Formel E Medienchef Ali Russell lässt die Fans ans Steuer

Wie der Media and Business Director der Rennserie für Elektroflitzer den Innovationsgeist des großen Bruders Formel 1 kopieren möchte und das Publikum in die Fahrerkabine holt.

Formel E Medienchef Ali Russell lässt die Fans ans Steuer

Die Formel E-Saison 2016/17 erreichte Ende Juli in Montreal ihren Höhepunkt. Weitere Rennen der dritten Formel E-Meisterschaft wurden auf Stadtstrecken in Hongkong, Marrakesch, Buenos Aires, Mexico City, Monaco, Paris, Berlin und New York ausgetragen. Zehn Teams kämpften um den Sieg, darunter berühmte Namen wie Virgin Racing, Jaguar und Audi, wobei Renault e.dams die Teamwertung gewann und Lucas di Grassi als bester Fahrer ausgezeichnet wurde.

CMO.com hat den Media and Business Director der Formel E, Ali Russell, kurz vor den Renntagen in Montreal getroffen und gebeten, die Philosophie der Formel E zu erklären.

Ali Russell: Unsere Idee war es, eine Kurzversion des Motorsports zu schaffen. Im traditionellen Motorsport muss man drei oder vier Tage pro Strecke rechnen. Unsere Rennen finden an einem Tag auf Strecken im Stadtzentrum statt. Das Rennen selbst dauert weniger als eine Stunde und ist mit durchschnittlich 74 Überholmanövern sehr intensiv.

Die Formel E hat viel mit sozialem Wandel zu tun. Die Art, wie wir den Sport im Fernsehen präsentieren, führt junge Leute an Elektrofahrzeuge heran. Wir bauen Hürden dabei ab, sich mit der Technologie und Performance zu befassen und wir schaffen eine Plattform für Autobauer, mehr in Forschung, Entwicklung und Technologie für Elektrofahrzeuge zu investieren.

Die Formel 1 hat unzählige Innovationen hervorgebracht. Wir möchten denselben Innovationsgeist in der Formel E durchsetzen und den Wandel beschleunigen.

CMO.com: Wie ist die Formel E organisiert?

Russell: Die Formel E ist ein Unternehmen der FIA, dem Motorsport-Äquivalent der FIFA. Wir haben mit der Formula E Holdings die Lizenz erworben, die Formel E-Rennserie in den nächsten 25 Jahren zu organisieren und zu veranstalten.

Es liegt in unserer Verantwortung, die Austragungsorte und Teams zu sichern, sie der FIA vorzuschlagen, das Medienprodukt aufzubauen und den Sport zu kommerzialisieren. Wir veranstalten die Events und dabei setzen wir entweder ein lokales Team ein, das uns unterstützt, oder wir arbeiten mit einem Promoter zusammen, der das Event für uns organisiert.

CMO.com: Was ist Ihre Rolle dabei?

Russell: Ich bin Media and Business Director. Meine Rolle berührt so ziemlich alles, was wir tun − von den Teams über die Einbeziehung der Fahrzeughersteller, Support-Rennen, die Aufstellung der Rennkalender bis hin zum Aufbau unseres Medienprodukts, sowohl über traditionelle lineare Kanäle – 78 Sendeanstalten, die in 198 Länder übertragen – als auch über digitale Kanäle. Darüber hinaus bin ich für alle neuen Geschäftsinitiativen zuständig. In der Vergangenheit habe ich auch Aufgaben in den Bereichen Vertrieb und Partnerschaften, Marketingstrategie und Design übernommen.

CMO.com: Es wird oft gesagt, dass es der Formel E um eine neue Art von Fan geht. Was meinen Sie damit?

Russell: Der traditionelle Motorsport wird hinsichtlich seiner Demografie immer älter. Wir wollten ihm mehr Bedeutung zukommen lassen und ihn so verändern, dass er auch die Generation Snapchat anspricht. Wir konzentrieren uns auf ein deutlich jüngeres Publikum, die 15 bis 25-Jährigen, mit einer ausgeglicheneren Quote von Männern und Frauen. Im traditionellen Motorsport liegt die Männer-Frauen-Verteilung bei 90 zu 10, wir haben eine Verteilung von 60 zu 40.

Das bedeutet, dass die linearen Medien und das Fernsehen eine Rolle spielen, es geht nämlich darum, die Reichweite zu vergrößern. Es kommt aber auch darauf an, wie wir die digitalen Kanäle einsetzen, um viele unterschiedliche Botschaften auszuliefern, die uns dabei helfen, mehr als nur eine Rennserie aufzuziehen.

CMO.com: Wie sieht Ihre Strategie aus?

Russell: Wir versuchen, dem Konsumenten deutlich mehr Inhalt und Kontext zu bieten. Was mich beim Motorsport unter anderem sehr überrascht hat, ist die Tatsache, dass der emotionale Aspekt verloren geht, sobald der Fahrer den Helm aufsetzt. Das ist bei anderen Sportarten nicht so. Wir haben viel Arbeit darin investiert zu zeigen, wer diese Fahrer eigentlich sind, was sie motiviert, wer ihre Mitstreiter sind und wie viel ihnen die Formel E bedeutet. Die Fans sollen sie nicht nur als Sportstars, sondern auch als Menschen kennenlernen.

Mit unserem Produkt namens FanBoost haben wir von Anfang an für Innovation gesorgt. Die Fans können für ihren Lieblingsfahrer abstimmen und die ersten drei Fahrer bekommen zusätzliche Energie, sodass sie überholen oder ein Verteidigungsmanöver starten können. Und das Voting wird live übertragen.

