Digitaler Bürgerservice: Behördenmühlen mahlen (zu) langsam

Heute genau in vier Wochen – am 24. Sep­tem­ber – ist Bun­destagswahl. Und die Spitzenkan­di­dat­en der bei­den derzeit­i­gen Regierungsparteien übertr­e­f­fen sich in ihren Pro­gram­men mit Ankündi­gun­gen zum The­ma Dig­i­tal Gov­ern­ment. „Ich will, dass der Staat online geht – und zwar 24 Stun­den am Tag, sieben Tage in der Woche”, sagte Her­aus­forder­er Mar­tin Schulz bei der Vorstel­lung des „Zukun­ft­s­plans für Deutsch­land“ der SPD. Und zwar nicht in fern­er Zukun­ft, son­dern „inner­halb der näch­sten fünf Jahre“ mit einem Deutsch­land­por­tal für Bürg­er und Unternehmen „schnell, ein­fach und in ver­ständlich­er Sprache”.

Die amtierende Bun­deskan­z­lerin Angela Merkel kon­terte bei ein­er CDU-Wahlkampfver­anstal­tung im Ost­see­bad Zingst: „Die Bürg­er sollen Ver­wal­tungsan­gele­gen­heit­en kün­ftig über ein zen­trales Inter­net­por­tal erledi­gen – unab­hängig davon, ob es um Behör­den von Bund, Län­dern oder Kom­munen geht“. Ein „unguter Flick­en­tep­pich im dig­i­tal­en Bürg­erver­hält­nis“ müsse ver­mieden werden.

Deutsch­land hinkt bei E‑Government hinterher

Soweit, so richtig! Allerd­ings stellt sich die Frage, was die bei­den Koali­tion­spart­ner in den let­zten vier Jahren gemacht haben? Schließlich tra­gen die Regierungsparteien die poli­tis­che Ver­ant­wor­tung. Im „Euro­pean Dig­i­tal Progress Report_“ _der EU-Kom­mis­sion wird fest­gestellt, dass Deutsch­land in zwei Bere­ichen der Dig­i­tal­isierung dem europäis­chen Durch­schnitt weit hin­ter­her­hinkt: Beim Glas­fas­er-Inter­net für End­kun­den und im E‑Government. Bei let­zterem rang­iert die Bun­desre­pub­lik im EU-Rank­ing nur auf Platz 18 von 28. Lediglich 19 Prozent der deutschen Inter­net­nutzer greifen laut dem Report auf entsprechende Ange­bote zurück, das ist ein­er der niedrig­sten Werte in Europa.

Die EU Kom­mis­sion hat deshalb der Bun­desregierung und den Län­dern emp­fohlen, den „Bekan­ntheits­grad der beste­hen­den Ange­bote zu erhöhen, sie benutzer­fre­undlich­er zu gestal­ten und dabei die daten­schutzrechtlichen Bedenken der Bürg­er zu berück­sichti­gen“. Die föderale Struk­tur der Bun­desre­pub­lik sei zwar eine beson­dere Her­aus­forderung, aber die oft inkom­pat­i­blen Sys­teme der Län­der und des Bun­des kön­nten durch den Ein­satz „bere­its ver­füg­bar­er Lösun­gen für gren­züber­schre­i­t­en­des E‑Government erset­zt wer­den.

Beta-Ver­sion des Bürg­er­por­tals noch vor der Wahl?

Immer­hin: Vor eini­gen Wochen wur­den nun endlich die geset­zlichen Grund­la­gen für das Online‑Bürgerportal geschaf­fen und mit dem Entwurf für ein Onlinezu­gangsverbesserungs­ge­setz (OZG) sollen Bund, Län­der und Kom­munen dazu verpflichtet wer­den, bis Ende 2022 alle „rechtlich und tat­säch­lich geeigneten Ver­wal­tungsleis­tun­gen” auch online anzu­bi­eten. Fast schien es – so ein Bericht der Wirtschaftswoche mit der Beru­fung aus Quellen im Innen­min­is­teri­um – wahrschein­lich, dass das rund 500 Mil­lio­nen Euro teure Ver­wal­tungsportal des Bun­des sog­ar noch vor dem Wahlter­min in ein­er Beta-Ver­sion freigeschal­tet wird. Doch daraus wird nun wohl wieder nichts. Im Augen­blick ste­ht der Start­ter­min erst ein­mal in den Ster­nen, zumin­d­est kann das Innen­min­is­teri­um derzeit keine Angaben dazu machen.

