Was Marken vom ersten Aston Martin-Konzeptauto lernen können
Der 1940 gebaute Atom von Aston Martin ist das weltweit erfolgreichste Konzeptauto. Noch heute ist der mehr als 75 Jahre alte Kultwagen fahrtüchtig. Führungskräfte können von der bemerkenswerten Geschichte des Atoms Vieles lernen, genauer gesagt vier Lektionen.
Fotos mit freundlicher Genehmigung von Bonhams
Der Atom ist ein Kultsymbol der britischen Automobilgeschichte. Obwohl der elegante Flitzer vor mehr als 77 Jahren gebaut wurde, ist er noch heute fahrtüchtig. Das berühmte Konzeptauto hat die Geschichte der Marke Aston Martin geprägt. Für heutige Führungskräfte ist der Atom ein wunderbares Lehrstück in vier Akten.
1. Akt: Mit einer Vision führen
Der Atom beruht auf einem Design vom damaligen Firmenchef Gordon Sutherland. Sutherland war der Überzeugung, dass die Nachkriegsautomobile immer raffinierter und schneller werden und mehr Komfort bieten würden. Inspiriert von neuen Denkweisen jenseits der Automobilwelt hatte er die Vision, den Nervenkitzel eines Sportwagens mit der Eleganz einer Limousine zu verbinden.
Sutherland wurde in den frühen 1930er Jahren in Deutschland Zeuge der Entwicklung des legendären DeltaWings. Also wies er seine Entwickler rund um Chefingenieur Claude Hill an, ein Auto aus leichten Materialien basierend auf Flugzeugdesigns zu entwerfen. Er ließ Hill freie Hand beim Umsetzen seiner eigenen Ideen.
Progressive Führungskompetenzen wie diese – über den Tellerrand hinaus auf andere Bereiche zu schauen, ein ehrgeiziges Ziel anzuvisieren und Experimente zuzulassen – sind für leitende Manager auch heutzutage unerlässlich. Nur so können sie und ihre Teams in einem Zeitalter heftiger Konkurrenzkämpfe erfolgreich sein.
2. Akt: Mit ganzheitlichen Designs den Weg ebnen
Claude Hill entwarf eine ultramoderne und extrem innovative viertürige Limousine, die ihrer Zeit weit voraus war. In der weltweiten Automobilpresse fand sein Entwurf großen Beifall.
Der Prototyp hatte einen Splitscreen und Hammock Seats. Er war mithilfe von Bohrschrauben und Nylock-Muttern gebaut worden, wie man sie damals in der Luftfahrt verwendete. Selbst die Herstellungsmethoden waren neu. Zwei Arbeiter brauchten gerade einmal zehn Tage, um ein komplettes Chassis dieses robusten und dennoch schlichten Designs zu bauen. Als Konzeptfahrzeug war es leicht modifizierbar und kostengünstig zu produzieren, was angesichts der Materialknappheit der Nachkriegszeit ein entscheidender Vorteil war. Der Atom gilt als Zeitgenosse des Spitfire-Jagdflugzeugs und als Vorläufer der wunderschönen Aston Martin-Modelle aus den 1950er- und 1960er-Jahren.
Die internen und externen Designmerkmale des Atoms ermöglichten eine agile Entwicklung und schnelle Automatisierung – zwei Prinzipien, die heutige Führungskräfte beachten sollten, wenn sie mit neuen Produkten erfolgreich sein wollen.
3. Akt: Unkonventionelle (aber sinnvolle) Technologien nutzen
Noch heute verehren Fans den Atom für seine bahnbrechenden Technologien. Das leichte, aerodynamische Aluminium-Chassis kam dem Rohrrahmen des 300SL Gullwing von Mercedes Benz um mehr als ein Jahrzehnt zuvor. Basierend auf einem Design von Gordon Armstrong hatte man den Atom vorne mit einer neuartigen Lenkerachse mit Einzelradaufhängung und als erstes britisches Fahrzeug überhaupt mit der beliebten Salisbury-Hinterachse ausgestattet. Sein halbautomatisches Cotal-Schaltgetriebe war der Vorläufer des heutigen Automatikgetriebes.
