Die Reisebranche wird zum digitalen Begleiter vor Ort

Die Reiseplanung und -buchung sind bereits zu großen Teilen online gegangen. Die nächste große Herausforderung der Branche ist nun die Interaktion mit den Reisenden, während diese unterwegs sind.

Die Reisebranche wird zum digitalen Begleiter vor Ort

Zwar werden viele Reisen noch immer offline gebucht. Dennoch dürfte die Reisebranche einer der am stärksten digitalisierten Sektoren sein. Bis 2020, so prognostizierte Euromonitor International kürzlich, werden 44 Prozent aller Umsätze und Buchungen im Reisesegment über das Internet und zunehmend über Mobilgeräte erzielt. Die Branche läge damit weit vor dem Einzelhandel, dessen E-Commerce lediglich auf einen geschätzten Anteil von elf Prozent am Gesamtgeschäft wachsen wird.

Der Kunde von heute sucht nach einzigartigen Erlebnissen. Online-Reisebüros passen vor diesem Hintergrund perfekt ins Bild: Denn hier kann der Kunde die Reiseplanung selbst übernehmen. Buchungsseiten, Fluggesellschaften und Hotels wiederum haben ihre Datenerhebung und Buchungsprozesse optimiert, um auf Kundenwünsche mit einer nahtloseren Customer Journey einzugehen.

Inspiration, Planung, Buchung und selbst die Vorab-Reisekosten wurden gewinnbringend digitalisiert. Nun richten Reiseunternehmen ihren Blick zunehmend auf das Erlebnis nach der Buchung. „Die Marken möchten stärker auf ihre Kunden eingehen. Während der Reise sind diese natürlich am empfänglichsten für Interaktionen, die ihren Urlaub betreffen“, sagt Otto Rosenberger, CMO bei Hostelworld. „Wenn Sie es als Unternehmen nur auf den Kaufabschluss abgesehen haben, dann kommunizieren diese Kunden mit ihnen eben nur während der Buchung.“

Wie Hostelworld bringen sich derzeit viele Akteure der Reisebranche in Position, um einen größeren Teil des digitalen Reiseerlebnisses abzudecken und damit auch ein größeres Stück vom Reisebudget zu erhalten. Dafür blicken sie über die Buchung hinaus, suchen nach neuen Einnahmequellen und mehr Interaktion.

Vernetztes Reisen

Die Abschaffung des Daten-Roamings in der EU hat Marketern neue Möglichkeiten eröffnet, den Kunden während der Reise auf seinem Smartphone zu erreichen. Reisende sind auch unterwegs immer länger online. Und sie verwenden Reise-Apps. App Annie zufolge wurden im vergangenen Jahr 20 Prozent mehr Reise-Apps heruntergeladen. In manchen Märkten hat sich die Nutzung mehr als verdoppelt.

„Wir beobachten bei Reise-Apps und Innovationen einen echten Wandel. So können Kunden ihren Urlaub ganz nach ihren Wünschen personalisieren. Reiseunternehmen sind praktisch überall mit Unterstützung zur Stelle, was wiederum die Loyalität stärkt“, erläutert Bertrand Salord, Senior Director of Marketing EMEA bei App Annie.

Zu den Innovationen gehört zum Beispiel, dass Airlines und Flughäfen Echtzeitinformationen über Verspätungen und Gates bereitstellen, um das stressige Boarding und Umsteigen zu erleichtern. Hotels führen den digitalen Check-in, die Zimmerauswahl durch den Gast und die Verwendung des Smartphones als Zimmerschlüssel ein. Letzteres hat Hilton kürzlich mit seiner Digital Key App umgesetzt.

Sozial vernetzt auf Reisen

Um die Digitalisierung nachhaltig zu etablieren, musste sich Hostelworld zum Reisepartner weiterentwickeln. Das Unternehmen möchte dabei den Bedürfnissen junger Reisender gerecht werden, die häufig solo und für ausgedehnte Zeiträume unterwegs sind.

Untersuchungen hätten gezeigt, dass diese Art Kunden eher an einem tollen sozialen Reiseerlebnis interessiert ist, als an einer reibungslosen Buchung, so Rosenberger. „Wir haben festgestellt, dass das Bett nicht so wichtig ist. Es geht um eine kulturell authentische Erfahrung. Also haben wir überlegt, was unsere Traveller aktiv werden lässt und welche Dienste wir anbieten könnten.“

Hostelworld verlegte daraufhin den Produktschwerpunkt auf seine App, die mit lokalen Entwicklern für iOS und Android verfügbar gemacht wurde. Im März 2016 wurde dann der MyTrips-Bereich gelauncht. Hier wird Grundlegendes wie Buchungsbestätigungen, aber auch Attraktionen und Restaurants vor Ort angezeigt. Laut Rosenberger haben bereits 45 Prozent der Kunden über die App mit der Marke interagiert und mehr als 90 Prozent gaben an, in der Konsequenz ein besseres Kundenerlebnis gehabt zu haben.

In diesem Jahr ging Hostelworld noch einen Schritt weiter, um die soziale Vernetzung für die Kunden zu verbessern: Mithilfe der neu bereitgestellten Funktion Hostel Noticeboard können Hostelbesitzer jetzt Informationen über Aktivitäten posten, wie Happy Hours oder kostenlose und geführte Touren.

