Bringt 5G die nächste Generation der Customer Experience?

Als Apple Ende Juli 2019 bekannt gab, dass es die Mehrheit des Smartphone-Modemgeschäfts von Intel übernehmen würde, schrieb die Fachpresse über die Expansion von Apple in Richtung 5G-Technologie. Die schon im Herbst prophezeiten 5G-iPhones kamen zwar nicht, dennoch verspricht die Technologie in Sachen CX Spannendes.

Bringt 5G die nächste Generation der Customer Experience?

Der Ausbau der Mobilfunknetze mit 5G-Konnektivität könnte der Katalysator für einen großen Sprung in Sachen Customer Experience bedeuten – sowohl online als auch im Laden. So können mehr Geräte parallel im gleichen WLAN surfen, als je zuvor. Zudem bedeutet 5G einen Geschwindigkeitssprung: Es ist zehnmal schneller als die meisten heute verfügbaren Breitbandnetzwerke – und zudem auch noch zuverlässig.

Kein Wunder, dass in diesem Zusammenhang bei Branchen-Events viel über die Zukunft des Marketings und Customer Engagements diskutiert wird. Die wichtigste Schlussfolgerung: 5G wird eher früher als später den neuen Standard für die Erwartungen der Verbraucher setzen.

Überholspur dank 5G

Tatsächlich kann man davon ausgehen, dass die Customer Experience in jeder Branche durch 5G eine Disruption erfahren wird. Bereits im Januar verkündete AT&T Business CEO John Donovan dem Publikum auf der Consumer Electronics Show, dass AT&T mit Start-ups und etablierten Unternehmen zusammenarbeitet, um Produkte zu entwickeln, die erst mit 5G möglich sind.

Viele Experten gehen davon aus, dass sich Anwendungen wie selbstfahrende Autos erst mit der Einführung von 5G durchsetzen werden. In einem Treffen mit Reportern Anfang des Sommers sagte Dmitri Dolgov, CTO von Waymo, der autonomen Fahrzeugtochter von Alphabet, 5G werde die aktuellen Entwicklungen erheblich beschleunigen. Insider gehen davon aus, dass Waymo-Autos mithilfe von 5G endlich schnell genug auf verschiedene Straßenverhältnisse und Situationen reagieren können, die in vergangenen Tests zu Unfällen geführt haben.

Tatsächlich beantragte Ford Motor in diesem Sommer bei der FCC die Erlaubnis, ein eigenes 5G-Netzwerk zum Testen von Connected-Car-Anwendungen aufzubauen. Das Unternehmen hatte bereits angekündigt, bis zum Modelljahr 2022 Fahrzeuge mit 5G-Anbindung in seiner gesamten Produktpalette einzuführen. Ein Ford-Beamter sagte Bloomberg.com, dass 5G für vernetzte Autos sinnvoller sei als vergleichbare Technologien.

Auch Einzelhändler nutzen die Vorteile der 5G-Konnektivität, um neue In-Store-Anwendungen zu ermöglichen. Der international operierende niederländische Einzelhändler Ahold Delhaize verwendet 5G in 500 Stop & Shop and Giant Food Stores, in denen ein Roboter namens Marty die Gänge des Lebensmittelgeschäfts patrouilliert und Regale identifiziert, die neu bestückt werden müssen oder Verschmutzungen durch ausgelaufene Produkte beseitigt. Martys Hersteller, Badger Technologies, kooperiert mit AT&T Foundry, dem Inkubator der Telekommunikation, um 5G und Robotik zu kombinieren und den Einsatz von Robotern im Einzelhandel zu erweitern.

„5G ist ein wichtiger nächster Schritt, um eine gemeinsame Transparenz über kritische Bestands-, POS- und Betriebssysteme zu gewährleisten”, so Tim Rowland, CEO von Badger Technologies.

Darüber hinaus wird 5G einen großen Impuls für Augmented und Virtual Reality geben. Ein aktueller Gartner-Bericht prognostiziert, dass bis 2020 weltweit 100 Millionen Käufer AR- und VR-Anwendungen zum Einkaufen nutzen werden – dank 5G. Der Bericht zeigt, dass viele Einzelhändler weltweit, darunter Alibaba, Adidas und Tesco, bereits neue VR- und AR-Shopping-Anwendungen testen. Das Ziel: Mit der Implementierung von 5G und AR/VR in den Filialen nicht nur die Kundenbindung, sondern auch den gesamten Produktmanagementzyklus der Marken verändern.

Dank der kürzeren Latenzzeit und der höheren Geschwindigkeit von 5G können Einzelhandelslösungen wie “magic mirrors” und AR ein wirklich personalisiertes Einkaufserlebnis bieten. Statt lediglich die „andere Kunden kauften auch“-Karte zu ziehen, sind so etwa genau auf Körpertyp und Stil maßgeschneiderte Vorschläge möglich.

