Wenn Experience explodiert und warum die dmexco erst am Anfang steht
Viel durfte die dmexco in diesem Jahr schon im Vorfeld an Kritik einstecken, darunter auch viel Widersprüchliches und einiges, das polarisiert. Für mich spricht das eher für die Bedeutung der dmexco als digitales Branchenevent, das seine besten Zeiten noch vor sich haben könnte.
Für uns bei Adobe ist die dmexco eines der zentralen externen Business-Events. In diesem Jahr sind wir mit über 100 Kolleginnen und Kollegen vor Ort, bei der Planung waren noch einige Dutzend mehr beteiligt. Wir nutzen die Plattform, um der Branche unsere Innovationen zu zeigen, unsere wichtigsten Partnern und Kunden zu treffen, und um uns mit Experten und Machern der Marketingszene über internationale Trends und aktuelle Themen auszutauschen.
Doch mit Blick auf mein Tagesgeschäft hoffe ich insgeheim, dass die dmexco erst am Anfang steht, denn für das Verständnis der Themen unserer Branche ist, so steht zu befürchten, noch jede Menge Entwicklungsarbeit zu leisten.
Marketing ist für den Erfolg in der digitalen Welt unverzichtbar
Meine Mission als Geschäftsführer von Adobe Systems in Deutschland ist es, Entscheider in großen und mittelständischen Unternehmen für das Thema „Experience“ zu gewinnen, sie von dem holistischen Konzept dahinter zu überzeugen, und ihnen Wege der Wertschöpfung in der digitalen Welt aufzuzeigen. Und ich stelle fest, dass diese Mission schwieriger ist als von mir angenommen. Warum?
Da gibt es das kulturelle Phänomen, nach dem im Land der Ingenieure und Produkte das Marketing eine traditionell untergeordnete Rolle spielt. Ein starkes Marketing ist für den Erfolg in der digitalen Welt jedoch unverzichtbar – das haben die meisten international erfolgreichen deutschen Unternehmen längst verstanden.
Schwerwiegender fällt aus meiner Sicht jedoch die Diskrepanz zwischen den Anforderungen der digitalen Experience-Welt und der Realität in den Unternehmensorganisationen aus. Das Thema der digitalen Transformation ist zwar angekommen. Von der inzwischen erfolgreichen Industrie 4.0 zur Kundenbeziehung 4.0 ist jedoch noch ein weiter Weg zu gehen. Viele Organisationsmodelle sind schlichtweg noch nicht fluide genug, um sich gemeinsam entlang der digitalen Wertschöpfungskette aufzustellen und in Bewegung zu bleiben – eine strategische Aufgabe.
Das bedeutet nicht nur das Marketing neu auszurichten, sondern grundsätzlich eine kundenzentrierte Verknüpfung von Produkt/Produktion, Services, Kommunikation und POS, mit entsprechender Organisation und Technologie zu ermöglichen. Andernfalls kratzen sie nur an der Oberfläche der Bedürfnisse der Kunden und ihren eigenen Möglichkeiten. Marketing in diesem Sinne bedeutet kundenzentrierte Unternehmensführung, häufig verwechselt mit dem vorherrschenden werblich absatzförderndem Ansatz.
In meinem Alltag kann es noch immer vorkommen, dass ich mit Managern ins Gespräch komme, die ohne ihr Smartphone nicht mehr leben geschweige denn arbeiten können und gleichzeitig, so scheint es, keinerlei Druck empfinden, das Thema Mobility ganz oben auf die Agenda ihres Unternehmens zu setzen – eher aus Arglosigkeit, denn aus Absicht.
Es geht um Experience
In meiner beruflichen Wahrnehmung ist die digitale Entwicklung der Wirtschaft in sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs – und damit ist nicht die deutsche Breitbandqualität gemeint. Aus meiner Sicht beginnen wir gerade erst in Deutschland, die Bedeutung von „Experience“ zu verstehen – zu einer Zeit, in der die Dimensionen und Möglichkeiten digitale Erlebnisse dank künstlicher Intelligenz geradezu explodieren.
Vor diesem Hintergrund halte ich Veranstaltungen wie die dmexco für wichtig. Wir brauchen starke Plattformen, die herstellerübergreifend die Relevanz des Themas herausstellen. Noch mehr brauchen wir eine Plattform, die jenseits unserer Filterblase bis in die Politik und Gesellschaft hinein noch besser als bisher Wissen und Verständnis vermittelt. Dazu braucht es echte Kontroversen anstatt Diskussionen über die Entscheidungen einzelner Anbieter, warum sie sich einen Messestand sparen oder nicht.
Die Branche muss begeistern
Denn es gibt ja durchaus drängende Fragen, die sich aus dem Führungsanspruch unserer Branche ableiten lassen – beispielsweise, was die digitale Wettbewerbsfähigkeit angeht. Wie gelingt den aufstrebenden Unternehmen heute der Einstieg in eine unabhängige Datenwirtschaft und was müssen wir auch politisch diesbezüglich erreichen?
Das Thema Künstliche Intelligenz löst bei uns Brancheninsidern zu Recht Euphorie aus – aber wie vermitteln wir Entscheidern und Gesetzgebern die Wirkmechanismen dahinter und sorgen für gesellschaftliche Akzeptanz bei den Verbrauchern?
Als Branche müssen wir über unsere Grenzen hinaus begeistern. Zeigen, dass wir nicht nur Werbung können, sondern das digitale Leben der Verbraucher einfacher, sicherer, nützlicher, aber auch unterhaltsamer, überraschender und kreativer machen. Wollen wir uns damit abfinden, dass wir als Branche zwar die zukunftsträchtigsten Berufe ermöglichen, die aber gleichzeitig das geringste Ansehen und Vertrauen genießen?
Deshalb glaube ich, dass die dmexco als digitales Branchenevent seine besten Zeiten noch vor sich hat. Es gibt einfach noch viel zu viel zu tun. Meiner Meinung nach hat die dmexco dann die besten Chancen auf zukünftige Relevanz, wenn sie selbst nach digitalen Prinzipien arbeitet: responsiv, adapativ, kollaborativ – aber auch mit „Trial and Error“, Risikobereitschaf und Fehlerkultur. Genau wie alle anderen Marken eben auch.
Marketing meets Experience – Stefan Ropers im Interview live auf der dmexco 2017
Dieser Meinungsbeitrag erschien am 14. September 2017 online bei W&V.