau der digitalen Assets, um direkt mit den Kunden zu interagieren. Unser Online-Auftritt, der gerade überarbeitet wird, soll später als Schnittstelle fungieren. Dort können die Kunden dann am eigenen Bildschirm alles erledigen, wofür sie früher zum Händler gehen mussten.

CMO.com: Können Sie uns ein bisschen mehr über Ihr „Online-Autohaus“ verraten?

Feurer: Früher sind Kunden vier Mal zum Händler gegangen, bevor ein Kauf zustande kam. Heute besuchen sie ein Autohaus nur 1,4 Mal – verfügen aber vorab schon über 97 Prozent der Informationen. Im Verlauf der vergangenen zwei Jahre haben wir unser Internetangebot umstrukturiert. Wir haben jetzt eine zukunftssichere Standardlösung, mit der wir weltweit neue Funktionen entwickeln und integrieren können. Der nächste Schritt in puncto Digitalisierung geht für uns in Richtung Transaktionskanal.

Auf unserer britischen Website können Sie zum Beispiel rund um die Uhr innerhalb von zehn Minuten ein Auto kaufen, Beratungsservice inklusive. Wir helfen Kunden, herauszufinden, was sie wirklich wollen. Mithilfe unserer Analysen können wir ihnen ein vorkonfiguriertes Fahrzeug präsentieren. Außerdem gibt es einen Online-Chat, die Möglichkeit zur Inzahlungnahme des alten Autos und Finanzierungsmodelle. Anschließend wählen die Kunden eine Anzahlungsoption und die monatlichen Leasing-Raten aus, um den Kauf an ihre Bedürfnisse anzupassen, und wenn sie das möchten, kann die Transaktion auch online durchgeführt werden.

CMO.com: Wie verändert sich dadurch die Beziehung zwischen BMW und seinen Kunden?

Feurer: Für unsere Kunden bedeutet das, dass sie im Grunde jederzeit und überall auf unseren Service zugreifen können. Manche nutzen dieses Angebot um sieben Uhr morgens, wenn sowieso kein Händler geöffnet hat. Andere gehen erst spät abends online, wenn die Kinder im Bett sind. Für unsere Kunden ist es so praktischer, denn sie haben mehr Zeit und sind flexibler. Und uns bringt das Ganze viel mehr Daten ein.

CMO.com: Wie wird sich Ihrer Ansicht nach die Beziehung zu den Kunden entwickeln, wenn die Autos immer stärker vernetzt werden?

Feurer: Wir müssen unser Serviceangebot und unseren Kundendienst umbauen. Mithilfe der gewonnenen Daten wollen wir unseren Kunden verschiedene Dienste für den Alltag anbieten, vom Parkservice über Ladestationen bis hin zur Unterstützung bei ihren Mobilitätsbedürfnissen. Wir sind jetzt schon der größte Anbieter von Park- und Ladeservices weltweit. Bis 2025 möchten wir für die verschiedenen Dienstleistungen rund um die Mobilität einen Kundenstamm mit 100 Millionen Kunden aufbauen.

CMO.com: Wie wird sich die Digitalisierung darauf auswirken, wie Sie neue Kunden gewinnen?

Feurer: Viele wünschen sich einen personalisierten Service und das verändert alles: das Marketing (hier muss das klassische Produktmarketing dem Direktmarketing weichen), den Kundendienst und wie wir Autos verkaufen.

Die Digitalisierung betrifft also nicht nur eine Abteilung. Das ganze Unternehmen und unsere Interaktion mit den Kunden befinden sich im Wandel.

Natürlich werden uns die Daten dabei helfen, alle Aspekte des Geschäftsbetriebs zu personalisieren: Mit ihnen kann die Website personalisiert, Marketingbotschaften für Zielgruppensegmente angepasst und ein Angebot gegen Ende der Leasing-Periode erstellt werden. Weil wir genau wissen, wann das Leasing abläuft, können wir dem Kunden basierend auf seiner Fahrzeugnutzung und seinem Finanzierungsbedarf ein maßgeschneidertes Angebot vorlegen. Früher war so etwas nicht möglich.

Auch das Auto selbst wird sich in Zukunft verändern. Wir werden die Fahrzeug-Software regelmäßig aktualisieren und dadurch während der ganzen Nutzungsdauer zusätzliche Dienste anbieten können. Ein Beispiel: 27 Prozent des Verkehrs an einem Samstagmorgen sind Fahrer, die einen Parkplatz suchen. In Zukunft werden Sie dazu in der Lage sein, einfach das Ziel einzugeben und Ihr Auto sagt Ihnen, wo es einen freien Parkplatz gibt. Sie reservieren, fahren hin, der Parkplatz erkennt Sie, Sie parken ein und fertig. Mithilfe von Technologie und Digitalisierung lassen sich eine Menge kleiner Probleme lösen, die in der Customer Journey auftreten.

