E-Government: „Es fehlt noch das Erlebnis”

In Sachen E-Government gibt es schon lange Bemühungen, die Ämter zu entlasten und Bürgern mit Online-Angeboten Wartezeiten und Behördengänge zu ersparen. Doch oft wird hier noch zu sehr in Technik und IT gedacht. CMO.com/DE sprach mit Experte Thomas Meyer über die oft vernachlässigte Komponente des Kundenerlebnisses.

E-Government: „Es fehlt noch das Erlebnis”

Die digitale Beziehung von Bürgern zum Staat und seinen Organen ist eines der meistdiskutierten Themen unsrerer Zeit. In diesem Kontext veröffentlichte Adobe eine Studie, bei der mehr als 7.000 Personen in 7 Ländern befragt wurden. Wichtigstes Ergebnis: Bürger erwarten umfangreiche und einfach zu nutzende Online-Services von Behörden. Die derzeitigen Lösungen geben noch Raum für Verbesserungen (Studie jetzt kostenlos downloaden). Wir trafen uns mit Thomas Meyer, einem Experten für digitales Marketing und Brand Strategy für ein Gespräch zum Thema E-Government. Bei Adobe arbeitet er als Director Business Development für Zentraleuropa an der Vision, die Welt durch digitale Experiences zu verändern.

CMO.com/de: Bemühungen in Sachen E-Government gibt es schon lange. So richtig ist der Durchbruch aber noch nicht gelungen, das ist zumindest unser Eindruck. Stimmt das – und falls ja: Wo hakt es?

Meyer: Auf der einen Seite hat sich E-Government in vielen Bereichen noch nicht wirklich etabliert. Auf der anderen Seite gibt es Beispiele, wo es ganz gut klappt. So ist die elektronische Steuererklärung mit Elster inzwischen selbstverständlich und seit vielen Jahren ein Vorzeigeprojekt in Deutschland. Gleichzeitig haben wir in unserer Studie festgestellt, dass auch in anderen Ländern bereits viel unternommen wird, was Themen wie Hilfen, Online-Anträge oder die Möglichkeit, Formulare abzuspeichern und von einem anderen Device wieder aufzurufen, betrifft. Auch in Sachen Responsivität, also dem mobilen Zugriff auf Angebote, sieht es gar nicht schlecht aus.

Viele Grundlagen technischer Art sind gelegt. Was aber fehlt – und das zeigt auch unsere Studie – ist das darüber hinaus gehende Erlebnis. Wirklich vom Kunden gedacht heranzugehen, ihm Hilfestellung zu bieten, zum Beispiel beim korrekten Ausfüllen bestimmter Formulare und den Dialog zu stärken.

CMO.com/de: Lässt sich das Erlebnis auf Behördenseiten überhaupt mit dem auf Online-Shopping-Plattformen vergleichen?

Meyer: Es ist nicht vergleichbar mit einem emotionalen Shopping-Erlebnis. Aber wenn ich sehe „da hat jemand mitgedacht und ermöglicht mir hier Dinge zu tun, von denen ich dachte, dass das online gar nicht möglich wäre“ dann ist das schon viel.

CMO.com/de: Was erwarten Bürger von einem guten Angebot?

Meyer: Die Bürger erwarten viel, aber in unserer Studie haben sich fünf essentielle Qualitätsmerkmale herausgestellt:

  1. ’Citizen Journey‘ – Die Bürger wollen das End-to-end-Programm. Nicht abbrechen, dann drucken und doch wieder zum Amt laufen müssen. Sie möchten die Dinge auch in möglichst wenigen Schritten erledigen.
  2. Mobilität – Sind die Online-Services für Mobilgeräte optimiert? Kann ich von unterwegs schauen, ob ich meinen Pass beantragen kann, Termine frei sind oder kann ich Öffnungszeiten abfragen? Wenn ich das mobil erledige, sollte ich auch nicht mehr meinen Standort eingeben müssen.
  3. Design – Ist die Benutzerführung intuitiv? Ist sie visuell ansprechend und funktional? Werde ich als Nutzer durchgeführt? Finde ich ansprechend designte Vorgänge? Das erhöht die Conversion Rate.
  4. Relevanz – Ist das Erlebnis passend zugeschnitten? Ist es personalisiert? Weiß die Behörde, dass ich woanders schon einmal meine Daten eingegeben habe? So muss ich als Bürger keine Doppeleingaben mehr machen
  5. Beziehung – Fließen hier Informationen nur in eine Richtung oder wird hier auch ein Dialog gefördert? Gibt es eine Möglichkeit, auf Augenhöhe mit dieser Behörde in Kontakt zu treten?

