Von Suchmaschinen wird erwartet, dass „alles überall verfügbar ist“.

In Amerika wird bereits jede dritte Suche mit Bing erledigt, auch hierzulande ist die Tendenz steigend. Auf dem Wachstum ausruhen will sich Carsten Rauh, verantwortlich für Bing in Deutschland, aber nicht. Denn unser Umgang mit Search Engines wird sich schon bald verändern.

Von Suchmaschinen wird erwartet, dass „alles überall verfügbar ist“.

Die Datenberge wachsen, künstliche Intelligenz, digitale Assistenten und Voice verändern unsere Interaktion mit Computern grundlegend. Auf Suchmaschinen kommen damit große Veränderungen zu. Die Frage ist, wie sich eine der Hauptfunktionen des Internets – die Suche – mit der zunehmenden Digitalisierung verändert.

Für Carsten Rauh, „Internetveteran“ und Director Search Advertising and Strategic Sales, ist die Zukunft ein spannendes Feld. Bevor er bei Microsoft Deutschland die Verantwortung für den Bereich Search übernahm, leitete er bei Yahoo das Account-Management für Deutschland, einschließlich Display, Search und Native Advertising. Als der Premiumkunden-Bereich im Jahr 2015 von Yahoo zu Microsoft überging, wechselte auch Rauh. Im Interview mit CMO.com spricht er über Bings Wachstum und wie die Nutzer den Suchmaschinen dabei helfen werden, Voice und künstliche Intelligenz in die Suche zu integrieren.

CMO.com: Zuletzt konnte man vermehrt lesen, dass Bing Marktanteile gewinnt. Auch in Deutschland legte die Suchmaschine zu. Wie wurde dieses Wachstum erreicht und wie wollen Sie es aufrechterhalten?

Rauh: Bings Reichweite wächst, auch die des Bing Network, mit dem unsere Kunden werben. In Amerika wird mittlerweile fast jede dritte Suche über Bing getätigt, in Großbritannien haben wir immerhin einen Marktanteil von 25 Prozent, in Deutschland sind es zwölf.

Unser Erfolg beruht auf unseren Wachstumssäulen. Eine dieser Säulen ist, dass Bing seit zwei Jahren innerhalb des gesamten Microsoft-Ökosystems als zentraler Suchanbieter etabliert wird. Wir stellen etwa die Suchfunktionalität der Office-Produkte bereit und die sprachgesteuerte Suche auf der Xbox. Wir sind auch der Wissensgeber für unsere digitale Assistentin Cortana. Dazu kommen MSN und die Windows-Domains. Und wir sind natürlich sehr prominent auf unserem Betriebssystem Windows 10 vertreten. Je weiter das mit den Microsoft-Produkten verzahnt wird, umso mehr Reichweite generieren wir. Eine weitere Säule für den Ausbau unserer Suchvolumina sind unsere Technologie- und Plattformpartner. Wir stehen hinter Amazon Kindle und Fire Phone und wir arbeiten eng mit den Suchmaschinen AOL, Yahoo und dem lokalen Anbieter Ecosia in Deutschland zusammen, der sich auf die Nachhaltigkeits-Suche spezialisiert hat. Und 30 Prozent aller Suchanfragen auf Bing kommen inzwischen über Windows 10. Das ist sehr hochwertiger Traffic mit vielen beruflichen Nutzern. Für Werbekunden ist dies ein sehr spannendes Umfeld. Damit, und mit den wachsenden Microsoft-Partnerschaften, werden wir auch weiterhin Marktanteile gewinnen.

CMO.com: Wie spiegelt sich das im Kundenerlebnis wieder? Warum suchen die Kunden mit Bing und nicht mit Google?

Rauh: Wir bieten detaillierte und reichhaltige Suchergebnisse. Wenn jemand nach einem Prominenten oder Musiker sucht, sieht er bereits im Suchfenster detaillierte Informationen zur Person. Wenn Studenten nach dem Sonnen- oder Periodensystem suchen, erhalten Sie schon im Suchfenster viele Informationen.