Diese Innovationen wurden nur in Betracht gezogen, weil der Atom ein rein experimenteller Prototyp sein sollte. Aston Martin sah in der neuen Technologie jedoch die Zukunft des Automobils und ließ viele Ideen patentieren – was enorme Auswirkungen auf den künftigen Erfolg der Marke hatte.
Moderne Marketer stehen unter dem Druck, schnelle Erfolge zu erzielen und zügig Gewinne einzufahren. Diese Erwartung heizt die Entwicklung zahlreicher Prototypen an, die getestet und überarbeitet werden. So wird dann zwar schrittweise das Design verbessert, aber kaum die notwendigen Erfahrungswerte für die Zukunft gesammelt.
Das gelingt nur, wenn Marketer ihren Teams Zeit und ein Budget an die Hand geben, um potenziell unverkäufliche Konzepte zu entwickeln, die letztendlich aber wegweisende Funktionen für zukünftige Produkte liefern.
4. Akt: Flexibilität ist entscheidend
Obwohl der Zweite Weltkrieg dem Unternehmen unerwartete Erträge durch die Produktion von Flugzeugkomponenten bescherte, konzentrierte man sich bei Aston Martin auf die Kriegsproduktion, anstatt den aufregenden neuen Prototypen weiterzuentwickeln.
Die unerwartete Folge war, dass der Atom einen ausgedehnten Testzyklus durchlief. Während der Kriegsjahre kamen so rund 160.000 Kilometer auf dem Tacho zusammen. Die Ingenieure verbesserten derweil Handling und Fahrkomfort, der sogar bei Geschwindigkeiten zwischen 145 bis 160 Kilometern pro Stunde gegeben war.
Der Beginn des Krieges hatte das Team entmutigt, doch man änderte das Konzept und konzentrierte sich auf das, was getan werden konnte – Testen und Anpassen. Flexibel neuen Hindernissen ausweichen zu können, ist ein wichtiger Aspekt für Digitalisierungsprojekte. Es ist notwendig, sich stetig verändern zu können, um erfolgreich zu sein.
Als Sutherland klar wurde, dass die Serienproduktion des Atom sehr teuer werden würde, bot er das Unternehmen über eine Kleinanzeige in der Zeitung The Timeszum Verkauf an. Der englische Industrielle David Brown las die Annonce und machte eine Probefahrt im Atom.
Er war beeindruckt und erkannte in der fortschrittlichen Technik und den Patenten den Schlüssel für den zukünftigen Erfolg der Marke. 1947 kaufte Brown das Unternehmen Aston Martin, das fast 25 Jahre in seinem Besitz verblieb.
Die letzte Meile
Kurz nachdem Brown Aston Martin übernommen hatte, begann man mit dem Bau eines aktualisierten Modells. Dieser Prototyp wurde 1948 zum 24-Stunden-Rennen bei Spa angemeldet, um seine Ausdauer zu testen. Wagen und Fahrer holten auf Anhieb den ersten Platz.
Im gleichen Jahr begann der Verkauf des ersten in Serie produzierten Modells, einer 2-Liter-Sportversion, die später als DB1 bekannt werden sollte. Fünfzehn Jahre darauf hatte der kultige DB5 in „James Bond 007 – Goldfinger“ sein Debüt, was eine 50 Jahre währende Partnerschaft mit dem James Bond-Franchise einläutete.
Der Atom und seine Geschichte hatten großen Anteil an der Entstehung der Kultmarke Aston Martin. Uns hat er so einiges über Innovationen gelehrt, das noch lange relevant sein wird – in der Automobilbranche und darüber hinaus.