Experience Business ist leichter gesagt als getan
Eigentlich wollte ich eine Zusammenfassung des Adobe Summits in Las Vegas schreiben, doch das würde der Sache nicht gerecht werden. Es wurden so viele verschiedene Themen angesprochen, dass die Veranstaltung fast selbst den Charakter einer Zusammenfassung hatte. Trotzdem war die Informationsdichte so hoch, dass die Synapsen der Teilnehmer wohl noch ein paar Tage brennen werden. Tatsächlich gibt es vieles, was wir erstmal verarbeiten müssen, um es wirklich zu verstehen. Im Rahmen einer Keynote, einer kurzen Präsentation oder einem flüchtigen Gespräch fehlt einfach zu oft der Kontext oder das Big Picture, das notwendig ist, um neue Informationen einzuordnen.
Ein Beispiel: Vishy Swaminathan, Principal Scientist bei Adobe Research, hat im Rahmen der Sneak Peeks beim Adobe Summit in Las Vegas das “Video Ad AI Framework” vorgestellt. Was etwas sperrig klingt war schnell erklärt: Mit Hilfe künstlicher Intelligenz können Marketer den Erfolg einer Kampagne prognostizieren und die Creatives – etwa ein Werbevideo – auf Basis der Empfehlungen von Adobe Sensei schon vor der Publikation (!) optimieren. Dabei werden diverse Faktoren berücksichtigt, beispielsweise die Länge, der Ton oder die Auswahl der einzelnen Szenen. Das Beste daran ist, dass Sensei Optimierungsvorschläge pro Distributionskanal macht (Facebook, YouTube, Instagram etc.) und sie automatisch umsetzen kann.
Aus “erst produzieren, dann optimieren” wird “erst optimieren, dann produzieren”.
Der Applaus war ihm gewiss und am Ende erhielt Vishy sogar eine Medaille. Das Publikum hatte hingegen keine Zeit, weiter über dieses Feature nachzudenken, denn der nächste Sneak ließ nicht lange auf sich warten. Die Folgen, oder nennen wir es Potenzial, der gerade vorgestellten Technologie ist jedoch viel weitreichender, als es in diesem kurzen Moment den Anschein machte:
- Die “Einstiegs-Performance” einzelner Content Assets wird deutlich besser und das Optimierungspotenzial beziehungsweise der notwendige Optimierungsaufwand im Nachgang geringer. Das spart also nicht nur Ressourcen, sondern steigert den Erfolg schon ab dem ersten Tag. Holger Schellkopf, Chefredakteur Digital der W&V, glaubt, dass Unternehmen ohne den Einsatz KI-basierter Technologie nicht mehr lange konkurrenzfähig sein werden. Gleichzeitig merkt er aber auch an, dass der Mensch dadurch wieder in den Fokus rückt und das Humankapital in Unternehmen umverteilt werden kann.
- Das Spannungsfeld zwischen Designer und Marketer könnte sich auflockern, weil die Menge an Briefing- und Kreationsschleifen minimiert wird und sich dadurch gegebenenfalls der Zeitdruck reduziert. Dass Marketer künftig selbst Hand anlegen (wenn sie es nicht ohnehin schon tun…) sieht Stefan von Gagern, Technologie-Redakteur u. a. bei t3n, nicht kritisch, denn künstliche Intelligenz kann gewisse Qualitätsstandards garantieren. Anstatt in Anbetracht der Ergebnisse vor Furcht zittern zu müssen können Designer demnach künftig getrost auf “Fleißaufgaben” verzichten. Und wieder werden Ressourcen frei, die Raum für Kreativität schaffen.
- #KI ist dafür da, den Marketer (und eigentlich jeden anderen auch…) von alltäglichen, banalen Aufgaben zu befreien, nicht ihn zu ersetzen, sagt Shantanu Narayen. #AdobeSummit #AdobeSensei pic.twitter.com/YG5hZ6qigU
- — Experience Cloud DE (@AdobeExpCloudDE) March 27, 2018
- Die gesamte Content-Produktionskette verändert sich zum Guten, weil Marketer, Designer und Analysten Hand in Hand – das heißt vor allem auf einer Plattform – arbeiten und ihr Wissen und ihre Erfahrung auf direktem Wege weitergeben können. “Content Velocity” wird ähnlich wie bei Scrum zu einer neuen _gemeinsamen _Erfolgskennzahl, rückt die Teamleistung in den Vordergrund und fördert die Zusammenarbeit.
- Die Rolle des Marketers verändert sich: Er übernimmt immer mehr “daten-informierte Kreativarbeit”, kann schneller und gezielter experimentieren und sich auf einen Aspekt fokussieren, der in den letzten Jahren vielleicht etwas zu kurz gekommen ist, nämlich Kommunikation. John Mellor, VP Strategy, fordert sogar ein neues Verständnis weg vom Marketer hin zum “Customer Experience Advocate”. Also Personen, die sich vor allem nach innen gerichtet für ein herausragendes Kundenerlebnis stark machen.
- Mein Zitat des Tages stammt von @MellorTime, VP Strategy @Adobe, der #KI nicht als Gefahr für Marketer betrachtet, sondern als Chance: “The creative process is uniquely human.” #AdobeSummit #Interview pic.twitter.com/z9C0kAnb97
- — Robert Weller (@toushenne) March 29, 2018
Echte Erlebnisse für Kunden: Nachvollziehbare Technologien machen “Experience Thinker” zu “Experience Makern”
Die Liste ist sicherlich nicht vollständig, verdeutlicht aber meine Aussage: Experience Business ist leichter gesagt als getan. Während die erforderlichen Technologien schon heute verfügbar sind und Marketer ihr Mindset verhältnismäßig schnell ändern können, sind beides nur Funken, die eine Transformation im Unternehmen anstoßen können. Je früher sich Marketer (und auch jeder andere) vom “Experience Thinker” zum “Experience Maker” weiterentwickeln und andere begeistern, desto eher wird aus dieser Chance ein echtes Erlebnis für den Kunden.
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Auf ähnliche Art und Weise können wir auch andere Punkte weiterdenken, die im Rahmen des Summits diskutiert wurden. Mit Julian Kramer, Chief Experience Ambassador von Adobe, habe ich beispielsweise sehr intensiv über Adobe Sensei gesprochen und wie bedeutungsschwanger dessen Visualisierung eigentlich ist.
Natürlich ist es bequem für Marketer, sich voll und ganz auf künstliche Intelligenz zu verlassen. Aber nur wer nachvollziehen kann, wie bestimmte Ergebnisse zustande kommen ist auch in der Lage, bei Bedarf an den entscheidenden Stellen einzugreifen und Änderungen vorzunehmen.
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Doch wie beim Video Ad AI Framework hören die Gedanken hier nicht bei der Anwendung auf. Holger trifft den Nagel auf den Kopf mit seinem Vergleich zu MS-DOS und Windows: Was vorher nur versierte Experten bedienen konnten wurde durch die Einführung eines visuellen Interfaces schlagartig für jeden zugänglich. Ist diese Blackbox erstmal transparent und vertrauenswürdig, wird die Nutzung KI-unterstützter Tools rapide ansteigen und die Nachfrage seitens der Kunden deutlich zunehmen.
Noch haben Unternehmen die Chance, sich aktiv auf diesen Wandel vorzubereiten anstatt erst darauf zu reagieren, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Für die Transformation in ein Experience Business gibt es keinen Schalter, keine Automatisierung. Aber genau das macht den Weg dorthin in meinen Augen so spannend!