Digitalisierung in Deutschland: Warum wir Disruption und Transformation nicht verwechseln sollten

Wenn es um die Dig­i­tal­isierung in Deutsch­land geht, dauert es nie lange bis darauf hingewiesen wird, dass die deutschen Unternehmen hin­ter­her­hinken. Dazu gibt es mit­tler­weile ver­schiedene Stu­di­en, die diese Ein­schätzung bestäti­gen. Trotz­dem soll­ten wir das nicht ein­fach als gegeben hin­nehmen, son­dern genauer hin­schauen und dif­feren­zieren. Nur so wer­den wir eine passende Strate­gie auf- und umset­zen kön­nen.

Wir müssen mehr differenzieren

Es ist nur wenige Jahre her, da hörten wir beina­he jeden Tag, dass die Glob­al­isierung deutschen Unternehmen schaden würde und das wir als Volk­swirtschaft nicht gut für den glob­alen Wet­tbe­werb aufgestellt seien. Heute wis­sen wir, dass die deutsche Wirtschaft ein­er der ganz großen Gewin­ner der Glob­al­isierung ist. Ähnlich fühlt sich für mich die aktuelle Diskus­sion um die Dig­i­tal­isierung an.

Deutsch­land hinkt bei der Dig­i­tal­isierung hin­ter­her – dieser gemein­samen Überzeu­gung waren mehrere Experten für dig­i­tales Busi­ness, die ich vor eini­gen Wochen am Rande ein­er Podi­ums­diskus­sion traf. Auf meine Frage, welch­es US-Unternehmen aus der Old Econ­o­my ihnen als Beispiel für gelun­gene Dig­i­tal­isierung ein­fiele, herrschte zunächst kollek­tives Schweigen. Stellen Sie sich ein­mal selb­st diese Frage, es würde mich freuen, von Ihnen eine Antwort als Reak­tion auf diesen Beitrag zu erhal­ten. Und ja, nach einigem Grü­beln haben wir dann gemein­sam ein Beispiel gefun­den: Apple.

Viel mehr gibt es dann aber doch nicht. Das lässt den Schluss zu, dass die dig­i­tale Trans­for­ma­tion für die Old Econ­o­my ins­ge­samt und weltweit eine große Her­aus­forderung darstellt und nicht nur für die deutschen Unternehmen. Zu den weit­eren pauschalen Aus­sagen und Appellen gehört die Rück­ständigkeit in den Bere­ichen Bre­it­ban­daus­bau, E‑Government und dig­i­tale Geschäftsmod­elle. Schauen wir uns diese Bew­er­tungskri­te­rien, durch die Deutsch­land im glob­alen Ver­gle­ich der Dig­i­tal­isierung so schlecht abschnei­det, genauer an, stellen wir schnell fest, dass die ersten bei­den Kern­the­men nicht in der Ver­ant­wor­tung der Unternehmen liegen. Bei E‑Government ist die Zuständigkeit ein­fach zu erken­nen, aber auch bei der Inter­netver­sorgung muss die Poli­tik die notwendi­gen Rah­menbe­din­gun­gen für einen wirtschaftlichen Aus­bau in den Flächen außer­halb der Bal­lungszen­tren schaffen.

Bleibt das dritte Kri­teri­um, die dig­i­tal­en Geschäftsmod­elle. Hier sind natür­lich die Unternehmen selb­st gefordert, aber eine Dif­feren­zierung lohnt sich auch hier.

Was bedeuten „Dig­i­tale Geschäftsmod­elle“, Dis­rup­tion und Trans­for­ma­tion eigentlich?

Begin­nen wir ein­mal mit der Def­i­n­i­tion des Begriffs „Dig­i­tales Geschäftsmod­ell“:

Es gibt nicht die eine Def­i­n­i­tion, son­dern sehr viele ver­schiedene. Einen schö­nen Überblick liefert unter anderem die Unternehmens­ber­atung mosai­ic, die sich ver­schiedene Def­i­n­i­tio­nen ange­se­hen hat. Das Faz­it nach Dr. Christo­pher Schulz, mosai­ic GmbH:

„Dig­i­tale Geschäftsmod­elle sind Busi­ness Mod­elle in deren Zen­trum reine virtuelle Leis­tungsver­sprechen des Anbi­eters gegenüber den Kun­den ste­hen. Für die Erbringung durch den Anbi­eter bzw. Nutzung durch den Kun­den ist zwin­gend Infor­ma­tion­stech­nik erforderlich.“