Letztendlich sind Suchverhalten und -erwartungen der Nutzer aber relativ identisch, weshalb auch die Ergebnisse bei Google und Bing ähnlich aussehen. Unsere große Herausforderung besteht darin, ein jahrelang eingeprägtes Verhalten und eine gewisse Markenorientierung zu ändern und Nutzer zu Microsoft zu holen. Ein begeisterndes Produkt und gutes Nutzer-Erlebnis sind hier der Schlüssel.

CMO.com: Wie wichtig sind Standortdaten und Mobile First-Strategien?

Rauh: Mobile Traffic ist eine der am schnellsten wachsenden Traffic-Quellen, weil eben immer mehr Nutzer auch mit dem Smartphone suchen. Dabei ist das erst der Anfang. Denn das Suchverhalten daheim auf der Couch ist ein ganz anderes als das unterwegs in einer Ladenzeile. Letzteres hat einen deutlich stärkeren lokalen Bezug. Der Nutzer erwartet hier eher Ergebnisse in Laufweite, Navigationsanweisungen und gegebenenfalls auch lokalisierte Werbeangebote. Geotargeting, Call Extensions und Routenintegration sind hier die Standards. Einen Schritt weiter geht zum Beispiel Geofencing, also Werbebotschaften in definierten lokalen Umfeldern. Die Frage ist, wie ich dem Nutzer einen Gutschein von einem Geschäft zukommen lassen kann, in dessen Nähe er sich gerade befindet.

Ein wichtiges Feld sind derzeit auch die Eingabegeräte wie smarte Lautsprecher, oder meinetwegen der Gefrierschrank daheim, Navigations-, Entertainment- und Connected-Drive-Systeme – all diese Geräte schließen die Kommunikationslücken, die derzeit noch bestehen. Die Verbindung mit dem Internet und das Suchverhalten werden allgegenwärtig. Alles soll dann überall verfügbar sein und wird dann auch überall erwartet.

Die weiteren Nutzungsszenarien von intelligent vernetzten Geräten stecken allerdings gerade erst in der „early adoption phase“. Beim Smartphone sind wir schon schlauer. Aber gerade bei den intelligenten Lautsprechern und digitalen Assistenten wissen wir bislang noch nicht, was eine Cortana, eine Siri oder eine Alexa können muss. Was sind die richtigen Antworten? An dieser Stelle betreten wird derzeit Neuland.

Über Mobile First sind wir also schon hinaus. Wir arbeiten eher an einer Device-unabhängigen Suche, die Ein- und Ausgabegeräte jedweder Natur kombinieren kann. Search beginnt auf dem Desktop und kann auf dem Handy weitergeführt werden. Per Sprachsteuerung und Spracheingabe lassen sich auch bestimmte Informationen über den Lautsprecher anfordern und dem digitalen Assistenten dann sagen: „Schick mir das bitte auch auf mein Handy oder auf den Arbeitsrechner.“

CMO.com: Sie haben KI und Voice-Search bereits angesprochen. Was ist derzeit die größte Herausforderung für Suchmaschinenanbieter?

Rauh: Dass die Suche überall verfügbar sein muss, ist die größte Herausforderung im Moment. Besonders das Marketing muss davon ausgehen, dass es nicht mehr gezielt für nur einen Kanal und ein bestimmtes Tool im Mediamix optimieren kann. Sie müssen heute voraussetzen, dass der Verbraucher der Zukunft seine Kaufentscheidungsreise an den unterschiedlichsten Orten beginnt und an einem völlig anderen Ort fortführt. Ihre Aufgabe ist es, ihn überallhin zu begleiten, damit am Ende der Reise noch das entscheidende Signal gesendet wird und er sich für Sie entscheidet.

