Die Zukunft des Fernsehens ist linear und Daten-getrieben

Beim Schalten von TV-Werbung heißt die gute Frage: Streaming, linear – oder beides ? Unser Interview zeigt den aktuellen Stand der TV-Werbung aus Sicht der Einkäufer - und wie die Zukunft der Fernsehwerbung aussehen könnte.

Die Zukunft des Fernsehens ist linear und Daten-getrieben

Trotz der Popularität von On-Demand-Streamingdiensten wie Netflix schaut die überwiegende Mehrheit der Menschen immer noch traditionelles (lineares) Fernsehen, einschließlich der jüngeren Generationen Gen Z und Millennials.

Während die Fernsehwerbesaison läuft, hat Jim Nails Chefanalyst Jim Simply einfache Tipps für Medienkäufer, die sich entscheiden müssen, ob sie in digitales oder lineares Fernsehen investieren möchten. Sein Tipp: beides kaufen.

In diesem exklusiven Interview mit CMO.com spricht Nail über den aktuellen Stand des TV-Werbekaufs in den USA - ein gutes Trend-Barometer für den Stand in Europa -, die Notwendigkeit einer besseren Zusammenarbeit und Verständigung zwischen traditionellen und digitalen TV-Käufern und wie die Zukunft der Fernsehwerbung aussehen könnte.

CMO.com: Schaut noch jemand live, werbefinanziertes lineares Fernsehen?

Nail: Das ist so eine brancheninterne, technisch versierte und elitäre Frage. Leider spiegelt es die Wahrnehmung wider, die viele in der Branche haben. Aber es reicht, sich den ”Nielsen Total Audience Report” anzusehen: Lineares TV spricht noch immer die Mehrheit der Zuschauer an – selbst im Segment der 18- bis 34-Jährigen sind das noch die Hälfte der Zuschauer. Also ja, die Leute schauen immer noch traditionelles Fernsehen.

CMO.com: Welche Rolle spielen Daten heute beim Kauf von TV-Werbung?

Nail: Wir sind hier mit einem Wandel konfrontiert. Das Fernsehen hat sich knapp 20 Jahren lang gegen den Fortschritt von Technologie und Daten behauptet. Selbst als NBCU, Turner, Viacom und andere vor drei oder vier Jahren ihre Publikumsdatenplattformen auf den Markt brachten, dauerte es einige Jahre, bis sich Werbetreibende auf die neuen Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer linearen Käufe mit “Advanced TV” oder “Data-driven” linearen Käufen einließen.

Hier bewerten Sie die Zuschauerzahl von Programmen anhand von Faktoren, die über die typische Altersgleichheitsdefinition hinausgehen. Nehmen wir beispielsweise einen Windelhersteller, der sich in Shows mit einer hohen Konzentrationen von Haushalten mit Kindern unter 3 Jahren einkauft oder eine Automarke, die auf Haushalte mit einem auslaufenden Fahrzeugleasing abzielt. Die Daten sprechen hier eine deutliche Sprache: Sich lediglich auf ein Publikum zwischen 18 und 34 Jahren zu konzentrieren, greift zu kurz.

CMO.com: Hier kommt Adressable TV – eine Kreuzung aus linearem TV und digitaler Werbung – ins Spiel, wo man verschiedene Anzeigen für verschiedene Segmente schaltet, richtig?

Nail: Ja. Es gibt zwei theoretische Vorteile, die meiner Meinung nach noch auf ihre Bewährung warten. Einer davon ist das Targeting. Der Nachteil ist hier natürlich die Skalierung: Der Fernseher war schon immer auf die großflächige Kommunikation ausgerichtet. Wenn Sie sich für eine gezieltere Strategie entscheiden, können Sie dann ihre Geschäfts- und Brand Lift-Ziele erreichen? Das ist immer noch eine Art experimentelle Phase.

Der andere theoretische Vorteil, der durch frühe Forschung und den gesunden Menschenverstand bestätigt wird, besteht in der höheren Aufmerksamkeit, der On-Demand-Services im Vergleich zu linearen Angeboten entgegengebracht wird. Die Leute setzen sich hin und entscheiden, was sie heute Abend sehen wollen. Sie werden bei Hulu, in ihrer Netzwerk-App oder bei einem anderen Service suchen. Es ist wahrscheinlicher, dass sie ihre Augen für einen höheren Prozentsatz der Zeit auf dem Bildschirm haben. Daher wird die darin enthaltene Werbung wertvoller sein.

CMO.com: Adressable TV ist kein wirklich ein neues Konzept. Was hält das Angebot Ihrer Meinung nach davon ab, mehr Mainstream zu werden?

Nail: Wir stecken in diesem Schnittpunkt zweier verschiedener Übertragungsmechanismen des Fernsehens: Jeder Kanal folgt seiner eigenen Logik. Sie können weder allein digital, noch traditionell denken. Das funktioniert einfach nicht.

