Das Erlebnis macht den Unterschied
Das Kaufhaus eröffnet einen Experience Store, der Lebensmittel-Discounter setzt auf branded Entertainment und ein Turnschuh ist längst kein Turnschuh mehr, sondern das Versprechen eines großen Abenteuers. Doch sieht der Kunde das genauso? Und ist ein Unternehmen überhaupt in der Lage, konsequent und stringent Erlebnisse zu schaffen? Hier verläuft die Demarkationslinie zwischen einem Hersteller und einer Marke.
Die Bedeutung emotionaler Verbundenheit
Wer wäre nicht gerne wie Coca-Cola? Coca-Cola, das ist eine Marke, die bei ihren Kunden sehr viele – zumeist positive – Emotionen auslöst. „Das eiskalte Getränk, die Zitrone, die Eiswürfel im Glas, das Sprudeln – alles ist extrem sensorisch“, beschreibt James Sommerville, der Vice President Global Design, die emotionale Positionierung des 130 Jahre alten Produkts. Die Experience, also das Erlebnis, das der Kunde mit dem Produkt und somit mit der Marke hat, ist geprägt von Emotionalität. Doch wie transportiert man dieses Erlebnis in den digitalen Raum? „Große, internationale Marken sprechen sehr viel. Für uns ist es wichtig, immer mehr zuzuhören. Wir verkaufen zwei Milliarden Getränke im Jahr, unser Ziel wären zwei Milliarden Konversationen“, sagt Sommerville, der Experience Maker.
Coca-Cola verdeutlicht die Bedeutung emotionaler Verbundenheit mit einem Produkt. So genießen auch Produkteinführungen bei etablierten Marken einen deutlichen Vertrauensvorschuss. Man traut ihnen zu, die Herstellungsprozesse im Griff zu haben und qualitative Standards zu halten. Dennoch müssen sich auch gestandene Unternehmen die Treue ihrer Kunden hart erarbeiten. Empathie ist entscheidend. Die aktuelle Studie von Goldsmiths und Adobe zeigt, dass Marken mit einem klaren Fokus auf die gewachsenen Anforderungen der Konsumenten die Kundenloyalität ihrer Wettbewerber um satte 14 Prozent übertreffen. Unternehmen können sich also nicht mehr allein auf die Stärke ihres Produktes verlassen. Echte Loyalität ergibt sich aus einem ganzheitlichen Markenerlebnis.
Ein spannendes Beispiel dafür liefert aktuell die Automobilindustrie. Sie ist geprägt von starken Marken und dennoch ist der Markt um Loyalitätswerte hart umkämpft. Betrachtet man die Diskussion um Handelshemmnisse, so kann man erkennen, unter welch enormem Wettbewerbsdruck sich diese Industrie gerade befindet. Ein Technologieunternehmen wie Mercedes Benz kann sich längst nicht mehr auf seiner Ingenieurskunst ausruhen, denn spannende Innovationen kommen nicht nur aus den Laboren der Großen, sondern von kleinen Start-ups aus China oder mit Risikokapital üppig ausgestatteten Herstellern aus Kalifornien. Außerdem weiß heute keiner, ob die junge Generation von morgen überhaupt noch Autos besitzen will.
Für Mercedes geht es also darum, ein ganzheitliches Markenerlebnis zu schaffen. Es muss für den Kunden mehr bedeuten, als nur ein Auto mit Stern zu besitzen oder im Car Sharing zu leihen. „Wir müssen das digitale Erleben der Marke an jedem Touchpoint möglich machen“, sagt Marketing-Chef Natanael Sijanta. Mercedes kann sich entweder emotional differenzieren, oder durch ein besseres Kundenverständnis: „Die Kunden erwarten von uns heute, dass wir Apps anbieten, die ihnen das Leben und vor allem die Mobilität einfacher machen“, so Sijanta.
Und genau das sind die Zutaten, aus denen eine gute Brand Experience kreiert wird. In einer Zeit, in der in fast jeder Produktgattung mehrere Hersteller gleichwertige Produkte erzeugen, in der Stores und Onlineshops oft identische Sortimente haben und ansonsten ohnehin alles bestellen können, haben sich die Wertvorstellungen der Kunden zu Recht verändert. Prozessuale Exzellenz gilt als Voraussetzung, als Hygienefaktor. Das gilt für die Produkte aber auch für Marketing, Service und Onlineshop.
Schnelle Lieferung ist ein Muss aber kein Mehrwert. Versandhändler wie Otto definieren die Kundenbindung längst nicht mehr über NextDay-Delivery und in der Preispolitik ist der größte europäische Onlinehändler nur selten führend, aber doch meistens im vorderen Drittel.
Erlebnis ist nicht Inszenierung
Den Unterschied aber macht das Erlebnis. Projekte wie ABOUT YOU sorgen für eine viel tiefere, emotionale Verbindung zwischen Kunden und Versender. ABOUT YOU spricht die Sprache der Zielgruppe. Statt um Einzelprodukte geht es um Styles. An die Stelle der spröden Artikeldatenbank treten sorgfältig aufbereitete, redaktionelle Inhalte, die die ausgewählten Produkte in den Lebenswelten der Kunden verankern. ABOUT YOU ist kein Produktversender, sondern will dem einzelnen Kunden, der einzelnen Kundin, helfen, besser auszusehen.
