Ulla Lohmanns “Abenteuer Europa” – Baltikum + Schneekoppe

47 Berge in 470 Tagen – das ist Ulla Lohmanns Abenteuer Europa. Nachdem Ulla Lohmann bei ihrer zweiten Etappe bereits in Dänemark und Norwegen war (die ganze Geschichte samt Eindrücken gibt’s hier), nimmt uns die Abenteuerfotografin im zweiten Etappenteil jetzt mit nach Estland, Lettland und Litauen. Und dann wird Tschechien auch gleich noch abgehakt. Ihre Erlebnisse hat Ulla für euch in ihrem Reisetagebuch festgehalten.

Estland

Unsere Fahrt geht weiter. Quer durch Skandinavien, vorbei an roten Häusern, die aussehen, als seien sie direkt den Büchern von Astrid Lindgren entsprungen, und an blonden, pausbäckigen Kindern. Die Landschaft ist wunderschön! Man könnte überall zum Fotografieren anhalten – oder um in eines der gemütlichen Cafés mit Spitzengardienen einzukehren. Doch die Uhr tickt, wir müssen weiter – wir sind sowieso viel zu spät dran, durch den unverschuldeten Unfall beim Start unserer 2. Etappe. Deswegen nehmen wir uns jetzt etwas vor: drei Berge an einem Tag. Insgesamt haben die Berge knapp 1.000 Höhenmeter – das sollte zu schaffen sein! Wir reisen noch mit der guten alten Landkarte und orientieren uns beim Wandern mit topografischen Karten – einfach nur, weil ich es als Geografin schade finde, dass sie mehr und mehr verschwinden.

Motiviert klettern wir früh morgens aus unseren Betten, schlürfen einen schnellen Kaffee und packen unsere Sachen für die Wanderung zum Suur Munamägi in Estland. Der Berg ist gewaltige 318 Meter hoch. Die Wanderung dauert zehn Minuten. Aber nur, weil ich zwischendurch noch fotografiere. Auf dem Hügel steht ein Aussichtssturm, der so früh noch geschlossen ist. Wir sind darüber ganz froh, denn so stören wir keinen mit unserer Drohne. Aus der Luft sieht man erst, warum der Berg seinen Namen trägt: Er schaut aus wie ein Ei, das ein Riesenhuhn in die Landschaft gelegt hat. Übersetzt heißt ‘Suur Munamägi’ ‘der große Eierberg’. Die höchste Erhebung des ganzen Baltikums ist aus kristallinem Gestein, wie auch die Umgebung. Hier sickert das Wasser nicht ab und bildet überall kleine Teiche und Tümpel. Zuerst laufe ich achtlos daran vorbei, doch dann entdecke ich, dass es darin vor Leben nur so wimmelt: Frösche, Molche, Libellen, Vögel… Die Tümpel sind wertvolle Biotope, die im Rahmen von Natura 2000 geschützt sind. Leider verschwinden sie im Zuge der Modernisierung des Landes immer mehr: Die Landwirtschaft geht zurück und damit verschwinden auch die kleinen Teiche, die früher der Wasserversorgung und als Tiertränken dienten.

Tipp: Nahaufnahmen nicht vergessen und ruhig auch mal beim Wandern länger an einem Punkt verweilen, um die Welt im Kleinen zu betrachten. Wenn ich kein Makroobjektiv dabeihabe, fotografiere ich auch mit meinem Standardzoom und beschneide das Bild hinterher entsprechend.

Estland: Kleine Teich-Biotope, die früher für die Wasserversorgung genutzt wurden

Estland ist eines der fortschrittlichsten Länder weltweit, was die Internetnutzung und den Ausbau des Netzes betrifft. Fast überall gibt es kostenloses Internet, übrigens das schnellste, das ich je erleben durfte (ich wohne auf dem bayrischen Land). Estland bietet ausländischen Bürgern sogar eine e-Residency an, sie bekommen für ca. 100 Euro eine digitale Identität, um ihr Unternehmen in Estland online gründen zu können. So konnte man schon viele ausländische Bewerber anziehen, die hier ihr Internetunternehmen gründen und in Estland Steuern zahlen. Übrigens: Skype ist ursprünglich ein estländisches Produkt. Trotz aller Digitalisierung hat Estland die höchste Zeitungsleserate der Welt – mit einer Gesamtauflage von 523 Tageszeitungen pro 1.000 Einwohnern. Je mehr ich über Estland erfahre, desto mehr bedauere ich, das Land schon wieder verlassen zu müssen. Zu gerne hätte ich eine Schule besucht, denn Estländische Schüler gehören laut PISA Ranking zu den allerbesten. Auch die Altstadt der Hauptstadt Tallin hätte ich gerne besichtigt, die ist nämlich UNESCO Weltkulturerbe. Doch die Uhr tickt.

