Thomas Meyer: „KI hilft bei Tätigkeiten, die mühsam, langsam und verborgen sind”

Thomas Meyer: „KI hilft bei Tätigkeiten, die mühsam, langsam und verborgen sind”

Thomas Meyer ist Experte für digitales Marketing und Brand Strategy. Bei Adobe arbeitet er als Director Digital Strategy Group an der Vision, die Welt durch digitale Experiences zu verändern. Zuvor war Thomas 16 Jahre bei McKinsey & Company als Marketing-Strategieberater und leitete dort das globale Brand Strategy & Marketing ROI Competence Center. Wir trafen ihn auf den Online Marketing Rockstars um über die Trends 2018 zu sprechen.

Zum Thema veröffentlichte Adobe die Digitale Trends Studie. Wichtigstes Ergebnis: Unternehmen, die sich mit Mitarbeitern, Prozessen, Technologie und der Organisationsstruktur dem Kundenerlebnis verschrieben haben, sind erfolgreicher als ihre Mitbewerber.

CX ganz oben, aber KI noch selten

Für die Studie wurden rund 13.000 Marketing-, Kreativ- und Technologieexperten in Nordamerika, Europa und Asien befragt. Bei der Frage nach dem meisten Potenzial für 2018 liegt die Optimierung von CX an die Spitze (19% der Befragten), gefolgt von datengesteuertem Marketing, das sich auf den Einzelnen konzentriert (16%) und überzeugende Inhalte für digitale Erlebnisse schafft (14%). Oberste strategische Priorität für Unternehmen im Jahr 2018 ist das Content- und Experience-Management. Das Kundenerlebnis steht also ganz oben auf der Agenda für 2018. Erstaunlich sind zwei Zahlen: Während bei 42% der Befragten schon KI generell im Einsatz ist, wird KI nur bei wenigen (2%) für Customer Experience genutzt. Wir sprachen mit Thomas Meyer, was die Gründe dafür sein könnten.

CMO.com: 42% der weltweiten Marketer setzen nach dem Digital Trends Report in ihrem Unternehmen bereits KI ein oder planen es zu tun. Wird das Potenzial von KI auch für Customer Experience genutzt - und wenn ja, werden die Möglichkeiten bereits ausgeschöpft?

Thomas Meyer: Es gibt in dem Report eine Diskrepanz zwischen zwei Zahlen. 42% setzen KI generell schon ein. Meine Vermutung ist, dass dies für Analysetätigkeiten, für Attributionsmodelle etc. der Fall ist. Aber nur 2% nutzen sie tatsächlich für Customer Experience. An der Zahl merkt man bereits, dass das Potenzial hier noch nicht ausgereizt ist. Ich glaube aber, dass die wahren Effizienzgewinne, die wir durch KI im Marketing sehen, auch und vor allem im Bereich der Optimierung des Kundenerlebnisses liegen. Ein wichtiger Bereich, in dem KI bereits erfolgreich eingesetzt wird, ist die Bilderkennung im Content Management. Dort haben es Marken mit Hunderten, Tausenden, manchmal sogar Millionen Bildern zu tun, die in ihr System importiert, katalogisiert und durchsuchbar gemacht werden müssen. Im Umfeld dieser Datensätze generiert KI selbstständig Keywords für jedes einzelne Bild und stellt sie dem Marketer direkt zur Verfügung. Außerdem können durch KI Routineaufgaben automatisiert werden, was sehr dabei hilft, sich auf wichtigere Dinge zu konzentrieren. Marketer können zum Beispiel mit Hilfe von KI Anomalien im digitalen Kampagnentracking viel schneller und einfacher erkennen und somit zeitaufwendige, manuelle Analysen ersetzen. Das sind alles nicht unbedingt die Lieblingstätigkeiten eines Marketers. KI kann genau bei solchen Tätigkeiten, die lästig, langsam und langwierig sind, enorm helfen – und dann ist das auch ein Einsatzfeld für die Customer Experience.

Marketer werden weiterhin selbst Kundenerlebnisse gestalten. Wenn es aber darum geht, sie automatisiert, „at scale“ und „in real time“ auszuspielen, dann bin ich damit total überfordert und es wird fast unmöglich, eine wirkliche Personalisierung hinzubekommen. Das sind genau die Einsatzfelder für KI: Erlebnisse, die relevant, kontextbasiert und personalisiert sind, hinzubekommen.

CMO.com: Stehen wir bei den Einsatzmöglichkeiten im Moment noch am Anfang?

Meyer: Ich glaube ja, und das sehen nicht nur wir so. Daher gibt es im Moment auch diesen Wettlauf rund um das Thema KI. Ganz allgemein gesprochen geht es meiner Meinung nach bei den Einsatzmöglichkeiten darum, multidimensionale Muster erkennbar und eine Anpassung an individuelle Nutzerbedürfnisse möglich zu machen – idealerweise in Echtzeit. Das kann dann in virtuelle Chatbots, VR/AR-Anwendungen oder andere Technologien münden, die wir im Moment noch gar nicht auf dem Radar haben.