Dieses Erlebnis setzt sich im Wesentlichen aus zwei Bausteinen zusammen. Da wäre zunächst die Erfahrung, die man mit einem Hersteller und seinen Produkten und Angeboten aber auch mit seinem Marketing gemacht hat. Sie prägen das latente Bild, das sich ein Kunde von einer Marke macht. Im Zeitalter des aufgeklärten Kunden und von Social Media wird es keinem Unternehmen mehr gelingen, ein gänzlich anderes Bild von seiner Marke zu erzeugen, als es von den Kunden im Alltag erlebt wird.
Hinzu kommt als zweiter Baustein die aktuelle Erfahrung mit einer Marke. Die Reaktionsgeschwindigkeit auf Social Media, die Freundlichkeit im Service, die Verpackung einer Lieferung – all das prägt das ganzheitliche Markenbild.
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Das heißt nicht, dass man die Marke nicht verändern kann. Nur geschieht das nicht über abgehobene Werbeparolen und vermutlich war das nie wirklich der Fall. Aber man kann natürlich das Gute in einem Produkt auf eine andere Ebene der Wahrnehmung heben. Wichtig ist aber, dass es dabei nicht die Bodenhaftung verliert. Nicht umsonst geben die Hersteller von Ski den gesponserten Rennläufern im Ziel Produkte in die Hand, die den Amateur-Ski zum Verwechseln ähnlichsehen, technisch aber komplett andere Produkte sind. Mit einem professionellen Abfahrts-Ski könnte keiner von uns auch nur eine einzige Kurve fahren.
Eine Bestandsmarke kann aber auch so viele Haltekräfte entfalten, dass neue Marktsegmente damit nicht adressierbar sind. Auch das ist Brand Experience. BMW hält die Marke Mini bewusst unabhängig, weil man genau weiß, dass der Mini-Kunde nur zum Teil in eine BMW Welt passen würde. Die deutsche Dachmarke wurde nur nach der Übernahme 2001 subtil mit inszeniert. Minis waren zwar immer cool, aber oft auch fehleranfällig. Dem ist man begegnet, in dem man das Vertrauen, das BMW in Sachen technischer Exzellenz genießt, ein Stückweit auf die Marke Mini abstrahlen ließ. Inzwischen hat sich die Marke davon freigemacht. Von BMW ist auf der Website kaum mehr die Rede.
Das ganze Unternehmen ist gefragt
adidas setzt mit seinem erfolgreich gestarteten Produkt GLITCH auf einen Mittelweg. Natürlich kann man auf dem bestehenden Vertrauen der Kunden in die Produktexzellenz aufbauen. Gleichzeitig soll es aber ein besonderer, ein anderer Fußballschuh sein. Gerade bei Innovationen, die sie noch nicht kennen, vertrauen Endkunden eher bekannten Marken. Die Lösung für adidas ist ein hybrider Fußballschuh. Die Basis bildet ein technisch ausgereifter „Innenschuh“, auf dem mit wenigen Handgriffen eine individuell gestaltete und optisch zum eigenen Lebensgefühl passende Außenhaut aufgebracht wird. Und ganz wichtig: Prominente Fußballer werden als Testimonial eingesetzt, um zu zeigen, dass es sich nicht um ein reines Lifestyle-Produkt handelt, sondern um einen professionellen Fußballschuh mit Lifestyle-Komponente.
Wer heute eine Marke inszenieren oder gar zur Love Brand aufbauen will, muss das in allen Unternehmensteilen leben. Man kann kein cooles Lifestyle-Unternehmen sein und dann ein unfreundliches und unterbesetztes Call-Center im Service betreiben. Die User-Experience wäre ein „Ja, aber!“ und das kann weder der Marketer, noch sonst jemand im Unternehmen, wollen.
Service, Vertrieb, Marketing, Geschäftsführung, Produktentwicklung und Herstellung müssen die gleiche Idee von dem haben, wie Unternehmen und Kunden interagieren, eine Corporate Personality. Sie müssen eine ähnliche Sprache sprechen, sie sollten das gleiche Ziel verfolgen. Für viele Unternehmen ist das eine gewaltige Change-Aufgabe. Die Silos müssen teilweise aufgelöst werden – eine vollständige Auflösung wäre ökonomisch nicht effizient. Kundenfeedback muss durch das Unternehmen fließen. Das Wissen und die Fähigkeiten jedes einzelnen Mitarbeiters gilt es effizient einzusetzen und natürlich ist eine Software-Infrastruktur unerlässlich, um alle Daten zusammen zu führen und zum optimalen Erkenntnisgewinn zu verdichten. Kluge Algorithmen, Künstliche Intelligenz und Automatisierungs-Bausteine helfen dabei. Dann wandelt sich das Unternehmen zu einem lebenden Organismus, der in der Lage ist, auf sich verändernde Kundenbedürfnisse schnell reagieren zu können. Und für den Kunden entsteht ein Erlebnis aus einem Guss, eine ganz reale Customer Experience.
Übrigens: Der Amerikaner unterscheidet beim Begriff Experience nicht zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Zu jedem Zeitpunkt – auch genau jetzt – entsteht „Erfahrung“. Eine Begriffsdefinition, die auch bei uns gilt, aber in Vergessenheit geraten ist. „Erfährt man Glück“, geschieht das in genau diesem Moment.
Dieser Artikel erschien am 09.05.2018 bei t3n.