Autopilot neu programmieren: Wie Einzelhändler eingefahrene Strukturen überwinden

Manche Bewe­gun­gen laufen voll­ständig automa­tisch ab. Meist kön­nen wir nicht ein­mal erk­lären, was wir da genau gemacht haben. Denn für Bewe­gungsabläufe, die wir schon hun­derte Male zuvor durchge­führt und verin­ner­licht haben, hat unser Kör­p­er eine schlaue Tak­tik parat: Unser das Gedächt­nis unser­er Muskeln funk­tion­iert wie ein Autopi­lot – so bleibt mehr Gehirnka­paz­ität für neue Her­aus­forderun­gen. Neben ein­fachen Bewe­gungsabläufen wie dem Wer­fen eines Balls kön­nen wir sog­ar so kom­plexe Auf­gaben aus­führen, wie eine Sonate von Beethoven in die Klavier­tas­ten zu hauen oder ganze Textab­schnitte zu tip­pen, ohne einen Blick auf die Tas­tatur zu werfen.

Doch was so effizient klingt, kann für Werbe­spezial­is­ten eine echte Falle sein. Selb­st wenn sie neue Dinge aus­pro­bieren, greifen sie oft auf die gle­ichen ver­traut­en Muster, Ansätze und Frame­works zurück. Das Prob­lem: Ihre Kun­den sind ihnen bere­its mehrere Schritte voraus. Denn ihr Kon­sumver­hal­ten stellt Ansprüche, die sich mit Schema F nicht mehr lösen lassen. Ver­brauch­er sprin­gen heute immer wieder zwis­chen dig­i­tal­en und analo­gen Touch­points hin und her – sei es, dass sie eine Insta­gram Sto­ry aufnehmen oder rezip­ieren, einen Pod­cast hören oder durch die Fil­iale ein­er Marke stöbern.

Einzel­händler kön­nen da oft nicht Schritt hal­ten. Laut Har­vard Busi­ness Review geben Omni-Chan­nel-Einkäufer, also Kun­den, die sowohl online als auch offline beim gle­ichen Einzel­händler einkaufen, im Laden vier Prozent mehr Geld aus – online sind es sog­ar zehn Prozent – als Kon­sumenten, die lediglich on- oder offline shop­pen. Und mit jedem zusät­zlichen Kanal steigt die Summe. Bemühen sich Marken hier nicht darum, ihre Kun­den zu ver­ste­hen und ihre Hand­lun­gen und Entschei­dun­gen über alle Touch­points hin­weg nachzu­vol­lziehen, ver­schenken sie jede Menge Poten­zial. Doch wie gelingt ein erfol­gre­ich­es Omni-Chan­nel-Konzept? Im ersten Schritt müssen Adver­tis­er ihre (poten­ziellen) Kun­den mit aus­sagekräfti­gen, maßgeschnei­derten Botschaften ansprechen, um überhaupt gehört zu wer­den und Ver­trauen aufzubauen.

Ohne Frage: Der erste Ein­druck zählt. Doch nach­lassen gilt nicht, im Einzel­han­del kommt es auf jede einzelne Erfahrung an. Jed­er Punkt der Cus­tomer Jour­ney ist eine neue Gele­gen­heit, aus Käufern loyale Kun­den zu machen und das Umsatzwach­s­tum zu steigern. „Die Wer­bung, die Kun­den ange­boten wird, muss auf ihrer per­sön­lichen Cus­tomer Jour­ney basieren. Im Grunde ist das das große Geheim­nis des Werbe­mark­ts“, so Rishabh Day­al, Dig­i­tal Strat­e­gy Leader bei Adobe.

Benutzer­fre­undlichkeit ist entschei­dend – der Bal­anceakt zwis­chen rei­bungslosen Abläufen und Erleb­nis­sen, die im Gedächt­nis bleiben, ist jedoch schmal. Doch wenn Wer­be­fach­leute Dat­en und neue Tech­nolo­gien intel­li­gent ein­set­zen, gelingt die Bal­ance zwis­chen naht­losen Erleb­nis­sen und hohem Wieder­erken­nungswert. Ein gut trainiertes Muskelgedächt­nis ist hier defin­i­tiv von Vorteil.