Die Frage wird sein, auf welchen Plattformen sich der Nutzer bewegt und was er auf jeder einzelnen Plattform von uns erwartet. Marketer müssen darauf nicht nur mit werblichen Informationen, sondern auch mit Produkten und Services reagieren. Im Laufe dieses Anpassungsprozesses wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Es wird jene Firmen geben, die sich schnell und immer wieder neu erfinden können, und solche, die Probleme haben werden, mit dem Fortschritt mitzuhalten. Da die Markenloyalität weiter abnehmen wird, müssen Unternehmen sehr viel mehr in ihre Kunden investieren. Technologie bietet hier Antworten. Mit Bing und Bing Ads arbeiten wir viel mit Werbetreibenden zusammen, um einen Schritt voraus zu sein.

CMO.com: Wie werden Voice und KI unser Suchverhalten im Internet verändern?

Rauh: Durch diese beiden Entwicklungen werden wir das nächste Level der Interaktion mit Maschinen und Endgeräten erreichen. Bisher saßen wir immer vor einem Bildschirm und es war egal, ob die Eingabe über Tastatur, Wischen oder Klicken erfolgte. Voice wird sehr wahrscheinlich zu der Eingabevariante, die uns dazu bringt, auf wesentlich menschlichere Art mit Geräten und Computern zu kommunizieren. Weil uns die Computer bisher noch nicht verstehen konnten, haben wir mit ihnen auch noch nicht gesprochen.

Keywords werden dadurch länger, weil wir in der gesprochenen Sprache mehr formulieren als in der geschriebenen. Mit Cortana verzeichnen wir beispielsweise vier bis fünf Wörter, Tendenz steigend. Bei der durchschnittlichen Keyboard-Suchanfrage werden dagegen nur ein bis zwei Wörter eingegeben. Voice versetzt uns also in die Lage, auch die Intention des Nutzers besser zu interpretieren.

Über künstliche Intelligenz kommen dann Gesichts-, Sprach- und Lauterkennung dazu. Das ermöglicht es uns auf einem Bild zu erkennen, was darauf zu sehen ist, ob es ein Mann oder eine Frau ist, ob die Person freundlich guckt. Dafür verarbeiten wir Millionen von Daten im Hintergrund, die über Machine Learning ausgewertet werden und die dann einer Anwendung beibringen, wie so ein Bild zu interpretieren ist.

CMO.com: Wird der klassische Page Rank dann noch eine Rolle spielen?

Rauh: Da wir durch die höhere Zahl an Suchwörtern und besseren Daten relativ genau wissen werden, was der Nutzer für eine Intention hat, wird der „klassische“ Page Rank vermutlich nicht mehr so entscheidend sein. Wie aber letztlich organic und paid, Suchanzeigen und algorithmisch getriebene Ergebnisse dargestellt werden, das muss erst noch diskutiert werden.

An dieser Stelle müssen wir dem Konsumenten letztlich viele verschiedene Testvarianten vorstellen. Er wird uns dann lehren, was nützlich ist und was er für die beste Variante hält. Die Entscheidungsgewalt wird dank der vielen Wahlmöglichkeiten immer mehr in Richtung des Konsumenten wandern. Das macht das Leben für Marketer und Plattformbetreiber nicht einfacher. Dieser Prozess verlagert die Macht aber dorthin, wo sie auch hingehört, nämlich zum Konsumenten. Er wird mit der Technologie sehr versiert umgehen und uns beibringen, wie er etwas präsentiert bekommen möchte.

Über den Feedback-Kanal moderner Technologien sind wir das erste Mal in der Lage, viel schneller zu verstehen und zu lernen, was Kundenorientierung bedeutet. Bislang kriegen Werbekunden bei Search meist einen Report zu Klickraten. Da wir mit Computern wesentlich konversationsähnlicher sprechen werden, eben wie mit Menschen, kriegen wir auch viel besseres Feedback. Nehmen wir mal an, Cortana gibt einem Nutzer drei Auswahlmöglichkeiten und der Nutzer sagt, dieses sei ihm zu teuer, jenes zu langweilig und so weiter. Das ist doch fantastisches Feedback. Wir werden sehr viel vom Konsumenten lernen können.