Kri­tik­er befürcht­en ohne­hin einen Fehlschlag für das Mam­mut­pro­jekt in sein­er jet­zi­gen Form. Denn welche der gut 5.500 Fachan­wen­dun­gen und ‑ver­fahren der öffentlichen Ver­wal­tun­gen in Deutsch­land mit welch­er Methodik auf das Por­tal gebracht wer­den sollen, sei nir­gend­wo ein­deutig fest­gelegt. Zudem ste­he auch noch eine Eini­gung über die Basis-Soft­ware für solch ein Online‑Bürgerportal aus. Und es gäbe erhe­bliche Kon­flik­te um die Finanzierung: Denn ein Großteil der jährlichen Betrieb­skosten soll bei den Städten und Gemein­den hän­gen bleiben, was dort auf mas­siv­en Wider­spruch stößt. Der Deutsch­land­funk zitiert einen Mitar­beit­er eines der beteiligten Unternehmen, der von „min­destens zehn Jahren“ aus­ge­ht, bis eine Eini­gung über die grundle­gen­den Stan­dards für das Por­tal zwis­chen Bund, Län­dern und Kom­munen erre­icht ist.

Bürg­er­in­ter­essen stärk­er in den Fokus rück­en

Bis dahin wer­den sich dann allerd­ings auch die tech­nol­o­gis­chen Grund­la­gen weit­er­en­twick­elt haben. Franz-Rein­hard Habbel vom Deutschen Städte- und Gemein­de­bund (DSt­GB) machte das kür­zlich bei einem Experten­fo­rum des Bun­desver­bands Deutsch­er Inter­net­por­tale (BDIP) im Berlin­er Roten Rathaus deut­lich: „Das Fes­thal­ten an der eige­nen Home­page ist für die Kom­munen mit­tel­fristig überflüs­sig, denn Chat­bots besitzen das Poten­tial, den Por­talver­bund überflüs­sig zu machen.“ Sein zen­traler Kri­tikpunkt: „Die Ver­wal­tung nimmt nicht genü­gend die Inter­essen der Nutzerin­nen und Nutzer in den Fokus, hier ist ein Kul­tur­wan­del zwin­gend erforder­lich.“ Dass die Bun­desregierung die Umstel­lungskosten auf den Por­talver­bund in Mil­liar­den­höhe tra­gen werde, sei dage­gen eine große Chance.

Das Beispiel von Kana­da zeigt, dass ein effizientes Ver­wal­tungsportal mit einem opti­malen „Bürg­er­erleb­nis“ auch in einem Land mit föderalen Struk­turen real­isier­bar ist. Zusam­men mit Adobe hat die Regierung dort ein Pro­jekt ges­tartet, um den dig­i­tal­en Bürg­erser­vice zu trans­formieren und zu mod­ernisieren – ein­schließlich der Kon­so­li­dierung aller vorhan­de­nen Inter­net-Auftritte und einem kom­fort­ablen mobilen Zugang. Das Ziel ist klar definiert: Ein Por­tal zu schaf­fen, über das die Ein­wohn­er Kanadas bess­er informiert wer­den und ein­fach­er mit den Behör­den inter­agieren kön­nen. Dazu wur­den im ersten Schritt rund 11 Mil­lio­nen einzelne Web­seit­en von Behör­den auf eine neue Web-Ser­vice-Plat­tform umgestellt, die auf Basis von Adobe Expe­ri­ence Man­ag­er (AEM) and Adobe Ana­lyt­ics arbeitet.

Cus­tomer Expe­ri­ence ste­ht in Kana­da im Mittelpunkt

Der Aus­gangspunkt vor zwei Jahren war – ähnlich wie in Deutsch­land – ziem­lich kom­plex. Denn beispiel­sweise gab es zu diesem Zeit­punkt rund 1.500 unter­schiedliche Web­sites von Min­is­te­rien, Bun­desver­wal­tun­gen und anderen Ein­rich­tun­gen von über 100 Behör­den. Jede arbeit­ete mit unter­schiedlichen Plat­tfor­men, die sich durch eine eingeschränk­te Skalier­barkeit und diverse Serv­er-Kon­fig­u­ra­tio­nen und Soft­ware­ver­sio­nen ausze­ich­neten. Wir haben dabei geholfen, diesen his­torisch gewach­se­nen IT-Dschun­gel auf eine einzige benutzerzen­tri­erte Plat­tform zu migrieren.

