Fünf Einzelhändler, die neue In-Store-Maßstäbe setzen

E-Commerce gehört mittlerweile zu unserem Alltag. Gibt es im heutigen Kaufverhalten noch Platz für das gute alte Ladengeschäft? Vieles spricht dafür, wenn digital und offline miteinander kombiniert werden, um die Kunden zu begeistern.

Fünf Einzelhändler, die neue In-Store-Maßstäbe setzen

Seit mindestens zehn Jahren wird der Einzelhandel vom Trend zum E-Commerce bestimmt. Sind die Tage des stationären Handels also gezählt?

Viele Einzelhändler schließen ihre Filialen und überdenken ihr Geschäftsmodell. Dennoch erlebt der Offline-Verkauf in letzter Zeit ein Comeback. Immer mehr Händler betrachten das Ladengeschäft als einen Ort, an dem sie das Beste aus beiden Welten – digital und offline –miteinander verschmelzen können. Das Kalkül: Ist der Kunde überrascht und begeistert, wird die Marke gestärkt und steigen die Umsätze.

Entsprechend arbeiten derzeit viele Einzelhändler daran, neue Maßstäbe zu setzen und Filialen mit echtem Erlebnisfaktor auf die Beine zu stellen. CMO.com nimmt fünf bemerkenswerte Unternehmen und ihre innovativen Geschäfte unter die Lupe.

adidas Runbase, Berlin

Angetrieben vom Wunsch der Konsumenten, gesünder und fitter zu werden, hat sich der Bereich Sportbekleidung in Sachen Investition und Innovation zu einer führenden Kategorie im Einzelhandel entwickelt. Zu den erlebnisorientierten Ideen, die Sportmarken heute mit ihrem Einzelhandelsangebot verknüpfen, gehören kostenlose Fitnesskurse, Cafés und Fitnessberatung.

Katie Baron, Head of Retail bei der Forschungs- und Beraterfirma Stylus, bezeichnete den 2.000 Quadratmeter großen Berliner Flagship-Store adidas Runbase als ein Paradebeispiel für den europäischen Markt. „Das Projekt ist faszinierend und revolutionär. Es zeigt, wie wichtig es ist, über den traditionellen Handel hinaus eine eher serviceorientierte und grenzüberschreitende Markenkultur anzustreben“, erklärt sie.

In der Runbase können Kunden adidas-Produkte kostenlos ausprobieren, bevor sie sie kaufen. Doch der eigentliche Verkaufsbereich nimmt nur einen geringen Teil der Ladenfläche ein. „Die Produktpalette wird von Kursen, sportmedizinischen Dienstleistungen und einem Café unterstützt, dessen gesundes Angebot nicht nur schmeckt, sondern auch inspirieren soll“, so Baron weiter.

Das Konzept der Filiale stehe einerseits im Einklang mit adidas‘ ganzheitlicher Herangehensweise an Gesundheit und Fitness und sorge andererseits dafür, dass die Marke ihre Ambitionen umsetzen kann. Baron zufolge wird das durch die unterschiedliche Zugänglichkeit ermöglicht. „Einige Bereiche der Runbase sind für alle frei zugänglich, für andere ist eine (bezahlte) Mitgliedschaft erforderlich, die es in unterschiedlichen Varianten gibt. Die Kunden erhalten einen ersten Eindruck und können dann je nach Geldbeutel, Terminkalender oder körperlicher Verfassung aktiver werden. In Zeiten, die von einem eher unverbindlichen Konsumverhalten geprägt sind, ist das ein großartiges Erfolgsrezept zur Stärkung der Markenattraktivität“, so Katie Baron.

HKMX, Berlin

Das neuste Ladenkonzept des Unterwäscheherstellers Hunkemöller soll sich durch ein reichhaltiges Kundenerlebnis abheben, das eine neue Perspektive auf Sportbekleidung bietet. Im April eröffnete das niederländische Unternehmen in Berlin eine Filiale für seine Sportswear-Marke HKMX und stützte sich dabei auf die Erfahrungswerte seines Amsterdamer Flagship-Stores.

Für Martin Newman, Vorstandsvorsitzender der Beraterfirma Practicology, steckt hinter diesem Konzept der Gedanke, dass der Kunde bei jedem Besuch so begeistert werden soll, dass er sein Erlebnis teilen möchte. „Das wird durch entsprechend eingesetzte Technologien möglich gemacht. Diese versorgen den Standort mit Online-Inhalten, aber ermöglichen auch Erlebnisse, die Kunden online nicht haben können.“

So werden auf einer „Social Wall“ mit Touchscreen-Funktionen die Instagram-Posts der Marke angezeigt. Gleichzeitig dient sie den Kunden aber auch als Kamera, um Selfies aufzunehmen und zu posten. Zu den einzigartigen digitalen Tools im Laden gehören die BH-Messung und eine Körperscan-Technologie. Letztere liefert nicht nur eine 3D-Visualisierung des Körpers, sondern speichert auch Veränderungen – ein Grund für die Kunden, um zurückzukommen und zu sehen, ob das Fitnesstraining auch wirkt. Abgerundet wird dieses Einkaufserlebnis von einem praktischen mobilen Kassensystem.