Routinen durchbrechen

Der Oxford Uni­ver­si­ty zufolge dauert es ger­ade ein­mal sechs Wochen, bis sich neue weiße Sub­stanz (das Hirngewebe im Zusam­men­hang mit kör­per­lich­er Bewe­gung) im Ner­ven­sys­tem entwick­elt hat. Alte Rou­ti­nen zu durch­brechen und neue Abläufe ins Muskelgedächt­nis zu inte­gri­eren dauert also gar nicht mal so lange – selb­st wenn diese Prozesse auf der höch­sten organ­isatorischen Ebene ges­tartet wer­den müssen. Das sind doch gute Nachricht­en für Adver­tis­er im Einzelhandel!

„Meis­tens sieht es doch noch immer so aus: Sie haben Ihre Mar­ket­ingteams, die sich haupt­säch­lich auf die analo­gen Kanäle konzen­tri­eren. Und sie haben Dig­i­tal­teams, die sich um die dig­i­tal­en Kanäle küm­mern. Zwar kommt langsam Bewe­gung in diese fest­ge­fahre­nen Struk­turen, doch es klafft noch immer eine große Lücke“, beobachtet Day­al. Die in vie­len Unternehmen noch immer vorherrschen­den star­ren Struk­turen ver­hin­dern, dass Wis­sen oder Dat­en zwis­chen Abteilun­gen aus­ge­tauscht und echte Omni-Chan­nel-Erleb­nisse möglich wer­den. Das Resul­tat: Daten­si­los, die es Wer­beteams unmöglich machen, die Wirkung ihrer Kam­pag­nen über alle Kanäle hin­weg zu messen. Prinzip­iell bet­rifft das jede Branche, doch ger­ade im Einzel­han­del set­zen Kun­den Omni-Chan­nel-Einkauf­ser­leb­nisse zunehmend voraus.

Mar­ketingabteilun­gen müssen ler­nen, unab­hängig und doch im Team zu arbeit­en. Das funk­tion­iert beispiel­sweise, indem die Analyse auf ein­er kanalüber­greifend­en Plat­tform zen­tral für alle Kam­pag­nen und für alle Teams zugänglich ist. So kann jede Abteilung alle Insights teamüber­greifend nutzen und die effek­tivsten Strate­gien für jeden Kanal und Kun­den entwickeln.

Neue Gewohnheiten etablieren

Tra­di­tionell sind Werbe­spezial­is­ten im Einzel­han­del auf Erleb­nisse vor Ort in der Fil­iale spezial­isiert. Doch seit dem Aufkom­men des E‑Commerce müssen sich Adver­tis­er bre­it­er auf­stellen. Im ersten Schritt heißt das: Die Aufmerk­samkeit poten­zieller Käufer gewin­nen – auf ihren bevorzugten Kanälen und mit dem ger­ingst­möglichen Kostenein­satz. Andern­falls riskieren sie, Wer­be­bud­get zu verschwenden.

Online bestellen und in der Fil­iale bezahlen – diese Hybrid­form des On- und Offline-Shop­pings hat sich laut unserem „Retail Unwrapped“-Report 2018 mehr als ver­dop­pelt. Das Fil­ialgeschäft ist also nach wie vor ein wichtiges Organ im Organ­is­mus des Einzel­han­dels. Viel zu sel­ten aber wer­den die dort gesam­melten Dat­en sin­nvoll mit jenen aus dem Onlineb­usi­ness integriert.

Doch Wer­be­treibende im Einzel­han­del müssen genau wis­sen, was ihre Kun­den wollen – son­st ver­fehlt die Wer­bung ihr Ziel. Daten­si­los sind dabei eine ihrer größten Her­aus­forderun­gen. Denn was passiert, nach­dem ein Kunde sich im Inter­net informiert hat? Wie kann der Einzel­händler her­aus­find­en, ob der Kunde den Artikel anschließend in der Fil­iale gekauft hat? Das gle­iche gilt für die Gegen­rich­tung: Wie viele Kun­den stöbern im Geschäft durch das Sor­ti­ment und kaufen anschließend online? Hier Brück­en zwis­chen den isolierten Daten­pools zu schla­gen, ist eine echte Her­aus­forderung – ger­ade weil das Omnichan­nel-Ver­hal­ten der Kon­sumenten immer weit­er zunimmt. Doch ver­streute Dat­en zu grup­pieren ist erst der Anfang. Die Infor­ma­tio­nen müssen auch im Hin­blick auf ihren Kon­text analysiert werden.

