KI hilft dem Bauchgefühl

Kein Buzz­word schallt dieser Tage so oft von Kon­ferenzbüh­nen wie Kün­stliche Intel­li­genz. Von mas­sivem Arbeit­splatzver­lust ist die Rede und von der Unfähigkeit, intel­li­gente Maschi­nen noch beherrschen zu kön­nen. Dabei wird oft überse­hen, dass KI für Mar­keter lang­weilige Rou­tin­ear­beit­en erledi­gen kann und bei der automa­tisierten Per­son­al­isierung hilft.

Das Mar­ket­ing hegt einen ural­ten Traum. Man möchte so gerne die richtige Botschaft, zum richti­gen Zeit­punkt im richti­gen Ton­fall an den richti­gen Empfänger aussenden. Dann kön­nte man auf die Per­sön­lichkeit des Inter­essen­ten einge­hen und nur die Argu­mente ver­wen­den, die für ihn auch wirk­lich wichtig sind. So wie es der gute Verkäufer im Laden kann. Und tat­säch­lich ste­ht der Mar­keter heute unmit­tel­bar vor der Erfül­lung dieses Traums.

Muster erkennen, einordnen und nutzen

So wie Rena­to di Rub­bo. Er ist Chief Mar­ket­ing Offi­cer der Franke Group, die Wasser­sys­teme für Hotel­bäder, pro­fes­sionelle Kaf­feemaschi­nen, Küchenausstat­tung und Food Ser­vices anbi­etet. Das B2B-Unternehmen hat keine große öffentliche Sicht­barkeit, denn das Mar­ket­ing ist speziell auf Geschäft­skun­den aus­gerichtet. Und hier ste­ht di Rub­bo vor einem klas­sis­chen Prob­lem: Im Ver­gle­ich zu ein­er Fir­ma, die eine große Anzahl an End­kun­den erre­icht, lan­det auf der Franke-Web­site deut­lich weniger Traf­fic. Das sind Unternehmen­seinkäufer, die aber dann auch keine Einzel­geräte kaufen, son­dern ganze Systemlandschaften.

Wie per­son­al­isiert man eine Web­site, die nicht sehr viel Traf­fic hat? Viele Opti­mierungsan­sätze suchen zum Beispiel nach den „üblichen“ Klickp­faden der Nutzer und das funk­tion­iert zuver­läs­sig nur über eine große Zahl Ses­sions. Ist diese Daten­menge nicht vorhan­den, waren Mar­keter in der Ver­gan­gen­heit oft auf ihr Bauchge­fühl angewiesen. Hier kön­nen heute eine Kün­stliche Intel­li­genz im Hin­ter­grund helfen. Sie kann zum Beispiel Muster erken­nen. Geht man davon aus, dass die Einkäufer von Mar­riott oder Steigen­berg­er grund­sät­zlich ähnlich vorge­hen, lässt sich aus dem Ver­hal­ten des einen das mögliche Ver­hal­ten des anderen ableiten.

Freilich ist das nur eine Hypothese. Aber die selb­stler­nende Mas­chine prüft im Hin­ter­grund auch, ob die Opti­mierungs­maß­nahme geholfen hat. Sie ver­i­fiziert oder wider­legt die Hypothese. Im Falle Franke Group tut sie das sog­ar inter­na­tion­al und kann so Ähnlichkeit­en und Unter­schiede zwis­chen den Kun­den in ver­schiede­nen Län­dern her­ausar­beit­en. Eine wertvolle Infor­ma­tion für jede weit­ere Mar­ket­ing-Maß­nahme.

Mit KI bleibt mehr Zeit fürs Wesentliche

KI wird ambiva­lent disku­tiert. Dem möglichen Effizien­zgewinn ste­ht poten­tieller Job­ver­lust gegenüber. Automa­tis­che Sys­teme sind in der Lage, gle­ich­för­mige, ein­fache Auf­gaben sehr effizient abzuar­beit­en. „Kein Shop-Betreiber stellt gerne 700 Paar Schuhe frei“, erläutert Julian A. Kramer, der für Adobe gemein­sam mit Kun­den Szenar­ien erar­beit­et, wie man Kün­stliche Intel­li­genz sin­nvoll ein­set­zen kann. Für große Online­händler spielt zum Beispiel die Bilderken­nung eine große Rolle. Die von Her­stellern angeliefer­ten Bilder sind oft nur unzure­ichend beschriftet. Die automa­tis­che Bilderken­nung kann einen Teil dieses Prozess­es übernehmen.

Künstliche Intelligenz: Die diskrete Kraft im Hintergrund

Die Arbeit des Mar­keters wird anders. Er kann sich von Rou­tineauf­gaben lösen und auf Dinge konzen­tri­eren, die im Ver­gle­ich zum Wet­tbe­werb den Unter­schied machen. Car­ni­val Cruis­es ist ein­er von zahlre­ichen Anbi­etern für Kreuz­fahrten. Da sich ein Teil des Port­fo­lios unter den Wet­tbe­wer­bern ähnelt, genießt der­jenige einen Vor­sprung, der die Bedürfnisse des Kun­den bess­er ver­ste­ht. Das gilt auf der Reise aber auch in der Phase der Pla­nung und Buchung. Veron­i­ca Jubera ist Strate­gie-Direk­torin bei Car­ni­val Cruis­es und ihre Haup­tauf­gabe ist, die User Expe­ri­ence zu verbessern. „Wir stellen Hypothe­sen darüber auf, welche Infor­ma­tio­nen unsere Gäste wann benöti­gen und schätzen“, sagt Jubera und ver­lässt sich dabei natür­lich auch auf ihr Bauchge­fühl. Ob diese Hypothe­sen zutr­e­f­fen, ermit­telt dann die KI. „Im Ide­al­fall kön­nen wir die Gäste über die Web­site begeis­tern und sie auf vielfältige Ange­bote rund um die Kreuz­fahrt aufmerk­sam machen. Und der Buchung­sprozess funk­tion­iert so ein­fach und rei­bungs­los, dass sie ihn fast gar nicht bemerken“.

Kün­stliche Intel­li­genz ist ein Werkzeug. Sie ist nur so gut, wie die Auf­gaben, die man ihr stellt. Und die Ergeb­nisse müssen inter­pretiert, ver­fein­ert und umge­set­zt wer­den. Das sind auch in Zukun­ft die Auf­gaben des Mar­keters. So kann eine KI etwa darüber wachen, dass eine Fir­ma inter­na­tion­al die gle­iche „Sprache“ spricht. Die Entwick­lung dieses „Tone of Voice“ dient dazu, die Markeniden­tität zu schär­fen und dem Kun­den eine emo­tionale Heimat zu geben. Die Steuerung der Kom­mu­nika­tion auf dieser Ebene wäre eine Herkule­sauf­gabe. Hier hil­ft die Soft­ware. Man kann sich das vorstellen wie eine Rechtschreibprü­fung, nur viel intel­li­gen­ter. Was aber Inhalt und Form des „Tone of Voice“ ist, bes­timmt das Marketing.

Dieser Artikel erschien erst­mals am 26.06.2018 bei t3n.