Beautiful Disruption: Über die Schönheit der digitalen Transformation
An was denkt ihr, wenn ihr an etwas Schönes denkt?
Ich denke an einen warmen Sommerabend am Mittelmeer, das türkisblaue Wasser und an meine Kinder, die über die sanft an den Strand rollenden Wellen hüpfen. An einen perfekt einhändig geschlagenen Rückhand-Return von Roger Federer, der den Ball früh vorm Körper und ideal in der Mitte des Schlägers trifft, ihn so elegant wie kraftvoll die Linie entlang spielt und seinem Gegner damit keine Chance lässt. Oder an den atemberaubenden Anblick eines Sommergewitters über der Stadt, an den Geruch des warmen Regens auf dem Asphalt der Straßen und an das Hitzeflimmern am Horizont, wenn der Schauer vorüberzieht.
Hand aufs Herz: Wer von euch hätte bei etwas Schönem an „Digitale Transformation“ gedacht? Ich finde, das tun viel zu wenige!
Klar: Digitalisierung bedeutet steigendes Tempo, mehr Veränderung, zunehmende Unsicherheit. Deshalb empfinden bisher viele die Digitalisierung vor allem als Stress. Ich halte das für die falsche Herangehensweise. Wir brauchen einen neuen Blick. Denn die Digitalisierung bietet eine unglaubliche Vielfalt an neuen Möglichkeiten – und die können wir am besten nutzen, wenn wir mit positivem Elan an sie herangehen. Es macht riesigen Spaß, etwas Neues zu schaffen! Dazu will ich hier einen Anstoß geben – mit einer kleinen Serie über „Beautiful Disruption“.
Was bedeutet das eigentlich: Schönheit, Disruption? Und: passt das überhaupt zusammen?
Disruption heißt im wörtlichen Sinne schließlich erst einmal Zerstörung – im Wörterbuch stehen „zerreißen“, „sprengen“ und „zerstören“ als Übersetzungen von „to disrupt“. Doch seit dem brillanten Ökonomen Joseph Schumpeter wissen wir, welche schöpferische Kraft in der Zerstörung liegt: Wenn Innovationen sich ihren Weg bahnen, ist die Zerschlagung alter Strukturen die notwendige Begleiterscheinung. Exakt in diesem Sinne gebrauchen die meisten das Wort Disruption auch bei der Digitalisierung: Eine revolutionäre Idee, die nicht zu einer Weiterentwicklung bestehender Produkte oder Dienstleistungen führt, sondern den kompletten Markt umkrempelt – oder gleich ganz neue Märkte schafft.
Das ist richtig – und doch nicht das ganze Bild. Revolution findet auch im Kleinen statt: Teamleistung zählt mehr als Einzelchampions, Hierarchien verlieren an Bedeutung, Führungskräfte müssen ihre Rolle ganz neu definieren, Fehlerkultur löst Angstkultur ab, Kundenerlebnisse zählen statt einfacher Markenbotschaften: All das ist beautiful disruption. Ob im Großen oder im Kleinen, ob bei veralteten Produkten oder überholten Praktiken und Methoden – Zerstörung in Schumpeters Sinne ist nichts Negatives, sondern die Voraussetzung dafür, dass Neues, Besseres entstehen kann.
Schönheit begegnet uns in vielen Formen. In der Natur als betörende Landschaft oder anmutiges Tier, aber genauso in menschengeschaffenen Dingen. Der verzaubernde Klang einer Melodie, die perfekt geformte Skulptur, die Ausdruckskraft eines meisterhaften Gemäldes: Es ist beeindruckend, zu welchen schöpferischen Leistungen Menschen fähig sind. Millionen von uns haben kreative Hobbies: Malen, Musizieren, Kochen, Heimwerken. Weil das Schöpferische uns Spaß macht. Wir sollten diese Haltung mit in den Job nehmen. Denn es gibt kaum etwas Schöneres als eine Innovation, die sich durchsetzt. Dass sie sich durchsetzt, bedeutet ja: Sie wird vom Markt angenommen – also von uns, den Kunden. Wir sind überzeugt, dass das Neue uns einen Mehrwert bietet zum Alten, dass es unser Leben leichter macht, besser, sicherer, angenehmer, schöner. Oder einfach nur mehr Spaß macht.