„Im ersten Schritt muss die Datendiskrepanz zwis­chen Online- und Offlin­ev­er­hal­ten geschlossen wer­den. Doch auch der Kon­text eines Kaufs ist entschei­dend. Wie kann ein Einzel­händler beispiel­sweise unter­schei­den, ob ein Kunde ger­ade ein Geschenk kauft oder ob das aus­gewählte Pro­dukt für ihn selb­st bes­timmt ist?“
Michael Klein, Direc­tor Indus­try Strat­e­gy Retail bei Adobe

Eine echte Her­aus­forderung sind zudem Online Mark­t­plätze wie Ama­zon, Jet oder Etsy. „Die Plat­tfor­men sind ein toller Absatz­markt, doch Einzel­händlern fehlt die Datenein­sicht. Sie wis­sen zwar, dass sie bes­timmte Pro­duk­te verkauft haben. Aber sie wis­sen nicht, an wen“, bemän­gelt Klein.

Was auf den ersten Blick furcht­bar kom­pliziert klingt, ist im Grunde ganz sim­pel: Mit Analyse- und Daten­man­age­ment-Plat­tfor­men kön­nen Einzel­händler Omni-Chan­nel- und Mul­ti-Device-Zuord­nun­gen ein­fach und effizient klären. Blinde Fleck­en lassen sich so iden­ti­fizieren und beseit­i­gen, Einzel­händler kön­nen das Kaufver­hal­ten ihrer Kun­den über den let­zten Touch­point hin­aus weiterverfolgen.

Inte­gri­erte Plat­tfor­men ermöglichen das Erstellen ein­heitlich­er Kun­den­pro­file, inte­gri­erte POS-Sys­teme verbinden Transak­tio­nen. Wenn Adver­tis­er hier einen Schritt wei­t­er­denken, kön­nen sie aus Offline-Transak­tions­dat­en per­son­al­isierte Ansprachen ableit­en. Ein Gärt­ner kann so zum Beispiel im Früh­jahr mit Rabat­ten auf Saatgut und Dünger oder im Herb­st mit Blu­men­zwiebeln gelockt werden.

Seg­men­tierungsmod­elle aus Einkaufs- und Ver­hal­tens­dat­en ermöglichen es Einzel­händlern, dif­feren­ziert­ere Kun­den­in­for­ma­tio­nen zu erhal­ten und so einen ganzheitlichen Blick auf ihre Kun­den zu gewin­nen. Per­sön­liche Präferen­zen und demografis­che Dat­en lassen sich so präzis­er inter­pretieren. Auch Part­ner­schaften mit Drit­ten kön­nen wertvolle Insights in das Kaufver­hal­ten geben. „Stellen sie hier auf jeden Fall sich­er, dass die Schnittmenge groß genug ist – die Daten­bank soll schließlich wach­sen, nicht schrumpfen“, so Day­al. So wie im Kraft­sport zwecks Ver­mei­dung muskulär­er Dys­bal­an­cen immer Ago­nist und Antag­o­nist trainiert wer­den müssen, ermöglicht nur eine ganzheitliche Daten­strate­gie ein mul­ti­di­men­sion­ales Bild der Käufer­in­ten­tio­nen.

Worauf es ankommt

Die Wer­bein­dus­trie ste­ht vor der großen Her­aus­forderung, neue Geschäfts­felder durch bessere Kam­pag­nen zu erschließen. Das erfordert einen Wan­del in Arbeit­skul­tur und Tech­nolo­gie, der weit über die reine Daten­er­fas­sung hin­aus­ge­ht. Die neuste Chal­lenge heißt deshalb: Omni-Channel-Werbung.

