Wieviel kreatives Potential steckt in lernenden Maschinen?

Im Rahmen einer aktuellen Studie gehen 63 Prozent der befragten Marketingfachleute davon aus, dass kreative Berufe der Automatisierung standhalten werden. Dennoch lernen Computer rasant dazu. Künstliche Intelligenz wird bald in der Lage sein, professionellen Content zu erstellen.

Wieviel kreatives Potential steckt in lernenden Maschinen?

Am 6. Juni twitterte das Magazin New Scientist seinen Lesern die folgende Nachricht:

Darauf folgte der Traum eines jeden Redakteurs – eine Antwort des Tesla- und SpaceX- Gründers Elon Musk.

Allerdings wusste Musk zu diesem Zeitpunkt nicht, dass der Tweet des New Scientist von einer künstlichen Intelligenz (KI) geschrieben worden war. Der Tweet stammte vom Unternehmen Echobox, dessen KI auf Grundlage von Deep Learning und neuronalen Netzen öffentliche und private Daten dazu nutzt, virale Twitter-Nachrichten für Online-Redaktionen zu posten.

Wenn sich der Christiano Ronaldo der künstlichen Intelligenz von einem Algorithmus täuschen lässt, sollten sich Marketingfachleute folgende Frage stellen: Wie kann ich KI für mein Unternehmens einsetzen?

Viele in der Branche bezweifeln, dass künstliche Intelligenz in absehbarer Zeit wirklich kreativ sein wird. Einer Studie des britischen Software-Unternehmens Sysomos zufolge sind 63 Prozent der befragten Marketer davon überzeugt, dass kreative Berufe einer drohenden Automatisierung standhalten werden. Bei genauerer Betrachtung von KI-Startups wie Echobox lässt sich jedoch erkennen, dass Maschinen bereits jetzt kreativ genug sind, um täuschend echte Inhalte zu erstellen, soll heißen Inhalte, die wie von Menschenhand gemacht wirken. Wie können Unternehmen diese Technologie nutzen, um ihre Umsätze zu steigern?

Mensch trifft Maschine

Wir entwickeln uns zusehends in Richtung einer gemeinsam von Mensch und Maschine angetriebenen Branche. Dabei wird die Spannung zwischen dem kreativen Potenzial von künstlicher Intelligenz und der Abneigung der Branche gegenüber diesem Fortschritt immer deutlicher.

Benjamin Lickfett, Head of Technology and Innovation beim Getränkegiganten Diageo, hat sich eingehend mit der Verwendung von KI und menschlicher Sprache beschäftigt und darüber einen Vortrag auf dem vor kurzem veranstalteten Innovations-Event I’ll Be Back gehalten. Bei seinem Vorstoß in den Bereich algorithmisches Marketing konzentriert sich der Konzern hauptsächlich auf „Conversational Commerce“ – also die zunehmende Interaktion mit Unternehmen via Messenger, Apps und Voice Interfaces – den er als große Chance betrachtet und vor allem zur Vermarktung seines Scotch-Portfolios anwenden möchte. Die Nuancen dieser Kategorie sind nur schwer greifbar, und während Chatbots eine gewisse Hilfe darstellen, sind sie laut Lickfett im Gegensatz zu echter künstlicher Intelligenz lediglich „überbewertete Entscheidungshilfen“. Doch Diageo ging noch einen Schritt weiter. In Cannes betrieb das Unternehmen in diesem Jahr eine auf Spracherkennung basierende Bar, in der Amazon Alexa für Bestellungen direkt am Tisch zum Einsatz kam.

Lickfett verweist außerdem auf das Beratungsunternehmen 10x, das auf Grundlage von künstlicher Intelligenz ein Bier gebraut hat. Es bringt regelmäßig neue Varianten auf den Markt und sammelt Feedback über Facebook Messenger, das dann in die darauffolgende Produktion einfließt. Lickfett schließt daraus, dass hierin die Zukunft der Produktentwicklung liegen könnte.

