Iskender Dirik von Microsoft ScaleUp: „KI wird im Marketing helfen“

Microsoft ScaleUp hilft in Berlin vielversprechenden Start-ups beim Skalieren in der kritischen Wachstumsphase. Im Interview erzählt CEO Iskender Dirik, warum Marketing heute immer noch zu viel Handarbeit ist und wie KI das Problem überwinden wird.

Iskender Dirik von Microsoft ScaleUp: „KI wird im Marketing helfen“

Iskender Dirik ist Managing Director/CEO bei Microsoft ScaleUp in Berlin, dem exklusivsten Programm für innovative Tech-Start-ups weltweit bei Microsoft. Zudem ist er Venture Partner bei EQT Ventures, einem der größten Venture Capital-Fonds in Europa. Dirik bringt enorm viel Erfahrung mit: Er hat selbst mehre Start-ups gegründet, Big Data und Machine Learning-Technologien für große Konzerne aufgebaut, DAX-Unternehmen im Bereich Online Marketing beraten. Aktuell fokussiert sich der CEO stark auf Künstliche Intelligenz. Mit diesem Thema steigen wir auch direkt ins Interview ein.

In diesem Interview mit CMO.com bespricht Dirik die Probleme, von denen er glaubt, dass KI sie lösen wird, wie KI ein Jobschöpfer sein wird und drei andere neue Technologien, die er genau beobachtet.

CMO.com: Iskender, du hast eine Infografik veröffentlicht„Die Zukunft des AI transformierten Marketings”. Kannst Du uns erklären, welche Transformation durch KI stattfinden wird – oder bereits im Gange ist?

Dirik: Ich fange vielleicht erstmal da an, wo aus meiner persönlichen Sicht noch Probleme im Marketing und speziell im Online-Marketing liegen. Es gibt derzeit noch drei „Schmerzpunkte“: Der erste ist, dass die Prozesse immer noch sehr manuell sind. Wir arbeiten immer noch viel mit Excel-Dateien, müssen Daten sammeln, manuell bereinigen und zusammenführen, Landing Pages und Banner bauen plus diverse Kanäle im Auge behalten.

Zweitens: Beim Targeting gibt es sicherlich noch Optimierungsbedarf. Wenn wir uns anschauen, was wir auf Webseiten an Produkt-Bannern serviert bekommen, ist das immer noch Ausbaufähig. Auch Multichannel mit Online- und Offline Daten bleibt eine Herausforderung - inklusive Cross-Device Marketing über Geräte hinweg.

Dritter Punkt ist das schwierige Fällen von Entscheidungen. Für den Marketer stehen viele Optionen und Kanäle offen und es gibt Fragen wie: „Welche der vielen Online-Kanäle soll ich bedienen? Wie soll ich sie miteinander verknüpfen? Was führt zur besten Konversion?“ Dazu ist oft unklar, wie die Kanäle zusammenhängen. Zu diesem Zweck gibt es „intelligente Dashboards“ mit grünen und roten Balken. Die sind aber nicht wirklich intelligent, denn was man tun soll, bleibt einem dann selbst überlassen. Deswegen sage ich: Marketing heute bedeutet Schmerz und KI ist das Schmerzmittel dagegen.

CMO.com: Und wie sieht das konkret aus?

Dirik: KI wird helfen, die manuellen Prozesse komplett zu automatisieren. Das beginnt beim Sammeln und Bearbeiten von Daten und geht bis zur automatisierten Generierung von Ads und Landing Pages. Ads und Videos - das ist für viele noch ziemlich spooky - werden von KI gestaltet werden. Das könnte sogar dazu führen, dass keine menschlichen Models darin zu sehen sind. Es wird stattdessen menschlich aussehende Models geben, die von KI automatisiert generiert wurden. Diese können dann individuell auf den Betrachter ausgerichtet werden.

KI wird auch dafür sorgen, dass wir Hyperpersonalisierung weiter verbessern. Und zwar nicht mehr über Clustering, sondern der einzelne Mensch sieht die Werbung, die für ihn gerade die beste Produktempfehlung ist. Ein Unified Data Warehouse - da sind viele Unternehmen noch weit entfernt - wird helfen, jeden User an jedem Touchpoint zu erkennen. Bis hin zu, dass der Kunde in den Laden hineingeht, am Gesicht erkannt wird und mit seinem User-Profil im Geschäft offline angesprochen wird.

KI wird einen enormen Mehrwert bei der Entscheidungsfindung bieten. Supersmarte Algorithmen werden dem Marketer ganz klare Empfehlungen geben, was er tun soll. KI kann sagen: „Ich empfehle dir folgenden Marketing-Mix. Du solltest so viel Geld in Facebook und so viel in Kanal A, B und C investieren. Das wird sich dann wie folgt auf dein Business auswirken.“ Der Marketer erhält eine Entscheidungsvorlage und kann sagen „Ja, das will ich oder nicht.“ KI kann zudem konsequent daran arbeiten, die Conversion zu verbessern. Deswegen sage ich in Summe: KI ist der Schmerzkiller im Marketing.