Das sind die fünf Dinge, die wir in unserer Studie auch nochmal ausführlich beleuchten.

CMO.com/de: Stichwort Doppeleingaben. Wir alle kennen und wundern uns immer wieder über das Problem. Wie kann es gelöst werden?

Meyer: Dafür müssen Behörden Datensilos überwinden und stehen damit vor den gleichen Herausforderungen wie viele Unternehmen aktuell – wie zum Beispiel Banken. Wenn ich dort einen Antrag stelle, ist lange nicht gesagt, dass die Daten von meinem Girokonto schon vorliegen. Datensilos werden aber von den Kunden nicht mehr akzeptiert. Die sagen: Ich bin der gleiche Kunde, ob ich online oder im Shop eingekauft habe. Ich möchte das gleiche Erlebnis haben. Ähnliches passiert im Moment bei Behörden und es ist ein Punkt, wo diese sich noch schwertun – insbesondere im „Datenschutz-Land“ Deutschland.

CMO.com/de: Was verbessert sich mit guten Kundenerlebnissen bei den Online-Services für die Behörden und die Bürger?

Meyer: Es gibt eine höhere Nutzung und bessere Akzeptanz von Online-Angeboten. Dadurch ergibt sich eine Kostenersparnis, da Behörden weniger Personen im Call-Center oder vor Ort brauchen. Bei stärkerer Nutzung ergibt sich eine geringere Fehlerquote, weil keine dritte Person mehr Eingaben machen muss, wenn sie zum Beispiel Formulare abschreibt. Plausibilitätschecks können zudem gleich bei der Eingabe Fehler vermeiden. Mit dem viel direkteren Feedback kann ich als Behörde besser verfolgen, was die Bürger gerne nutzen, was ich ausbauen oder noch verbessern muss. Die eingesparten Kosten und Ressourcen können dann an den Stellen genutzt werden, wo ich sie wirklich brauche. So kann ich die persönliche 1:1 Beratung da anbieten, wo sie gebraucht wird und besseren Service bieten. Behörden bauen also keine Ressourcen ab, sondern setzen sie zielgerichteter ein.

Behörden können sich dadurch als kompetenter, zukunftsfähiger Dienstleister und Dialogpartner positionieren. Sie werden als Dialogpartner wahrgenommen, die vernünftig mit Daten umgehen und eine gute User Experience anbieten. Im Gegenzug sind die Bürger offener im Umgang mit den Behörden. So kann sich ein viel besseres Verhältnis zwischen Bürger und Behörden entwickeln. Das wird noch stark unterschätzt.

CMO.com/de: Wie gut stehen die Chancen, dass Customer Experience im Kopf der Behörden ankommt?

Meyer: Aus meinen Gesprächen mit Entscheidern bei Behörden sehe ich, dass das Thema enorm an Bedeutung gewonnen hat. Ich habe die Ergebnisse der Studie auf der Tagung „Digitaler Staat“ vorgestellt und durfte sie als Keynote-Speaker auf der Hauptbühne präsentieren. Die Resonanz war enorm und auch in jedem weiteren Vortrag war das Thema der digitalen Experience für den Bürger präsent. Die Notwendigkeit wird also absolut erkannt. Bei der Umsetzung stoßen wir dann auf die bekannten Probleme: Datenschutzdiskussionen und Datensilos bremsen. Durch unser föderales System sind Investitionen auf Prozesse mit lokaler Ebene verlegt. Das erfordert viel Koordination und ist selten von einem CIO einfach anzuordnen. Daher brauchen die Veränderungen Zeit – doch der Wille ist da.