Unsere von For­rester durchge­führte Studie „The Busi­ness Impact of Invest­ing in Expe­ri­ence“ zeigt: 81 Prozent der Befragten im Einzel­han­del pri­or­isieren Kun­den­bindung und Loy­al­ität. Lediglich 31 Prozent set­zen auf Kun­den­er­leb­nisse – doch genau diese 31 Prozent kon­nten ihren Umsatz im ver­gan­genen Jahr 1,4 mal schneller steigern und auch die Kun­den­bindung lag 1,6 mal höher als bei der Konkurrenz.

Eigentlich sollte es für Wer­be­treibende ein­fach sein, die Vorgänge hin­ter ein­er indi­vidu­ellen Cus­tomer Jour­ney nachzu­vol­lziehen. Doch dafür müssen sie stets den Überblick über alle rel­e­van­ten Kanäle behal­ten – gar nicht so leicht, denn die Omnichan­nel-Werbe­strate­gie wächst immer weiter.

Kon­sumenten set­zen zunehmend auf Sprachas­sis­ten­ten, um Pro­duk­te zu recher­chieren, Einkauf­s­lis­ten zu erstellen, Preise zu ver­gle­ichen oder Webeak­tio­nen und Geschäftsin­for­ma­tio­nen zu find­en. Das geht aus dem „Retail Unwrapped“-Report her­vor. Für Wer­be­treibende ist das eine echte Dat­en-Gold­mine, sowohl aus erster Hand als auch von Drit­tan­bi­etern. Eine bessere Inte­gra­tion dig­i­taler Ser­vices wie Voice sowohl in den Fil­ialen als auch an allen Punk­ten des Onlin­eauftritts ermöglicht Einzel­händlern mehr Ein­blicke und ein besseres Ver­ständ­nis für die Inter­essen und Hand­lun­gen ihrer Kunden.

Einzel­händler set­zen zudem zunehmend auf mobile Apps für ihre Fil­ialen. Dank Geolokalisierung und früheren Suchan­fra­gen kön­nen sie ihren Kun­den so maßgeschnei­derte Empfehlun­gen geben. Sepho­ra weiß zum Beispiel, wie lange ein bes­timmtes Pro­dukt bei einem durch­schnit­tlichen Kun­den hält. Kommt ein Kunde in der Nähe ein­er Sepho­ra-Fil­iale vor­bei, erin­nert ihn eine Push-Benachrich­ti­gung daran, dass sein Liebling­spro­dukt bald aufge­braucht sein kön­nte – und entsprechen­der Nach­schub nur ein paar Schritte ent­fer­nt ist.

Der letzte Schritt zur Perfektion

Klar ist aber auch: Mit alten Gewohn­heit­en kommt man hier nicht weit­er – neue Her­aus­forderung brauchen frische Herange­hensweisen. Mit Hil­fe aus­gek­lügel­ter, erleb­nis­basiert­er Werbe­strate­gien kön­nen Einzel­händler bere­its auf die größten Schwierigkeit­en und Hin­dernisse ihrer Kun­den einge­hen. Dabei sind drei Punk­te zu beachten:

Nicht nur mithal­ten, son­dern selb­st das Tem­po vor­legen: Dafür müssen Wer­be­treibende die neusten Kanaler­weiterun­gen nicht nur ken­nen, son­dern auch ver­ste­hen und über den ersten Kauf hin­aus empathisch auf Kun­denbedürfnisse reagieren. Denn wer seine Kun­den auf jed­er Stufe der Cus­tomer Jour­ney unauf­dringlich, aber effek­tiv begleit­et, bleibt im Gedächt­nis – und öffnet die Tür für weit­ere Transak­tio­nen. Der Trick ist, Kun­den­er­wartun­gen zu antizip­ieren, bevor der Trend wieder vor­bei ist und Kun­den gelang­weilt reagieren. Raus aus der Kom­fort­zone und rein in immer neue, fes­sel­nde Kun­den­er­leb­nisse. So trainieren Sie ihr Muskelgedächt­nis immer wieder neu.