Auch Rob Saunders, Forscher im Bereich rechnergestützte Kreativität und einer der einflussreichsten Akademiker auf seinem Gebiet, erwähnt die Verbindung von künstlicher Intelligenz und Alkohol. Seinen Studierenden brachte er unter anderem bei, KI-Robotik zur Herstellung von Maschinen zu nutzen, die Cocktails mixen können. Sein letztes Werk dreht sich jedoch um die Verwendung künstlicher Intelligenz zur Entwicklung von „Einweg-Spielen“. Die Technologie soll laut Saunders dazu genutzt werden, für Marken und Konsumenten Spiele zu erstellen, die nur wenige Minuten lang gespielt und dann vergessen werden, so wie kurzlebige Bild- oder Videoinhalte.

Bis zum geschriebenen Wort

Marketer können die smarten Maschinen aber zu weit mehr verwenden, als nur für die Produktion von Spielen. Vor allem geschriebene Texte sind hier interessiert. Maria Flores Portillo vom KI-Sprachspezialisten Persado geht davon aus, dass heutige künstliche Intelligenz noch nicht sehr weit entwickelt, sondern „lediglich effektiver bei der Datenanalyse“ ist. Das Hauptproblem künstlicher Intelligenz besteht weiterhin in ihrer Beschränktheit. Heutzutage kann KI hervorragend Schach spielen oder ein Auto fahren. Über allgemeine Intelligenz verfügt sie jedoch nicht. KI besitzt definitiv noch keine kreative Intelligenz – aber dafür kann sie Menschen nachahmen.

Diese Fähigkeit macht sich Persado zunutze und setzt die Imitation menschlichen Verhaltens für die maschinelle Textproduktion ein. Der größte Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, dass Maschinen die relativ einfach verfassten Verkaufstexte nachahmen, gleichzeitig unterschiedliche Varianten erproben und dabei menschliche Emotionen ansprechen können. Entsprechend ist Flores Portillo der Ansicht, dass KI bei der Erstellung kreativer Texte helfen kann.

Wenn Marken auf KI zurückgreifen wollen, benötigen sie vor allem zwei Dinge – die richtigen Daten und den passenden Algorithmus. Die gute Nachricht ist, dass Daten bereits im Überfluss vorhanden sind. Antoine Amann, Geschäftsführer und Gründer von Echobox, berichtet, dass von Anbeginn der Zivilisation bis zum Jahr 2003 lediglich fünf Exabytes an Daten erstellt wurden – während wir heute fünf Exabytes pro Tag produzieren. Daten sind also zuhauf vorhanden. Gleichzeitig bergen sie laut Antoine eine Gefahr: „Daten sind das neue Öl, ertrinken Sie nicht darin.“ Hier kommt der Algorithmus ins Spiel.

Wir haben uns schon einmal geirrt

Die Öffentlichkeit lag mit ihren Zukunftsvorhersagen mehr als einmal falsch. Heute gibt es Windkraft anstatt Atomkraft, EasyJet anstatt der Concorde und fliegende Autos haben immer noch nicht abgehoben.

Wie sollten Marketer also an KI und Werbung herangehen? Laut Alex Hobhouse, Leiter für Strategie und Innovationen bei Saatchi & Saatchi, wird uns künstliche Intelligenz in der Werbung zukünftig vor allem die Routinetätigkeiten abnehmen und uns somit mehr Zeit für kreatives Denken verschaffen. Zu Letzterem sind Roboter (noch) nicht fähig. Der immens erfolgreiche Ford Focus sei hauptsächlich von Maschinen produziert worden, so Hobhouse, Ferrari vertraut dagegen auf Maschinen, die von einer menschlichen Hand geführt werden.

Obwohl Elon Musk nicht in der Lage war, eine KI hinter dem Tweet von New Scientist zu erkennen, hat die Werbebranche noch einen langen und interessanten Weg vor sich, um die Rolle von Robotern unter uns Menschen zu definieren.