Im Mai präsentierte das Unternehmen dann zusätzlich „Speak The World“. Mit dieser Funktion können Reisende über Google Translate miteinander kommunizieren. In den ersten vier Wochen wurden 1,2 Millionen Übersetzungen abgerufen. „Wer hätte jemals gedacht, dass Hostelworld einen Übersetzungsservice anbieten würde? Das ist ziemlich spannend für uns. Wir stärken damit die Marke und fördern die Interaktion mit den Kunden während der Reise“, sagt Rosenberger.

Bessere Echtzeit-Aktivitäten

Smartphones, bessere Vernetzung und ein umfassenderes Verständnis der Kundenwünsche sind gute Gründe, warum auch die Konkurrenz mittlerweile auf Aktivitäten und Touren für Reisende setzt.

Branchen-Insider sahen in der Übernahme von Viator durch TripAdvisor im Jahr 2014 eine Bestätigung für das Potenzial in diesem Bereich. Noch deutlicher wurde dies, als Airbnb Ende vergangenen Jahres ebenfalls einen großen Schritt in Richtung Reiseaktivitäten und personalisierte Erlebnisse machte.

„Das Internet hat die Reisedienstleistungen aus den Pauschalpaketen herausgelöst. Der Kunde kann diese jetzt selbst buchen. Da aber viele Marken wesentlich mehr mit ihren Kunden interagieren möchten, können die Big Player diese Angebote dank Mobile wieder in ein umfassenderes Reiseerlebnis integrieren“, sagt Bertrand Salord von App Annie.

Die französische Buchungs-Website Ceetiz verkauft Tickets für Top-Attraktionen, Städtetouren und außergewöhnliche Aktivitäten in der ganzen Welt. Marketingmanager Sébastien Gal sagt: „Obwohl der Großteil unserer Kunden im Voraus bucht, gibt es auch immer mehr Buchungen während der Reise.“ Ceetiz geht davon aus, dass dieser Wandel im Kundenverhalten zunehmend an Fahrt gewinnt.

Da nur ein kleiner Prozentsatz der angebotenen globalen Touren und Aktivitäten digital erhältlich ist, sieht man darin bei Ceetiz ein enormes Wachstumspotenzial. „Wir konzentrieren uns nun darauf, alle Aktivitäten sofort buchbar zu machen und sämtliche Tickets zu digitalisieren“, fügt Gal hinzu.

Eine schlechte Customer Experience am Reiseziel war der Ausgangspunkt für die europäische B2B-Initiative PasTimes, die EIT Digital im Rahmen seines Programms Digital Cities leitet. In beliebten Touristenzielen kooperiert EIT Digital mit dem Reisetechnologieanbieter Amadeus, um Buchungsdaten und lokale Informationen zu sammeln und zu kombinieren. Zu diesen Hotspots zählen Amsterdam, die Côte d’Azur und die Kanarischen Inseln. Ziel ist die Kommerzialisierung eines optimierten digitalen Produktes für die Reisebranche.

Stéphane Péan, Action Line Leader für Digital Cities, betont: „Der Hauptschwerpunkt liegt auf Echtzeitdaten, denn die große Herausforderung für die Reisebranche ist es, aktuell zu sein. Der Reisemarkt ist stark zergliedert und die Branche wird den Bedürfnissen des unabhängigen Reisenden, der sich personalisierte Reiseerlebnisse wünscht, nicht gerecht.“

Die richtigen Tools

Um das Erlebnis am Reiseziel zu optimieren, müssen Reisemarketer an den richtigen Stellen und mit der richtigen Technologie für einen Mehrwert sorgen. Smartphones sind für die Interaktion mit Reisenden unterwegs das wichtigste Instrument. Für kontrollierbare Umgebungen gibt es dagegen andere Optionen.

Besucherattraktionen wie Disneyland und Universal etwa haben Wearables eingeführt (MagicBand und TapuTapu), mit denen man unter anderem an den Besucherschlangen vorbei direkten Zugang zu Attraktionen erhält oder sein Zimmer auf- und abschließen kann. Und die Entwicklung geht weiter: Princess Cruises der Carnival Corporation wird 2018 wasserdichte Wearables einführen, die nicht nur als Kabinenschlüssel, sondern auch für die Orientierung an Bord, die Einstellung des Kabinenlichts sowie zur Kommunikation und zum Suchen von Familienmitgliedern und Freunden genutzt werden können.

„Als Kundenerlebnis-Profis müssen wir berücksichtigen, welches Gerät im jeweiligen Kontext am besten geeignet ist. Kinder sind vielleicht zu jung für ein eigenes Smartphone und ältere Reisende, die bei Kreuzfahrten zum Hauptpublikum gehören, nehmen ihr Telefon bei einem Tagesausflug manchmal gar nicht mit“, erläutert Klaus Sommer Paulsen, Geschäftsführer und Gründer des dänischen Experience Design-Studios AdventureLAB.

„Begrenzte Räume wie Erlebnisparks oder Kreuzfahrtschiffe sind ein perfekter Spielplatz zum Austesten von Technologien. Danach können sie in allen anderen erlebnisbasierten Umfeldern eingesetzt werden“, so Sommer Paulsen weiter. Reisemarketer können also viel vom Reiseattraktions-Geschäft lernen.