Die Formel E ist der einzige Sport, bei dem die Leute zu Hause Einfluss auf das Ergebnis nehmen können, und das war uns wirklich wichtig. Wir haben gesehen, wie sich die Musik durch Castingshows wie X Factor verändert hat, und wir wollten im Rahmen dieses neuen Formats etwas einführen, das die Fahrer dazu anregt, mehr für die Beziehung zu ihren Fans zu tun. Wir glauben, dass dieser Schritt wirklich wichtig war, um sicherzustellen, dass der Schwerpunkt des Ökosystems auf den Sozialen Medien liegt.

Wir sind sehr aktiv in den Sozialen Medien unterwegs. Während des Events nehmen wir nahezu live übertragene Grabyo-Clips von Momenten wie einer Überholung, einem Crash oder einer Siegesfeier auf, die innerhalb einer Minute online sind und direkt geteilt werden können. Wir stellen diese Clips über unsere eigenen Kanäle bereit und ermuntern die Leute zusätzlich, diese so oft wie möglich zu teilen. So hören immer mehr Menschen von der Formel E, schalten ein und werden Fans.

Wir geben viel Geld für kurze Inhalte und die Distribution von Originalinhalten aus. Wir nehmen jährlich etwa 500 Kurzclips auf, die wir über verschiedene Kanäle übertragen. Am Anfang haben wir YouTube bevorzugt, aber mittlerweile sind wir auch mit unseren Inhalten auf Facebook und unserem Live-Produkt sehr erfolgreich. Letzteres ist unseren Konsumenten sehr wichtig und es ist in der Lage, die Verbundenheit zu schaffen, die wir uns wünschen.

CMO.com: Das Interessante an Ihrer Innovationsmethode und Marke ist, dass sie beiderseitig ausgerichtet sind. Auf die Autohersteller, aber auch nach außen, zum Beispiel mit Ihrem VR-Projekt.

Russell: Wir versuchen, unser Videoprodukt mit Innovationen zu ergänzen, die nicht bloß Prestigeprojekte sind, sondern dabei helfen, das Produkt zu verstehen und zu nutzen und das Zuschauererlebnis zu optimieren. Dabei steht VR für uns ganz oben auf der Liste. Sie ermöglicht es dem Konsumenten, in das Rennen einzutauchen und ihm näher zu kommen als je zuvor. Zum ersten Mal ist es möglich, dass Sie dem Rennen durch das In-App-Erlebnis zu Hause deutlich näher kommen, als die Besucher des Events vor Ort.

Unser Traum sind echte Live-Rennen, bei denen Sie von zu Hause in Echtzeit gegen echte Autos antreten können. Wir geben Ihnen und den Fahrern die Strecke zeitgleich frei. Sie können trainieren, sich für einen nach Zeit vergebenen Startplatz qualifizieren und dann in Echtzeit gegen die Formel E-Fahrer antreten. In diese Richtung möchten wir gehen.

Wir haben viel in den E-Sport investiert, weil er so revolutionär ist. Er eröffnet unglaubliche Möglichkeiten, eine Verbindung zu den jüngeren Zuschauern aufzubauen. Real Racing ist beispielsweise ein Spiel, das auf 380 Millionen Smartphones weltweit installiert ist. Die Spieler können gegeneinander zocken und dann nach New York kommen, wo wir das Produkt auf einen Simulator mit Lenkrad und Pedalen übertragen haben, mit dem sie gegen unsere Fahrer antreten. In dieser Interaktivität liegt das Geheimnis der Formel E.

CMO.com: Wie sieht die Beziehung zu den einzelnen Teams aus?

Russell: Die Teams sind im Grunde Franchises. Manche werden von den Herstellern selbst aufgestellt, andere haben einen Hersteller als Partner. Beide versuchen, das geistige Eigentum und die Innovation voranzutreiben. Dann bezahlen wir die Teams nach Ergebnissen. Es gibt ein Preisgeld für die besten Teams und Fahrer, die einen Platz auf dem Podium ergattern und beständig abliefern konnten.

CMO.com: Wie wichtig sind Ihnen deren Ziele und Ambitionen?

Russell: Wir sind da eng verbunden. Ich habe bereits Einblicke in viele Sportarten gesammelt − entweder als Teamleiter oder als Teil eines Vorstands − und noch nie habe ich eine derartige Nähe erlebt, wie es sie in der Formel E gibt. Das bedeutet, es gibt deutlich mehr Kooperation und das kann zu einer wesentlich konsistenteren Botschaft und einer sich entwickelnden Meisterschaft führen. Auch bei der Wahl des Fahrers, dem wichtigsten Akteur des Rennens, vertrauen wir auf das Team.

CMO.com: Was werden wir als nächstes zu sehen bekommen?

Russell: Am Anfang war ein Ziel, mehr Leistung aus den Autos herauszuholen, doch die Batterie bereitete uns Schwierigkeiten. Also starteten wir die Rennserie mit einem Zwei-Wagen-Konzept − jeder Fahrer hat zwei Autos, die er mitten im Rennen wechselt. Das Rennen wird mit dem zweiten Auto beendet. Einen unserer stolzesten Momente werden wir in der fünften Saison erleben. Wir konnten nämlich die Batteriechemie weiterentwickeln und so anpassen, dass wir nur noch ein Auto benötigen. Diese Innovation zeigt, welche Entwicklung die Automobilindustrie in so kurzer Zeit erfahren hat. Das ist für uns absolut unverzichtbar.

Dann kommt es darauf an, dass wir unser Produkt stets weiterentwickeln und die Fanbase ausbauen, da sie langsam an Dynamik gewinnt. Wir möchten diese Dynamik beibehalten und unser Potenzial in den nächsten fünf bis zehn Jahren voll entfalten.