Studie: Deutsche wollen (noch) nicht online wählen
Lediglich knapp die Hälfte (46 Prozent) der Deutschen ist daran interessiert, die nächste Bundesregierung per Website oder App online zu wählen. Das ergibt sich aus der repräsentativen Studie „Digital Pulse Report”, die von der britischen Innovationsstiftung Nesta erstellt wurde. Insgesamt wurden dafür mehr als 9.000 Personen in den neun europäischen Ländern Bulgarien, Polen, Spanien, Italien, Großbritannien, Schweden, Estland, Frankreich und Deutschland befragt.
Deutschland belegt bei der Frage nach dem Online-Voting den letzten Platz. Spitzenreiter sind die Bulgaren mit 75 Prozent, gefolgt von Polen (68 Prozent), Spanien (60 Prozent) und Italien (59 Prozent). Estland war 2005 weltweit das erste Land, in dem die Bürger online wählen konnten. Rund 20 Prozent der wahlberechtigten Esten haben bei der letzten Parlamentswahl 2015 vom PC, Notebook, Tablet oder Smartphone aus ihre Stimme abgegeben. Berücksichtigt man die Wahlbeteiligung von 64,2 Prozent, lag der Anteil der elektronisch abgegebenen Stimmen sogar bei über 30 Prozent.
Neue Impulse durch den EU-Ratsvorsitz von Estland
Am 1. Juli hat der baltische Staat den alle sechs Monate wechselnden EU-Ratsvorsitz übernommen und bereits erklärt, dass der Schwerpunkt der Präsidentschaft auf die Förderung digitaler Technologien gelegt werden soll. „IT‑Lösungen ermöglichen es Estland, jeden Monat einen Papierberg einzusparen, der so hoch ist wie der Eiffelturm”, sagte Regierungschef Jüri Ratas zum Auftakt der EU-Ratspräsidentschaft.
Die Entwicklung eines barrierefreien digitalen Binnenmarktes könne die Wirtschaftsleistung in Europa um 400 Milliarden Euro erhöhen und Tausende neue Jobs schaffen. Er möchte deshalb in seiner Amtszeit der EU eine fünfte Grundfreiheit hinzufügen: Neben dem freien Warenverkehr, der Personenfreizügigkeit, dem freien Kapitalverkehr und der Dienstleistungsfreiheit solle auch der freie Datenverkehr zu den Grundprinzipien der europäischen Gemeinschaft zählen.
Interesse an digitalem Dialog mit der Politik ist gering
Die Nesta-Studie hat nicht nur die Bereitschaft zum Online‑Wählen untersucht, sondern auch andere Fragen der digitalen politischen Teilhabe. Unter anderem wurde gefragt, ob die Bürger durch eigene Vorschläge neue Gesetze mitentwickeln oder elektronisch darüber abstimmen wollen, wie Haushaltsgelder von der Regierung in ihrer Region eingesetzt werden sollen? In allen Punkten war das Interesse der Bundesbürger eher gering.
Bei der Frage, ob die Bevölkerung über das Internet direkt mit politischen Entscheidungsträgern interagieren sollte, begrüßten 65 Prozent aller Italiener eine solche Möglichkeit. Bei den Deutschen waren es nur 35 Prozent. Und verblüffend: Die größte Ablehnung dieser Möglichkeit gab es mit 69 Prozent bei den Esten.
Valerie Mocker, bei Nesta verantwortlich für europäische Digitalpolitik, sieht trotzdem Potenzial: „Deutschland könnte ein Land von 80 Millionen Digital-Pionieren werden. Dafür braucht es nicht nur zum einen die technischen Möglichkeiten und Tools – sondern auch und vor allem den fruchtbaren Nährboden für Innovationen. Diesen müssen wir gemeinsam schaffen und weiter ausbauen.“ Hoffen wir, dass die EU-Rats-Präsidentschaft Estlands im nächsten halben Jahr dafür einige Impulse gibt.