„Anstatt vier, fünf oder zehn Optionen zu testen, können Sie Hunderte von Kombinationen in Echtzeit ausprobieren”, erklärt Mo Katibeh, CMO von AT&T Business. „Von diesem nahtlosen Zusammenspiel physischer und digitaler Erlebnisse hätten man vor wenigen Jahren nur träumen können. Mitarbeiter haben dank digitaler Technologien zudem mehr Zeit, sich wirklich um Kunden zu kümmern, denn organisatorische Herausforderungen lassen sich mithilfe von Analysetools präziser timen und automatisiert ausführen.“

Multisensorische Erfahrungen

Einige sagen, die 5G-Technologie könnte die Lösung für viele Herausforderungen der User Experience sein, z.B. für langsame Website-Geschwindigkeiten oder ruckelnde Videos. Eine Umfrage unter mehr als 4.000 Mobilfunknutzern in den USA und Großbritannien zeigt: Ein Drittel (33 Prozent) sieht in 5G die Lösung ihrer Verbindungsprobleme , fast neun von zehn würden ihre Telefone aufrüsten und mehr für den 5G-Service bezahlen.

5G wird Streaming in bester Qualität auf dem Smartphone möglich machen, so Luke Ritchie, Leiter der interaktiven Künste der Nexus Studios, die bereits interaktive Inhalte für den New Yorker und die Rockband U2 produziert haben. 5G wird „Hollywood-Blockbuster-Grafiken auf das Mobiltelefon bringen”, sagte er auf der CES.

Auch Hans Vesterberg, CEO von Verizon, glaubt an das Potenzial des neuen Mobilfunkstandards. Deshalb hat seine Firma das erste 5G-Produktionsstudio in Los Angeles eröffnet.

Verizon gab zudem Partnerschaften mit Medienunternehmen und Sponsoren bekannt, um Inhalte für die neue Technologie zu entwickeln. Zum Beispiel werden Reuters und die Associated Press mit Verizons Yahoo News zusammenarbeiten, um immersive Inhalte für 5G zu entwickeln und „mobileoptimierte multisensorische Inhalte” für die Wahlen 2020 anzubieten, erklärt Charity Elder, Head of Video and Audio bei Yahoo News.

Auch die Hotelkette Marriott entwickelt 5G-Inhalte mit Verizon Media, um das Reiseerlebnis zu verbessern. Insbesondere Vielreisende sollen im Rahmen des neuen Bonvoy-Treueprogramms profitieren, so Andy Kauffman, Senior VP, Global Marketing Optimization bei Marriott International. Nach der Fusion von Starwood und Marriott lautet das Motto weniger, dafür höherwertige Partnerschaften einzugehen, um das Engagement der Bonvoy-Mitglieder im Paid Media Bereich zu erhöhen.

Zwar glauben einige Experten, dass die Modernisierung von Netzwerken in bestehenden Gebäuden zu kostspielig sei, um die Einführung von 5G in der Touristik rentabel zu machen. Dennoch erwarten sie, dass die verbesserte Konnektivität gerade für Nutzer mit mehreren Connected Devices ein echter Pluspunkt sein wird.

Die InterContinental Hotelkette hat das nicht abgeschreckt: Im April hat sich das Unternehmen mit der chinesischen Telecom Shenzhen Telecom und dem Mobiltelefonhersteller Huawei zusammengetan, um das erste 5G-betriebene Hotel der Welt zu werden. Das InterContinental Shenzhen wird ein „immersives Unterhaltungserlebnis” mit Begrüßungsrobotern bieten, die Hotel- und Zielinformationen anbieten und Gäste ganz automatisch einchecken können. Außerdem stehen Gästen in den Hotelsuiten Virtual-Reality-Spiele, 4K-Streaming-Video und eine VR-Ruderanlage zur Verfügung.

Offene Einladung

Auch in der Medizinbranche bringt 5G echte Chancen. Eine Ericsson-Studie prognostiziert, dass Mobilfunkanbieter durch 5G bis 2026 in allen Bereichen von der Telemedizin bis zur Roboterchirurgie etwa 76 Milliarden Dollar umsetzen können, indem sie Patienten in abgelegenen Gebieten Zugang zur Spitzenversorgung anbieten können. Unternehmen arbeiten bereits an Wearables, die die Internet of Things-Technologie zur Überwachung von Patienten mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes und Herzerkrankungen einsetzen.

„5G ist eine offene Einladung bestehende Abläufe grundlegend zu überdenken”, sagte Dr. Christopher Morley, Mitbegründer von Medivis. Praxen, die auf digitale Patientenakten setzen, haben einen echten Wettbewerbsvorteil gegenüber Praxen, die sich seit 30 Jahren nicht verändert haben.“ Medivis setzt digitale Technologien ein, um medizinische Abbildungs- und Diagnosewerkzeuge mit einer AR-Technologieplattform für chirurgische Anwendungen zu optimieren.

Egal ob Edge Computing, Iot oder Künstliche Intelligenz: Erst durch 5G entwickeln digitale Innovationen ihr volles Potenzial, davon ist Katibeh überzeugt.

„Im Zusammenspiel können 5G und digitale Technologien den Einzelhandel verändern, autonome Fahrzeuge Realität werden lassen,, intelligente Fabriken bauen und das Gesundheitswesen revolutionieren”, so Katibeh. „5G wird die Gesellschaft in den kommenden Jahren prägen.”

Klar ist aber auch: CMOs und Marketer müssen sich voll auf diese Technologien einlassen und sie wirklich verstehen. Andernfalls büßen sie ihre Wettbewerbschancen gegenübr der Konkurrenz ein, denn Kunden fordern immer neue, spannende Erlebnisse.