Virtuelle Leis­tungsver­sprechen sind großar­tig: Sie skalieren ohne die üblichen Kapaz­itäts­gren­zen, sie führen zu märchen­haftem Wach­s­tum und in vie­len Fällen zu ein­er Konzen­tra­tion auf sehr wenige Anbi­eter. Konkret sind Uber, MyTaxi, AirBnB, AliBa­ba, Spo­ti­fy, Net­flix die promi­nen­testen Vertreter dieser Gat­tung. Es ist kein Zufall, dass mit MyTaxi nur ein deutsches Unternehmen in dieser Liste auf­taucht. Wir soll­ten in der Lage sein, mehr solch­er Unternehmen aus der Taufe zu heben und erfol­gre­ich im Welt­markt zu posi­tion­ieren. Aber wiederum geht es dabei nicht um das Kerngeschäft der Mehrzahl der deutschen Unternehmen.

Dig­i­tale Geschäftsmod­elle dieser Art entste­hen an keinem Ort der Welt in etablierten Unternehmen, sie sind dig­i­tale Dis­rup­tion im eigentlichen Sinne. Sie entste­hen in kleinen agilen Ein­heit­en, in schnell wach­senden Unternehmen und unter der Bere­itschaft von Kap­i­tal­ge­bern, Risiken einzuge­hen und Ideen zu fördern.

Digitale Transformation: Neues entsteht aus Altem

Dig­i­tale Trans­for­ma­tion: Neues entste­ht aus Altem

Anders sieht es bei der dig­i­tal­en Trans­for­ma­tion aus. Hier entste­ht Neues aus Altem. Ein beste­hen­des Geschäftsmod­ell wird in ein dig­i­tales überführt. Prof. Dr. Daniel Schalom vom Insti­tut für Tech­nolo­gie- und Prozess­man­age­ment der Uni­ver­sität Ulm unter­schei­det bei der Trans­for­ma­tion zwis­chen fünf Dimensionen:

  1. Zield­imen­sion: Zeit (z.B. Pro­duk­tion­s­geschwindigkeit), Kosten (z.B. Umsatzsteigerung, Kostensenkung), Raum (z.B. Ver­net­zung, Automa­tisierung), Qual­ität (z.B. Prozess, Pro­dukt, Partnerschaft)
  2. Vorge­hen: Abfolge von Auf­gaben, Ein­satz von Tech­nolo­gien, Gewin­nung und Aus­tausch von Daten
  3. Trans­for­ma­tion­s­grad: inkre­mentell, radikal
  4. Bezug­sein­heit: Kunde, Part­ner, Indus­trie, Wet­tbe­wer­ber, Unternehmen
  5. Objekt: einzelne Ele­mente, gesamtes Geschäftsmod­ell, Wertschöp­fungs­ket­ten und Wertschöp­fungsnet­zw­erk

Diese Def­i­n­i­tion und die beschriebene Trans­for­ma­tion sind extrem rel­e­vant für alle Unternehmen. Die Einord­nung der eige­nen Strate­gie nach den fünf Dimen­sio­nen, die kon­se­quente Arbeit an der (meis­tens) inkre­mentellen und (sel­ten) radikalen Verän­derung sind das Gebot der Stunde. Das kön­nen deutsche Unternehmen sehr gut, schließlich ist der kon­tinuier­liche Verbesserung­sprozess tief ver­wurzelt in der DNA der Unternehmen. Es gilt diese Fähigkeit kon­se­quent auf neue Bere­iche anzuwen­den, so beispiel­sweise auf die Sup­ply Chain, das Man­age­ment der Kun­den­er­leb­nisse oder die Ser­vice-Erbringung. Und die Unternehmen soll­ten der Exper­i­men­tier­freude und Kreativ­ität der Mitar­beit­er Raum geben, um Inno­va­tio­nen und Ander­s­denken zu fördern.

Nur wenn wir begin­nen, diese Fähigkeit­en für alle Unternehmens­bere­iche zu nutzen, wer­den wir eine neue Fähigkeit erler­nen, die eine Grund­vo­raus­set­zung für das Meis­tern der Her­aus­forderun­gen der neuen Wirtschaft­se­poche darstellt: Die dig­i­tale Trans­for­ma­tions­fähigkeit. Denn der Prozess der Dig­i­tal­isierung hat kein definiertes Ende, son­dern muss als ständi­ge Erneuerung ver­standen werden.