Wir warten immer noch auf den Tag, an dem es Media Buyer geben wird, die in beiden Welten zu Hause sind und einen ganzheitlichen Plan entwickeln können. Sie werden sowohl lineare als auch adressierbare Werbeplätze in OTT-Streaming kaufen und einen ganzheitlichen Plan entwerfen, der ihre Kommunikations- und Geschäftsziele erreicht.

CMO.com: Wie wird diese Werbung gemessen?

Nail: Das ist einer der großen Stolpersteine. Auf der linearen Seite haben Sie Nielsen-Bewertungen, die in Bruttobewertungspunkten gemessen werden. Dann haben Sie eine Reihe individueller Impressions, die Sie aus den OTT-Systemen gewinnen. Wir sehen auch immer mehr den Einsatz von ACR-basierten Messsystemen [Automatic Content Recognition]; Inscape und Roku sind hier ganz vorne mit dabei. So erhält man zumindest einige demografische Daten auf Haushaltsebene.

Man kann beide Methoden zusammenführen, aber dann bekämpft man die Nielsen-Viewer-Demografie mit der OTT-Haushaltsdemografie – das lässt die Köpfe einiger Leute explodieren. Sie können die Konzepte nicht zusammenfassen und behaupten: “Meine gesamte GFK-Lieferung ist X”, weil Sie so gewissermaßen Äpfel und Orangen mischen.

CMO.com: Die Upfronts gehen los. Sollten sich die TV-Werbeeinkäufer anders vorbereiten als der letzten Saison?

Nail: Letztes Jahr gab es viel Gerede und ernsthafte Versuche mit dieser fortschrittlichen, datengesteuerten linearen Art des Kaufens. Ich vermute, dass das in diesem Jahr noch stärker in den Upfront-Prozess integriert werden wird.

Jeder Werbetreibende, der sich keine Gedanken gemacht hat, wie er über die Alters-Genderdefinitionen hinauskommt und die Gruppe über die konzeptionelle Ebene hinaus aktiviert, muss die grundlegenden Unterschiede zwischen dem dem NBCU-Publikumsystem von Viacom, Turner oder ABC verstehen. Nur so können sie kompetent über datengesteuerte Ziele verhandeln. Werbetreibende müssen eine einheitliche Datenbasis sicherstellen, denn jedes Netzwerk stützt sich auf eigene, unterschiedliche Datenquellen. Die Definition, was das eigentliche Ziel ist, kann da schnell unscharf werden.

CMO.com: Was erwartet die Fernsehwerbung in den nächsten zwei Jahren?

Nail: Wir sollten andersherum an die Sache herangehen: Was können wir in den nächsten Jahren nicht erwarten? Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass alle Fernseher einzeln adressierbar und haushaltsnah sind. Ich höre noch immer Klagen, insbesondere von digitalen Menschen. Man kann nicht einfach abwarten, bis es soweit ist. Das passiert nicht in zwei Jahren, wahrscheinlich nicht einmal in fünf Jahren. Vielleicht ist es in 10 Jahren so weit.

Allerdings beobachte ich, dass digital und traditionell denkende Personen zunehmend die Köpfe zusammenstecken und voneinander lernen, um zusammen effektiver zu arbeiten. Ich bin sicher, wir werden weiterhin mehr davon sehen.

Wir werden weiterhin Fortschritte im Bereich der Publikumsmessung sehen, von den traditionellen Größen wie Nielsen und Comscore bis hin zu ACR-Datensätzen. Ziel muss es sein, beide Methoden sinnvoll zu integrieren und zu verbessern, um eine konsistente, kohärente, plattformübergreifende Publikumsmessung durchzuführen. Das hat eine sehr hohe Priorität für alle Parteien. Ich denke, wir werden in den nächsten Jahren viele Verbesserungen sehen.

Die gesamte Struktur des Kaufs von Werbeplätzen wird sich verändern, angefangen mit der linearen TV-Nutzung, denn hier haben wir noch immer das größte Publikum – insbesondere wenn man größere Altersspannen, beispielsweise von 18 bis 49 oder von 25 bis 54 Jahren anlegt. Hier gilt es, genauer hinzusehen: Welche Bereiche kann ich in dieser Zielgruppe nicht durch lineare Werbeplatzierungen abdecken? Hier lohnt es sich, auf Details zu achten und alle Netzwerke, OTT und Streamingdienste einzubeziehen.

Es wird also eher ein Puzzle sein: Sie müssen alle Teile an den richtigen Platz setzen, um ein vollständiges Bild zu erhalten.

Lesen Sie den Bericht: “Leitfaden eines Advertisers für datengesteuertes, erweitertes Fernsehen”.