Hat TV-Content seinen Zenit erreicht?

Seit den 50er Jahren ist das Fernsehen ein wichtiger Kanal für Marken. Mit eigenem Content und Produktplatzierungen ließ sich der Zuschauer wunderbar erreichen. Ist das im Zeitalter von Netflix, Amazon Prime und Co. noch möglich?

Hat TV-Content seinen Zenit erreicht?

Im August war es endlich soweit. Ich hatte Urlaub und endlich mal Zeit für mich. Weil es Amazon und Netflix einem erlauben, Inhalte direkt auf das iPad herunterzuladen, hatte ich die verrückte Idee, jede Menge Filme und Serien mit in den Urlaub zu nehmen. Mit Binge-Watching würde ich mein Wissen zu all den grandiosen Serien, die das moderne Fernsehen in Endlosschleife hervorzubringen scheint, auf den neuesten Stand bringen.

Dazu kam es nicht. Die Auswahl war einfach viel zu groß und in manchen Fällen, wie bei einer Serie mit mehr als 40 Episoden, geradezu abschreckend. Fühlt sich das nur für mich so an oder haben wir eventuell den TV-Zenit erreicht? Haben wir den Gipfel dessen erklommen, was wir an Serien und Filmen produzieren und konsumieren können?

Content ist das Opium des Volkes

Wir leiden an einem Content-Überangebot. Dabei kann man nicht mal sagen, die Inhalte würden nichts taugen. Es geht hier nicht um das millionste Amateurvideo, wovon jede Sekunde ein neues auf YouTube hochgeladen wird. Ich spreche vom wirklich guten Zeug – den teuren, extrem gut produzierten, clever erzählten Formaten, die von den besten Sendern und Medienhäusern der Welt produziert werden.

Man sollte meinen, dass damit auch für Marken ein goldenes Zeitalter angebrochen wäre. Die Welt der Werbung wird immerhin vom Zusammenhang zwischen Marken und Inhalten geprägt. Man muss seine Botschaft nur zum richtigen Zeitpunkt dem richtigen Publikum präsentieren, wie es so schön heißt. Pusteblume. Marken sind von der Beziehung der Konsumenten zu ihrem Content im Sinne einer Währung abhängig. Und genau das hat sich verändert.

Wie wir heute leben

Es gibt heutzutage einen solchen Überfluss an Content, dass jeder von uns zum Kurator, Redakteur und Influencer geworden ist. Sollen wir mal etwas Neues ausprobieren, schauen wir uns eine alte Lieblingsserie an oder lassen wir uns auf das ein, was jemand empfohlen hat? Schwimmen wir mit dem Strom und sehen uns die Serie gleich zur Erstausstrahlung an, oder heben wir sie uns für einen verregneten Sonntag auf, obwohl sich bis dahin ja wieder ein ganzer Berg an Sehenswertem angesammelt hat? Unsere Zeit ist begrenzt, weshalb wir sie sinnvoll nutzen sollten.

Das gilt auch für Marken.

Content, besonders der erzählerische, muss erstellt, gepflegt und in einen Zusammenhang gebracht werden. Das ist eine wichtige Komponente des Marketingkonzepts. Seitdem HBO, Netflix, Amazon Prime und Co. die Welt erobert haben, gibt es schlichtweg weniger Optionen, um Werbung zu platzieren. Man muss also flexibler werden und neue Wege finden, um den Konsumenten zu erreichen.

Welche Konsequenzen hat das für Sie? Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die Sie – über reine Werbeanzeigen hinaus – bedenken sollten, wenn Sie Ihre Marke mit „Mainstream“-Inhalten in Verbindung bringen möchten.

Lang soll’n sie leben

Wie lange können Sie an einem Medienprodukt verdienen? Der Long Tail beschreibt die nutzbringende Lebensdauer eines Produkts. Wird die Serie, die Sie ausgesucht haben, ein echter Dauerbrenner?

Diese Frage ist besonders für die Produktplatzierung relevant. Als die Macher der Fernsehserien „Chuck“ und „Community“ ihren Vertrag mit der Sandwich-Kette Subway unterzeichneten, gab es keine Bedenken, dass das irgendwann obsolet wirken würde. Es ging einfach nur um Fastfood. Das Nokia Handy von Neo in „Matrix“ hingegen wirkt heute fast lächerlich.

