Das Kundenerlebnis: Zukunft des Einzelhandels

Der Einsatz neuer Technologie muss nicht auf den E-Commerce beschränkt bleiben. Auch der stationäre Handel kann von Innovationen profitieren.

Das Kundenerlebnis: Zukunft des Einzelhandels

Haben Sie schon mal versucht, einen Teppich zurückzugeben, den Sie online gekauft haben? Das Teil ist sperrig, passt kaum ins Auto und während Sie ihn in der Postfiliale umständlich verpacken, schaut Sie der Mitarbeiter dort an, als hätten Sie den Verstand verloren. Es gäbe dafür spezielle Teppichsäcke, sagt er dann. Aber woher soll ich das wissen? Was ich mit dieser persönlichen Anekdote sagen will: Der Online-Handel ist nicht perfekt. Noch nicht.

Nach wie vor wächst der Hunger der Millennials nach personalisierten Produkten und der Lieferung nach Hause. Aufgrund geringerer Betriebskosten ist es auch heute noch vergleichsweise unkompliziert, ein Unternehmen ohne das dazugehörige stationäre Geschäft auf die Beine zu stellen. So wird das auch bleiben.

Aber sind Ladengeschäfte deshalb nicht mehr wettbewerbsfähig? Keinesfalls. Der stationäre Handel hat eine Sofortwirkung, er bietet ein Erlebnis. Und Retouren – außer vielleicht beim Teppich – sind im Laden auch einfacher.

Amazon wird mit der Auslieferung durch Drohnen versuchen, die Lieferzeit auf ein paar Stunden zu reduzieren. Gleiches testet Media Markt mit fahrenden Zustell-Robotern in Düsseldorf. Solche Initiativen können den Wettbewerbsvorteil bedeuten. Dank Augmented und Virtual Reality werden Kunden bald dazu in der Lage sein, eine komplette Umgebung und damit einen Kontext zum Produkt zu visualisieren. Online-Geschäfte können dann mit Einrichtungshäusern wie Ikea oder Höffner konkurrieren (am virtuellen Duft von Kerzen muss wohl noch getüftelt werden).

Neue Technologien sind aber eben nicht nur für den Online-Handel reserviert. Können sie nicht auch dem stationären Handel einen entscheidenden Vorteil verschaffen?

Motionloft, ein Unternehmen des milliardenschweren US-Unternehmers Mark Cuban, stellt Sensoren her, die mithilfe von optischer Technologie den Unterschied zwischen Menschen, Autos und Fahrrädern erkennen. Einzelhändler nutzen diese Daten, um bessere Zuordnungsmodelle zu entwickeln, Verkaufszahlen zu steigern und Proximity-Targeting anzuwenden.

„Der Einzelhandel der Zukunft wird mit neuronalen Netzen und lernenden Maschinen arbeiten, um sich besser zu vernetzen. Analysten werden Daten zur Kundenfrequenz und zum Kundenverhalten auswerten, um Ladengeschäfte mit echtem Erlebniswert zu gestalten“, sagt Joyce Reitman voraus, CEO von Motionloft. „Der Weg des Kunden durch ein Geschäft wird das Design und die Anordnung der Regale beeinflussen, sich auf die Optimierung des Bestands und das Merchandising auswirken. Daten über die Verweildauer (Dwell Time) werden nützlich sein, um Werbung per Bluetooth gezielt auf die Mobilgeräte der Kunden zu schicken, je nachdem, wo und wie lange sie sich dort aufhalten. Die Lieferkette wird optimiert werden, um dem Kaufverhalten in Echtzeit gerecht zu werden“, so Reitman.

Angenommen ich stehe im Supermarkt vor einem Regal und überlege, welchen Joghurt ich kaufen soll und eine der Marken schickt mir einen Coupon aufs Handy – natürlich greife ich da zu.