„Beautiful“ und „Disruption“, so ungleich sie auf den ersten Blick scheinen mögen, ergänzen sich perfekt – und sind das ideale Leitbild, mit dem wir die Digitalisierung angehen sollten. Weil es den Fokus nicht auf das legt, was verschwindet. Sondern auf die schöpferische Energie der Disruption: Sie schafft Platz schafft für neue Ideen und Wege, sie gibt uns Raum, Entdeckerdrang und Abenteuerlust auszuleben, sie eröffnet unserer Kreativität ganz neue Möglichkeiten.
Seit knapp einem halben Jahr bin ich jetzt bei Adobe. Mit unserem CEO Shantanu Narayen habe ich kürzlich Kunden in Deutschland, Österreich und der Schweiz getroffen. Wir haben mit CEOs, CIOs, CDOs und CMOs gesprochen – und waren beeindruckt, wie positiv sich die Einstellungen von vielen zur Digitalisierung schon verändert haben. Ihre Begeisterung für Innovation und ihr Wunsch, näher an ihre Kunden zu rücken, die Geschäftsmodelle individueller auf ihre Kunden zuzuschneiden.
Die wichtigsten Erkenntnisse aus diesen Gesprächen möchte ich in den kommenden Wochen hier mit euch teilen und zur Diskussion stellen. Drei Themen treiben mich gerade besonders um.
- Wahre Schönheit kommt von innen: Wer seine Mitarbeiter nicht von der Transformation begeistern kann, kann auch keine Kunden begeistern. Wie sich die Anforderungen an Mitarbeiter verändern, warum ihre Bedeutung für den Erfolg des Unternehmens wichtiger wird, wie vormals abgegrenzte Bereiche in Unternehmen immer stärker zusammenwachsen, weshalb Kreativität in den Mittelpunkt rückt – darüber schreibe ich im ersten Teil von „Beautiful Disruption“.
- Warum Disruption und Datenschutz nicht auf Kriegsfuß stehen: Es nervt mich, wenn ich immer wieder höre, wie die Datenschutz-Grundverordnung die Digitalisierung in Europa ausbremsen würde und zum Rückstand gegenüber den USA und China führt. Ich glaube, dass viel zu viele Unternehmen ziellos Daten sammeln, mit denen sie gar nichts anzufangen wissen. Ich bin überzeugt, dass viele erfolgreiche Unternehmen nur relevante Daten erfassen (wollen) – und dass Kunden diese auch gerne an Firmen geben, wenn sie ihnen damit ein besseres Kundenerlebnis ermöglichen. Beautiful disruption heißt für uns nicht, die Kunden gläsern zu machen, sondern: sie glücklich zu machen. Was das konkret bedeutet, wie es gelingt – und warum die DSGVO dafür sogar hilfreich ist: mein Thema für Teil zwei.
- Die schöpferische Kraft der künstlichen Intelligenz: KI ist heute schon als Künstler im Einsatz. Sie gestaltet Bilder, komponiert unvollendete Sinfonien zu Ende. In Unternehmen werden KI-Anwendungen zu einer Schlüsseltechnologie. Skalierung war gestern, Skalierung plus Personalisierung ist heute – umsetzen lässt sich das nur mit KI. Die wahre Kunst liegt allerdings darin, die Potenziale des Tools KI mit außergewöhnlichen Mitarbeitern zusammenzubringen, die dieses Tool sinnstiftend einzusetzen wissen. Warum KI zum Gamechanger wird – und doch von Menschen abhängig bleibt: Damit befasse ich mich im dritten Teil.
Dieser Artikel erschien zuerst am 16. April 2019 auf Christoph Kulls LinkedIn Profil. Die anderen drei Artikel dieser Reihe folgen hier auf dem Blog.
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