Wird Ihr Produkt noch relevant sein, wenn die Zuschauer es sehen? Oder wird es wie ein kurioser Rückblick in eine andere Zeit wirken? Wenn die Gefahr besteht, dass die technische Entwicklung in Ihrer Branche demnächst einen Quantensprung macht, ist ein dezenter Hinweis auf Ihre Marke womöglich besser geeignet als das coole Gadget in der Hand des Helden.

Stören Sie nicht – unterstützen Sie.

Werbung stört, gar keine Frage. Heutzutage haben Sie aber viele andere Möglichkeiten, um das Produkt zu präsentieren. Kanal, Format und Inhalt sollten den Charakter des Produkts wiederspiegeln und ergänzen und nicht nur ein schrilles „Ich bin cool!“ in die Welt hinausschreien.

Oder sollten Sie den Serien-Hype vielleicht doch links liegen lassen und die Online-Community direkt ansprechen? Hinter den Kulissen rumort es. Es gibt viele spannende Alternativen, um Zielgruppen zu erreichen.

Eine oder mehrere?

Sollten Sie auf eine bekannte Serie oder einen Film setzen? Oder auf ein breiter angelegtes und ganzheitlicheres Konzept? Ist eine einzelne große Kampagne besser geeignet als ein ganzes Portfolio mit kleineren Kampagnen? Größere Serien können Ihnen Probleme bereiten, weil es hier – von den Kosten mal ganz abgesehen – wahrscheinlicher ist, dass die Serie vor Ablauf ihres Verfallsdatums an Wirkung verliert.

Lost, Heroes, Desperate Housewives, Entourage, Prison Break und Dexter waren allesamt zuerst ein großer Hit und sind dann im Sande verlaufen. Im Verlauf der langen Ausstrahlungszeit machten sich statt Vorfreude allmählich Langeweile, Frust und das Gefühl breit, „in der ersten Staffel war alles viel besser“. In so etwas wollen Sie Ihre Marke nicht unbedingt hineinziehen.

Davon mal abgesehen: Wer will das gleiche erreichen? Spielen Sie das „Ich will das auch“-Spiel? Die zunehmend anstrengende Welt der Influencer verdeutlicht gerade die Risiken der Überpräsenz. Wollen Sie wirklich eine von unzähligen Marken sein, die um den Eisernen Thron kämpft?

Wie sieht es mit Ihrem eigenen Marken-Content aus? Was Sie selbst erstellen, wird unweigerlich gegen den gesamten anderen Content da draußen antreten. Ist man bei Ihnen kreativ und talentiert genug dafür? Das ist eine schwierige und womöglich teure Frage. Wer kann angesichts der Unmengen an hochwertigem Content behaupten, dass seine Inhalte wirklich einzigartig sind?

Sind Film und Fernsehen überhaupt noch relevant für Ihre Marke?

Sie halten solche Projekte vielleicht für cool, aber was ist, wenn Ihre Kunden lieber Smoothies mixen, sich einen Bart wachsen lassen und aus ihren Jeans Shorts machen? Lassen wir den einfachen Werbespot im klassischen Fernsehen mal außer Acht. Für Marken, die schnellen Erfolg wollen, ist es ein Problem, wenn die Zuschauer eine Serie erst später und dann komplett anschauen. Es gibt eine Menge anderer Formate, die viel schneller konsumiert werden.

Wird es Sie überhaupt noch geben, wenn Ihre Initiative endlich Wirkung zeigt? Marketingchefs sind eine kontaktfreudige Spezies. Länger als ein oder zwei Jahre bleiben sie selten in einem Unternehmen. Trotzdem müssen sie entscheiden, wo sie ihre Medien platzieren.

Und da liegt der Hund begraben. Das ist die Gretchenfrage sozusagen. Fragen Sie sich selbst, ob das Geld anderswo nicht besser angelegt wäre. Vielleicht wäre es klüger, dass die Player mit den großen Owned Content-Investitionen und eigenen Plattformen den Kampf erst einmal unter sich austragen. Damit meine ich Netflix, Yahoo, Amazon, Hulu, Facebook, HBO, Xbox, PlayStation, Sky und all die anderen. Irgendwann wird der Weg dann sicher wieder frei sein.

Tatsache ist, dass es in jüngster Zeit viel schwieriger geworden ist, Budget in die Fernsehwerbung fließen zu lassen. Und auf absehbare Zeit wird es eher schwerer als leichter. Weniger ist derzeit mehr.