Missguided, London

Traditionellerweise setzt der Einzelhandel auf eine gute Show. Ein Unternehmen, das dieses Konzept erfolgreich für heutige Generationen aktualisiert hat, ist Missguided. Der noch relativ junge britische Modehändler, den es auch auf dem deutschen Markt gibt, wurde 2009 als Online-Shop ins Leben gerufen und stellte im Nu ein eindrucksvolles E-Commerce-Geschäft auf die Beine. Ende 2016 eröffnete Missguided seine mit Spannung erwartete erste Filiale in London.

Branchenbeobachter waren überrascht, dass Technologie in der Ladengestaltung nur eine Nebenrolle spielte, und das bei einer fest in der digitalen Welt verankerten Marke. Statt auf Touchscreens setzt Missguided auf eine großzügige Auswahl an Requisiten, Neonröhren-Slogans und einen Umkleidebereich, der gleichzeitig als Lounge funktioniert. Bei ihrer Zielgruppe traf die Marke damit ins Schwarze. Unter dem Motto „On Air“ dient die Filiale den Always-on-Kunden, die dauernd nach Möglichkeiten zur Selbstinszenierung und zum Posten in den sozialen Netzwerken suchen, als Bühne und Kulisse.

Petah Marian, Senior Retail Editor bei WGSN Insight, dazu: „Missguided ist ein erstaunliches Unternehmen – ein ehemals reiner Online-Händler, der zu einem Zeitpunkt ins Offline-Geschäft vorstößt, an dem viele glauben, dass dieses Format dem Untergang geweiht ist. Der Laden spricht die von der Marke anvisierte Generation Z an und strotzt vor Millennial-Pink und Social Media-freundlichen Details mit Leitsprüchen der weiblichen Emanzipation, die geradezu danach schreien, auf Instagram oder Snapchat geteilt zu werden.“

Rockar, London

Das Unternehmen Rockar ist ebenfalls in Großbritannien ansässig und hat sich vorgenommen, den Autohandel für den heutigen Kunden neu zu erfinden. Ende 2014 eröffnete Rockar seine erste Filiale für Autos der Marke Hyundai. Das Geschäft im Bluewater Einkaufszentrum in Kent wurde zur Blaupause für die zweite Hyundai-spezifische Filiale im Westfield in London, einem der belebtesten Einkaufszentren Europas. Dort eröffnete Rockar vor Kurzem auch ein experimentelles Autohaus für die Premium-Marke Jaguar Land Rover.

Die Innovation, die hinter diesem Konzept steckt, hat zwei Seiten. Indem das Unternehmen Filialen in gut besuchten Einkaufszentren eröffnet, holt Rockar das Autohaus aus den urbanen Randzonen in die Stadt und erreicht ein neues Publikum, das ansonsten vielleicht nie mit Automarken in Berührung gekommen wäre.

Andererseits bietet das Format der physischen Läden dennoch die Möglichkeit, ein neues Fahrzeug auf digitalem Wege zu erwerben. Die Kunden können das Auto ihrer Wahl im Laden mithilfe von Tablets erkunden und konfigurieren, bevor sie sich für einen Kauf entscheiden. Die Angestellten, die sogenannten „Angels“, helfen und informieren, ohne dabei aufdringlich zu sein. Beim Personal handelt es sich auch nicht um traditionelle Autoverkäufer, die auf Kommissionsbasis arbeiten. Die Mitarbeiter beziehen ein Gehalt und müssen die Fähigkeit besitzen, die Customer Journey als eine Art Host zu unterstützen.

Rockars personalisiertes Verkaufskonzept hat für den koreanischen Autohersteller Hyundai so gut funktioniert, dass die Marke nun gemeinsam mit seinem Einzelhandelspartner auch kleinere, lokale Verkaufsfilialen ins Auge fassen will. Nicht zuletzt hat Rokar das Durchschnittsalter der Käufer für Hyundai gesenkt.

Coop Italia, Mailand

Ein Hauptmerkmal des „Supermarktes der Zukunft“ von Coop Italia in Mailand ist die Integration von Technologie. Das Konzept wurde zum ersten Mal auf der Expo 2015 vorgestellt. Im Dezember vergangenen Jahres eröffnete der Supermarkt im Mailänder Universitätsviertel.

Im Mittelpunkt steht der Anspruch, mithilfe von interaktiven Regalen und Displays ein intensiveres Einkaufserlebnis für die Kunden zu schaffen. Bewegungssensoren erkennen, vor welchem Produkt der Kunde gerade steht, das zugehörige Display zeigt Informationen über Zutaten, Herkunft, potenzielle Allergene, die CO2-Bilanz oder auch Tipps an, etwa welcher Wein dazu passt.

Die Technologie hilft den Kunden aber nicht nur mit detaillierten Produktinformationen weiter, sondern unterstützt auch den Händler dabei, sein Sortiment effizient zu managen. Ein intelligentes Bestands-Managementsystem sorgt dafür, dass Artikel nur bei tatsächlichem Bedarf an den Supermarkt geliefert werden und dass die bei den Kunden beliebtesten Produkte immer im Regal stehen.