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Canada.ca: Deliv­er­ing Dig­i­tal Expe­ri­ences That Mat­ter — Michel Lavi­o­lette from scoop­news­group

Dies erle­ichtert der kanadis­chen Regierung heute die Ver­sorgung ihrer Bürg­er mit den Inhal­ten, die für eine her­vor­ra­gende Cus­tomer Expe­ri­ence notwendig sind. Ein Klick auf www.canada.ca on – am PC oder mit dem Handy – zeigt vielle­icht am besten, was ich damit meine. Mit dieser dig­i­tal­en Inno­va­tion im öffentlichen Dienst find­en die Ein­wohn­er des Lan­des nun alle rel­e­van­ten Infor­ma­tio­nen und Dien­stleis­tun­gen an ein­er einzi­gen Stelle – und zwar sich­er und unter Ein­hal­tung aller Datenschutzbestimmungen.

Von diesem zen­tralen Ansatz aus­ge­hend, set­zt sich die dig­i­tale Trans­for­ma­tion mit­tler­weile auf die lokale Ebene fort. Den Kom­mu­nalver­wal­tun­gen ste­hen „Werkzeugkästen“ und vorkon­fig­uri­erte Ele­mente zur Ver­fü­gung, mit deren Hil­fe sie ihre eige­nen Web­sites an den Bun­des­stan­dard anpassen und sich naht­los in das Bürg­er-Por­tal inte­gri­eren kön­nen. Und auch für die Mitar­beit­er in den Behör­den bringt dieser stan­dar­d­isierte Ansatz mit Hil­fe der Adobe‑Lösungen nicht nur eine deut­liche Arbeit­ser­le­ichterung durch das ein­heitliche Man­age­ment. Son­dern auch das Sicher­heit­sniveau ist höher. Gle­ichzeit­ig reduzieren sich die Kosten.

Durch den Ein­satz von Adobe Ana­lyt­ics auf allen Ebe­nen und der dadurch gewonnenen Dat­en kann das Por­tal kon­tinuier­lich opti­miert und durch die Per­son­al­isierung der Inhalte immer bess­er an einzelne Nutzer­grup­pen angepasst wer­den. Ob es sich nun um ein Unternehmen han­delt, das eine Aus­fuhrgenehmi­gung benötigt, oder den Ein­wohn­er ein­er Gemeinde auf der Suche nach den Abholzeit­en für seine Müll­ton­nen – alle find­en mit weni­gen Mausklicks die richti­gen For­mu­la­re und Infor­ma­tio­nen. Viele Behör­dengänge lassen sich heute auch schon kom­plett online erledigen.

Dig­i­talmin­is­teri­um soll die Her­aus­forderun­gen bewälti­gen

Mit­tler­weile verdicht­en sich die Speku­la­tio­nen, dass in Deutsch­land nach der Wahl am 24. Sep­tem­ber eine Dig­i­talmin­is­terin oder ein Dig­i­talmin­is­ter mehr Schwung in die zähen E‑Gov­ern­ment-Prozesse brin­gen soll. Die FAZ spekuliert auch schon über entsprechende Namen und stellt in einem Kom­men­tar fest: „Es wird Zeit, dass das Land die Ideen Wirk­lichkeit wer­den lässt – und der Diskurs darüber nicht nur von ein­er Fachöf­fentlichkeit, son­dern von der Gesellschaft ins­ge­samt getra­gen wird. … Entschei­dend ist, dass die neue Posi­tion mit poli­tis­chem Gewicht und tech­nis­ch­er Kom­pe­tenz zugle­ich beset­zt wird. Ohne die Hil­fe der Kan­z­lerin oder des Kan­zlers wird das nicht gehen. Der dig­i­tale Umbau muss Chef­sache sein, im Staat wie in jedem Unternehmen.

Damit trifft der Kom­men­ta­tor genau den Punkt, den auch unsere Studie „Mont­ge­las 4.0 – Bay­ern auf dem Weg zum mod­er­nen e‑Government” schon im Ergeb­nis ein­er Befra­gung von Entschei­dern in den Behör­den des Freis­taats fest­gestellt hat: „Poli­tik und Ver­wal­tung soll­ten die Posi­tion eines Chief Dig­i­tal Offi­cer (CDO) mit mehr Ver­ant­wor­tung und Entschei­dung­shoheit schaf­fen. Erst dann wird Dig­i­tal­isierung nicht mehr als Anhängsel der IT-Abteilung betra­chtet wer­den, son­dern behör­den­in­tern und -übergreifend den Stel­len­wert bekom­men, der ihr gebührt.“