Bei Adobe bauen wir intelligente KI-Systeme direkt bei uns in die Produkte ein und konzentrieren uns auf die Dinge, die wir besonders gut können. Also im Bereich der Dokumentenerkennung und -verarbeitung, der Verbesserung kreativer Workflows z.B. durch automatische Bilderkennung und Verschlagwortung und der Unterstützung, Kunden personalisierte Inhalte auszuspielen. Es geht um eine Hilfestellung für multidimensionale Dinge, die im Moment auch noch nicht numerisch erfasst werden können – mit dem Ziel einer Förderung der Kreativität. Und das ist natürlich auch unsere Herkunft und Unternehmensmission: Ziel von Adobe ist es, unseren Business-Nutzern zu ermöglichen, herausragende Kundenerlebnisse zu schaffen und ihre individuelle Geschichte zu erzählen.

CMO.com: Die Volksmeinung ist oft, dass uns KI die Arbeit wegnimmt. Stimmt das?

Meyer: Die Anforderungen an Arbeit werden sich verändern und somit gewisse Jobs wegfallen, während andere dafür neu entstehen. Tatsächlich werden meiner Meinung nach gerade solche Marketing Tätigkeiten wegfallen, von denen wir als Kind nie geträumt haben. Gibt es Kinder, die sagen, ich will später mal mit Algorithmen arbeiten, um im Online-Shop Fotos von Schuhen freizustellen? Oder die Attributionsmodelle bauen wollen, um Reichweiten zu optimieren?

Die reinen Eyeball-Optimierer werden ein Problem bekommen. Auch die Anwendungs- und Methodenkompetenz wird an Bedeutung verlieren: Attributionsmodelle zu beherrschen oder Bilder bearbeiten zu können wird zukünftig kein Wettbewerbsvorteil mehr sein. Stattdessen wird es zu einer Demokratisierung des Anwendungswissens kommen und Problemlösungskompetenzen gefragt sein, wie z.B. das Verständnis des Kundenbedürfnisses und die darauf aufbauende Kreation eines guten Kundenerlebnisses.

CMO.com: Was kann Adobe Sensei besser als andere, allgemeine KI-Engines?

Meyer: Sensei ist unser zentrales Framework für künstliche Intelligenz und Machine Learning und umfasst eine Reihe intelligenter Dienste, die auf die umfangreichen Content- und Daten-Assets von Adobe zurückgreifen. Es ist keine allgemeine KI-Engine, der man die Problemlösung überlassen kann und die Welt neu erfindet. Stattdessen ist Sensei eine „narrow purpose“ Intelligenz, die direkt in unsere Produkte integriert und somit sofort nutzbar ist. Sensei erleichtert den Zugang zu versteckten Informationen (zum Beispiel durch Anomalie-Erkennung), beschleunigt zentrale Prozesse (zum Beispiel durch Auto-Tagging) und hilft dabei, auf Basis individueller Kundenbedürfnisse die richtigen Inhalte bereitzustellen (zum Beispiel durch Auto-Targeting). Uns hilft dabei, dass wir durch Produkte wie Acrobat und Photoshop über viele Jahre ein tiefes Verständnis entwickelt haben, wie Nutzer mit Dokumenten und Bildern interagieren. Zum anderen werden durch unsere Experience Cloud über 100 Trillionen Transaktionen jährlich verzeichnet, worüber sich ein tiefes Verständnis über digitales Kundenverhalten ableiten lässt.

Ich glaube im Übrigen fest daran, dass zukünftig künstliche Intelligenz-Algorithmen selbst nicht der Differenzierungsfaktor sein werden, sondern die Daten, die Algorithmen füttern und selbst lernen lassen. So wird Sensei in den genannten spezifischen Bereichen schneller und besser sein sowie relevanteren Nutzen liefern als andere KI-Systeme, denen die Daten und Anwendungsfälle nicht zur Verfügung stehen.

CMO.com: Was sind noch generelle Trends bei KI-Anwendungen?

Meyer: Es geht darum, eigene Daten stärker zu nutzen und diese nicht an eine Plattform abzugeben. Ich hole mir also Tools dazu, behalte aber die Datenhoheit. Es wird ein großer Trend sein, seine Daten stärker zu nutzen und zu monetarisieren. Durch DSVGO und ePrivacy wird das Thema noch eine höhere Sensibilität erfahren. Früher war es „Ich will waschen und kaufe eine Waschmaschine“. Das brauche ich aber eigentlich nicht, denn ich möchte ein Servicemodell haben, bei dem ich vom Serviceanbieter die Wäsche entsprechend zurückbekomme – und zwar nur in der Art und Weise, also zum Beispiel dem Reinheitsgrad, in dem ich sie brauche. Analogie also: Ich muss die Waschmaschine nicht selbst bauen, also die Tools nicht mehr selbst programmieren – das können andere besser. Am Ende bleibt es meins und wir –der Anbieter und ich als Kunde – haben einen Servicedeal, den wir miteinander schließen.