Lettland

170 Kilometer und fast sieben Stunden später sind wir am Gaising, auf Lettisch ‘Gaizinkalns’. Die Straßen sind seit dem Überfahren der Grenze Lettlands plötzlich viel schlechter. Mit unserem großen Wohnmobil rattern wir über kurvige Pisten. Keine Chance anzuhalten, um Land und Leute kennenzulernen, geschweige denn fotografieren zu können. Überall funkeln Flüsse in der Sonne und Seen laden zum Baden ein. Lettland ist etwas kleiner als Bayern, dünn besiedelt und besitzt viele Gewässer. Ich schwimme für mein Leben gerne und mir fällt es ungemein schwer, nicht in einen der einsamen Seen zum Abkühlen zu springen. Das nächste Mal suchen wir uns ein Projekt mit Wasser! Doch noch ist es nicht so weit und wir brechen zur zwei Kilometer Rundwanderung zum höchsten Punkt Lettlands auf. Auf dem Gipfel steht ein vier Meter hoher Miniaturturm, der an den ehemaligen Aussichtsturm erinnern soll. Dieser 41 Meter hohe Turm sollte den Gaising zum höchsten Punkt des Baltikum machen. Leider hat man vergessen, zuerst ein Fundament darunter zu errichten und so wurde der Turm nie eröffnet und 30 Jahre später abgerissen. Irgendwie muss ich an den Berliner Flughafen denken…

Sonnenaufgang in Lettland

Litauen

Mittlerweile ist es schon 15 Uhr und wir haben noch 330 Kilometer vor uns. Normalerweise kein Problem, doch auf diesen Straßen? Basti gibt Gas, doch wir kommen erst weit nach Mitternacht am Fuße des Aukstojas an. Gähnend stimmen wir überein, dass ein Tag ja 24 Stunden hat und verschieben die Besteigung auf den nächsten Tag. Wieder klingelt unser Wecker viel zu früh, doch alle Müdigkeit ist beim Blick nach draußen verflogen: Die ersten Sonnenstrahlen vertreiben den Morgennebel. Vor uns liegen blühende Wiesen und eine traumhafte Landschaft, gesprenkelt mit kleinen Bauerngehöften, von Apfelbäumen umgeben, die sich unter dem Gewicht der rotbackigen Äpfel biegen. Aus der Ferne beobachten wir eine Bauernfamilie beim Ernten ihrer Kartoffeln. Alles strahlt eine tiefe Ruhe und Melancholie aus. Vielleicht liegt es an unserer Müdigkeit, vielleicht aber auch an der Atmosphäre: Ich sitze einfach nur da, fast eine Stunde lang, und genieße die Aussicht. Ich hätte nie gedacht, dass mich ein 293,84 Meter ‘hoher’ Berg so fasziniert.

Mir fällt der Abschied schwer, denn so gerne hätte ich mehr Zeit für diese drei Länder gehabt, die erst seit weniger als 30 Jahren eigene Staaten sind. Wie toll wäre es gewesen, sich länger mit dem Kartoffelbauern zu unterhalten, der ein großer Fan von Bayern München ist oder mehr über Nikolei Rands‘ Zeit in Deutschland zu erfahren. Er ist von unserem Land so begeistert, dass er sich gleich einen deutschen Schäferhund mitgebracht hat. ‘Warra’, auf Estländisch ‘Bombe’, ist sein ganzer Stolz und einziger Begleiter, abgesehen von der Flasche Whisky, die er auch mir bereits am Vormittag mehrmals anbietet…

Abstecher nach Tschechien

Weiter geht es nach Tschechien ins Riesengebirge. Schon als Kind haben mich Sagen vom Riesen Rübezahl fasziniert, nun darf ich seine Heimat selbst erwandern. Die Schneekoppe ist 1.603 Meter hoch, 850 Höhenmeter und acht Kilometer beträgt der Fußmarsch auf den Gipfel. Wir wandern im Kiefernwald los und sind rasch in der subalpinen Zone mit ausgedehnten Wäldern aus Latschenkiefern, die sich an den Hang anschmiegen. Die krummen Gehölze erinnern mich ein wenig an Zeichnungen von Haaren und Bart des Riesen Rübezahl. Die Baumgrenze liegt nicht wie bei uns in den Alpen bei ungefähr 1.800 Metern, sondern beginnt schon bei 1.200 Metern. Hier findet man auch sogenannte subarktische Hochmoore, Überbleibsel der arktischen Tundra, die während der Eiszeiten Mitteleuropa prägte. Auf der Schneekoppe wachsen sogar die in den tausend Kilometer entfernten skandinavischen Ländern bekannten und begehrten Moltebeeren. Aufgrund der Verbindung zu den Alpen konnten sich auch viele endemische Arten entwickeln, die es nur im Riesengebirge gibt. Wie viele Besucher, die mit der Sesselbahn für ein Selfie auf die touristisch gut erschlossene Schneekoppe gelangen, sich wohl Gedanken über die fragile Bergwelt hier oben machen? Eigentlich schaut alles aus wie eine ganz normale, unscheinbare Wiese. Doch durch das Fotografieren habe ich gelernt, öfter innezuhalten und meine Kamera auch auf scheinbar unwichtige Dinge zu richten, die oft viel mehr Bedeutung haben, als man ihnen zuspricht.

Aufstieg auf die Schneekoppe in Tschechien

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