CMO.com: Wie verändern sich dadurch die Kompetenzen in der Marketingabteilung?

Feurer: Alle Abteilungen sind davon betroffen, nicht nur das Marketing. In Zukunft werden wir ganz neue Kompetenzen benötigen – Datenanalytiker und Datenarchitekten zum Beispiel. Aber wir versuchen auch, vollkommen neue Herangehensweisen zu finden.

Bisher fand jedes Mal eine Produktschulung statt, wenn ein neues Fahrzeug auf den Markt kam. Jetzt leben wir in einer Welt, in der Autos fortlaufend aktualisiert werden und somit brauchen wir auch fortlaufendes Training. Wir müssen also unser Verkaufs- und Servicepersonal regelmäßig schulen, und das ist etwas völlig Neues. Vor zwei Jahren haben wir deshalb eine club-basierte Online-Trainingsplattform eingerichtet, über die wir 230.000 Mitarbeiter weltweit mit Informationen über neue Fahrzeugfunktionen versorgen können.

CMO.com: Was war die wichtigste Erkenntnis bisher?

Feurer: Also die wichtigste Lektion für mich war, dass es nicht nur um Technologie geht. Die Veränderungen müssen in den Prozessen und hauptsächlich in den Köpfen der Leute stattfinden. Das ist kein einfacher Weg. Wir sind ein erfolgreiches Unternehmen und es gibt uns seit mehr als 100 Jahren. Es ist unmöglich, unsere Organisation über Nacht umzukrempeln.

Die Veränderungen werden schrittweise über mehrere Jahre erfolgen. Ich glaube, wichtig sind ein enormer Tatendrang und die vollkommene Ausrichtung auf den Kunden. Wir müssen uns auch darüber im Klaren sein, dass dieses Projekt kein Schnellschuss ist und Ausdauer erfordert.

CMO.com: Wie bringen Sie Innovationen ins Unternehmen ein und überwachen sie?

Feurer: Innovationen sind entscheidend für unsere Zukunftsvision. Jede Abteilung muss die Gelegenheit bekommen, innovativ zu sein und Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Außerdem müssen wir systematisch schauen, welche Innovationen es schon gibt, denn wir können nicht alles selber machen.

In bestimmten Bereichen sondieren wir also den Markt, um gute Partner zu finden. Gleichzeitig investieren wir kräftig in die Fähigkeiten, die wir in Zukunft brauchen werden.

CMO.com: Wie stellen Sie sich das Auto als Media-Raum vor?

Feurer: Das Auto der Zukunft wird vollkommen vernetzt sein. Deshalb überlegen so viele Unternehmen, wie sie die Zeit, die Kunden im Auto verbringen, am besten nutzen können. Ich glaube, es gibt da zwei Seiten. Einerseits geht es darum, wie das Fahrzeug mit der Umwelt interagiert. So können wir Dienste anbieten, die dem Fahrer bei der Bedienung des Autos helfen. Andererseits schauen wir jetzt auch, wie wir Services einflechten können, die die Customer Journey aufwerten. Dafür müssen Drittanbieter buchstäblich an Board geholt werden. Auf gewisse Weise wird sich das Auto in Zukunft deshalb zu einem vollkommen digitalen Produkt entwickeln.

Wir haben ja bereits Alexa etabliert, die es Ihnen ermöglicht, per Sprachsteuerung den Ladestand Ihres i3 abzufragen oder einen Termin für die Durchsicht zu buchen. Das Fahrzeug stellt dann eine Verbindung zum Händler her und prüft, ob ein Service-Termin frei ist.

In fünf Jahren fährt Ihr automatisiertes Auto vielleicht abends allein ohne Sie zum TÜV. Der Fahrzeugservice wird also in Zukunft vollkommen unsichtbar.

CMO.com: Wie wird es jetzt bei BMW weitergehen?

Feurer: Das ist sehr vielschichtig. Zu den bereits genannten Faktoren kommt noch, dass Mitfahrangebote zum Alltag gehören werden, sei es über Car Sharing oder durch die Integration in andere Sharing-Plattformen.

Darüber hinaus arbeiten wir an einer nahtlosen Verknüpfung zwischen dem Kunden, dem Auto und anderen digitalen Produkten. Und zu guter Letzt müssen wir auch die nicht vernetzte Welt integrieren. Denn wir sind davon überzeugt, dass es auf lange Sicht nicht mehr um Online oder Offline gehen wird – was zählt, ist die nahtlose Customer Journey. Wir werden also auch die Offline-Welt in unsere integrierte, nahtlose Omnichannel-Experience einbeziehen.