CMO.com: Natürlich gibt es Kritik und Angst rund um KI - angefacht zum Beispiel durch die Zalando-Meldung mit den durch KI ersetzten Arbeitsplätzen. Ist KI nicht nur ein Schmerzmittel- sondern auch Jobkiller?

Dirik: In Teilen ja, aber sie wird neue Jobs schaffen. Ich glaube es bringt auch niemanden etwas, das Thema KI Angst getrieben anzugehen. Wir dürfen durchaus kritisch sein, sollten KI aber auch als Chance verstehen. Im speziellen Fall „Zalando“ glaube ich nicht, dass 250 Menschen vollständig durch KI ersetzt wurden. Das ist eine tolle Story, aber dahinter steckt meiner Meinung nach etwas anderes: Tatsächlich hat sich das Unternehmen schlanker und effizienter aufgestellt.

Ich glaube Folgendes wird tatsächlich passieren: Die Jobs, die sehr manuell und repetitiv im Marketing sind, werden durch KI ersetzt - hier müssen wir uns nichts vormachen. Aber das sind Fließband-Jobs, die wir in der Industrie auch schon mal wegrationalisiert haben. Und wenn wir das damit vergleichen, sehen wir, dass mit dem technologischen Fortschritt die Arbeitslosenzahl gesunken ist. Für die weggefallenen Jobs wird es neue geben. Die neu geschaffenen Stellen sind dabei menschlicher als die, die wegfallen. Wenn wir ehrlich sind: Die repetitiven Aufgaben sind die, die wir nicht gerne machen. Ich glaube hier kommen Jobs, die mehr Spaß machen und uns die Chance bringen kreativer zu sein.

Es liegt auch ein bisschen an den Marketern selbst: Sie müssen sich und mit dem Job weiterentwickeln. Wer dazu bereit ist, für den wird KI etwas Gutes sein.

CMO.com: Welche Start-ups fördert ihr bei Microsoft ScaleUp?

Dirik: Wir haben weltweit acht Standorte, ich betreue dabei den Berliner Standort. Wir arbeiten mit Start-ups mit technologischen Background und KI ist dabei aktuell das Wichtigste. Wir arbeiten mit ganz vielen KI-Start-ups zusammen. Das sind nicht ganz frühe Startups, die noch in ihrer Garage werkeln. Wir arbeiten mit erwachseneren Start-ups, die schon einen ersten Proof-of-Concept hinter sich haben. Das sind oft auch Start-ups, die bereits über eine Million Umsatz machen und 25-50 Mitarbeiter und Enterprise Kunden haben.

Wir unterstützen diese Unternehmen beim Skalieren. Nach der ersten größeren Finanzierungsrunde kommt eine wichtige Wachstumsphase. Als Microsoft geben wir diesen Start-ups Zugang zu Enterprise-Clients. Wir helfen ihnen bei der Skalierung der Technologie, wie z.B. der Cloud-Infrastruktur.

Zudem versuchen wir mit internationalen Coaches, unsere Gründer beim Talent Development, der Verhandlungsstrategie oder Preisstrategie zu supporten, um ihnen auf die nächste Business-Stufe zu verhelfen.

CMO.com: Wie kommt man an die Förderung heran?

Dirik: Man meldet sich bei mir über E-Mail oder LinkedIn. Das ist ganz unkompliziert und dann schauen wir uns jedes Start-up an.

CMO.com: Welche Trends fürs Marketing siehst Du außer KI derzeit noch?

Dirik: Jetzt kommt das zweite große Schlagwort: Blockchain. Bisher sind noch nicht so viele interessante Use Cases vorhanden, aber sie werden kommen. An dem Trend kommt auch das Marketing nicht vorbei. Daneben finde ich Virtual Reality und Augmented Reality spannend. Ich glaube, das wird noch eine ganz neue Welt fürs Marketing mit neuen Anwendungsfällen öffnen. Aus der Nutzerperspektive wird sich der Zugang zu Produkten weiterentwickeln. Du kannst per VR vom Sofa aus einen Shop in New York auf der 5th Avenue besuchen.

Außerdem spielt etwas nicht-technologisches, nämlich Kreativität und Storytelling eine spannende Rolle. Beides kommt als ganz wichtiges Element zurück. Je mehr wir uns in Richtung Automatisierung bewegen, umso wichtiger wird Kreativität werden, um sich mit einem Produkt vom Wettbewerb abzusetzen.