Der ehemalige Philips Design-Geschäftsführer Stefano Marzano meinte, dass der Einzelhandel der Zukunft mehr Ähnlichkeit mit dem Einzelhandel von gestern haben werde als mit dem von heute. Für Marco Bevolo, Partner bei Amati & Associates, hat Marzano den Nagel damit auf den Kopf getroffen. „Big Data, Mobile und Social Media sind längst dabei, die Einzelhändler in den Ballungsgebieten mit Optionen zur Personalisierung zu versorgen“, berichtet Bevolo. „Basierend auf den öffentlichen Profilen und dem vorherigen Kaufverhalten wird der Einzelhandel den Konsumenten genauso gut kennen, wie der Krämer vor 50 oder 100 Jahren alles über seine Kunden wusste, um einen perfekten Service zu bieten“, so Bevolo weiter.

Doch das ist leichter gesagt als getan. „Auf dem Weg dorthin gibt es viele Hürden, denn in fünf Jahren wird sich die Uber-isierung des Service negativ auf die Arbeitswelt, die Infrastruktur und Kategorien auswirken“, sagt Bevolo. Und fügt hinzu: „Behörden und Regierungen werden an dieser Stelle eingreifen müssen und die Bürger und ganze Städte werden wieder zu sich selbst finden müssen, jenseits von Gentrifizierung und Klassentrennung. Trotzdem werden simplere Veränderungen und kurzfristig realisierbare Innovationen die Einkaufserfahrung schon in nächster Zukunft verbessern.“

Die wahrscheinlich wichtigste Frage der 2020er-Jahre: Werden die Menschen den Komfort über das gemeinschaftliche Interesse an ihrer Stadt und ihrer Gesellschaft stellen? Einige Entscheidungen werden offensichtlich sein. Wenn Sie sich Ihre Lebensmittel nach Hause liefern lassen, wird der Supermarkt weniger Mitarbeiter haben. Bei diesem Beispiel gibt es aber noch den Fahrer, also geht die Rechnung hier wieder auf – zumindest bis es selbstfahrende Autos oder Drohnen im großen Maßstab gibt.

Wenn Sie im Fast-Food-Restaurant ein Bestell-Terminal nutzen, wird es weniger Jobs hinter der Kasse geben. Die meisten werden sich deswegen nicht sonderlich schlecht fühlen, doch mit solchen Jobs haben viele von uns ihr Leben während des Studiums finanziert. Wenn Sie irgendwann in einem selbstfahrenden Taxi sitzen, entziehen Sie Taxifahrern die Existenzgrundlage.

In der Herstellung werden weniger Arbeitskräfte benötigt, weil es mehr 3D-Drucker gibt. Verübeln kann man das niemandem. Es ist eine kluge Geschäftsentscheidung. Insgesamt betrachtet, kann es gut sein, dass in der nächsten Dekade zehn bis 20 Prozent der Jobs der Automatisierung zum Opfer fallen. Der Kunde wird Geld sparen und sich freuen. Doch was wird mit der Wirtschaft geschehen, wenn zehn bis zwanzig Prozent weniger Menschen überhaupt etwas kaufen können?

Natürlich ist das das denkbar schlechteste Szenario. Wenn wir über die Zukunft des Einzelhandels sprechen, ist es dennoch ein wichtiger Gesichtspunkt. Der Einzelhandel wird es zuerst zu spüren bekommen. Das tut er heute schon.

Kunden wählen meistens die beste, preiswerteste und praktischste Option. Sie müssen ihnen also einen Anreiz geben, um in Ihren Laden zu kommen. Im Online-Geschäft ist die Personalisierung bereits selbstverständlich. Wir haben die Technologie, um auch im stationären Handel damit zu arbeiten. Wenn die Kunden auf ihren Handys Bluetooth aktivieren, hat der Offline-Einzelhandel unzählige Möglichkeiten. Mithilfe von Benachrichtigungen, Augmented Reality, Beleuchtung und Musik können Ladengeschäfte ihre Besucher überallhin führen und den Einkauf zum Erlebnis machen.

Und genau darin liegt der Schlüssel zum neuen stationären Einzelhandel: Auf die Shopping Experience kommt es an.