6 Eigenschaften von gutem Design im digitalen Zeitalter
Gutes Design sieht einfach gut aus, oder? Heute muss gutes Design viel, viel mehr leisten. Stefan von Gagern beleuchtet wie vielfältig Design im digitalen Zeitalter ausfällt - und worauf es wirklich ankommt.
Wenn man von Design spricht, denken viele an die Optik. Design ist die Dekoration und macht den Spaßfaktor aus. Das ist zwar nicht falsch, doch in den letzten Jahren hat sich Design enorm verändert – auf vielen Ebenen.
Dennoch hat gutes Design immer ein klares Ziel. Ich hatte im Rahmen des Designfestivals Awwwards in Berlin die Gelegenheit mit Khoi Vinh, Principal Designer bei Adobe (CMO.com/DE gehört zu Adobe) über dieses Thema zu sprechen. Für Vinh ist die Rolle des Design simpel: „Früher hat es Dinge nur hübsch aussehen lassen, heute lässt es Dinge funktionieren, morgen macht es Dinge erst gut.“
Principal Designer Khoi Vinh war federführend bei der Entwicklung des UX-Design Tools Adobe XD.
Die folgende Liste zeigt, was Design im digitalen Zeitalter können muss – und was es richtig gut macht.
1) Digitales Design ist Multiscreen
Im digitalen Zeitalter geht es bei Kommunikations-Kampagnen selten nur noch um ein Plakat oder eine Broschüre. Vielmehr muss das Design auf einem Plakat, als animiertes Banner, Instagram-Story, Facebook-Post, Landing-Page und YouTube-Video funktionieren. Und weil gute Logos schon immer gezogen haben, müssen sie heute erst recht selbst als winziges Profilbild noch erkennbar sein. Denn heute kommen ihnen weit vielfältigere Aufgaben zu.
Das zeigt auch der Erfolg des Flat Designs. Während in den Frühzeiten der Smartphones noch Schatten und 3D-Buttons das User Interface dominierten – die Referenz zur realen Welt sollte dem Benutzer zeigen, wo er auf etwas drücken kann und wo nicht – herrscht heute dank Flat Design eine simple, hundert Prozent visuelle Sprache vor. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Flat Designs leichter auf verschiedene Bildschirmgrößen und Medien übertragen werden können, weil sie mit kontrastreichen Farben arbeiten und einfacher im Design sind.
2) Digitales Design verpackt Technologie
Im digitalen Zeitalter muss Design oft komplexe Technologie benutzbar machen. Hinter Apps stecken – für den User unsichtbar – Datenbanken, Algorithmen, Up- und Downloads. „Design kann Technologie in etwas verwandeln, das nicht quantifizierbar ist. Es kann Menschen emotional beeinflussen. Technologie alleine kann das nicht, man braucht die Ebene der User Experience, um Technik liebenswert zu machen,“ so Khoi Vinh.
3) Digitales Design ist Teamwork
Im digitalen Zeitalter geht es um weit mehr als nur um Dekoration. Im Webdesign zählen etwa maximal kurze Ladezeiten – und simple Farbflächen laden erheblich schneller als komplexe Hintergründe in Foto-Qualität. So beeinflussen technische Aspekte das Design.
Doch wie können Marken sicherstellen, dass alle wichtigen Komponenten und Aspekte in das Design einfließen? Denn Technologie und Marketing, Kommunikationsstrategie und Branding sind entscheidend. Die Lösung ist ein interdisziplinäres Team, in dem verschiedene Kompetenzen vertreten sind. Den ersten Entwurf macht auch heute oft noch ein UX-Designer. Doch in ein finales Screendesign für eine App oder einen Online-Shop fließen über Feedbackschleifen und Abstimmungsprozesse viele Kompetenzen ein. Oft sitzen die nicht einmal mehr Inhouse, sondern beim Kunden. „Ganz gleich, ob Sie Unterhaltungselektronik, medizinische Geräte, Enterprise-Webanwendungen oder neue Möglichkeiten zum Bezahlen im Supermarkt entwerfen: Die heutigen digital unterstützten Produkte und Dienstleistungen bieten großartige Möglichkeiten, überzeugende Benutzererlebnisse anzubieten. Damit einher gehen jedoch auch große Risiken, Ihre Kunden mit komplizierten Technologien verrückt zu machen,“ heißt es im Intro zu „Designing for the Digital Age“ von Kim Goodwin, das inoffiziell als die UX Design-Bibel gilt. „Die Entwicklung erfolgreicher Produkte und Dienstleistungen im digitalen Zeitalter erfordert ein multidisziplinäres Team mit Expertise in Interaktionsdesign, visuellem Design, Industriedesign und anderen Disziplinen“, heißt es dort weiter.
4) Digitales Design ist Nutzer-zentriert
Es klingt so offensichtlich, wird aber dennoch oft im Design-Prozess vergessen: Gutes Design heißt nicht, die Wünsche der Marketing-Abteilung umzusetzen. Im Zentrum sollte die Anwenderfreundlichkeit stehen: Wie können Produkt, App, Shop oder digitaler Service dem Nutzer bestmöglich dienen? Wenn der Buchungsprozess über eine Hotel-App zu umständlich ist, werden Kunden schnell eine andere wählen. Im Design-Prozess und in ewigen Abstimmungsschleifen darf dieses wichtige Grundprinzip nicht in Vergessenheit geraten. Sonst kommt am Ende etwas wenig zielführendes oder aufgeblähtes heraus.
Das beste Gegenmittel ist, vorab ein gutes Konzept zu erstellen. Vielleicht gibt es schon Erfahrungswerte oder sogar Daten, die verraten was bei der Zielgruppe ankommt. Eine Konkurrenzanalyse oder vergleichbarer Angebote sind ebenfalls hilfreich. Personas helfen zudem, die Zielgruppe zu visualisieren und ihre Wünsche in eine Strategie zu überführen.
Während des Design-Prozesses ist User-Testing sinnvoll. Das muss kein teurer Fokusgruppen-Test sein. Oft reicht es, einen Entwurf per Cloud oder E-Mail Link an ein paar Freunde oder Testpersonen zu verschicken und ihr Feedback einzuholen. So werden die grundsätzlichen Schwächen und Stolpersteine des Prototypen schnell sichtbar.
5) Digitales Design ist zukunftssicher
Gutes Design hat sich in der Vergangenheit schon oft als zeitlos erwiesen. Ein prominentes Beispiel sind die Entwürfe des Produktdesigners Dieter Rams von Braun. Bereits in den 50er Jahren formulierte er noch heute gültige Regeln wie „Gutes Design ist unaufdringlich“.
Digitales Design wird ständig erweitert. Waren vor ein paar Jahren noch Smartphone- oder Smart TV-Apps der letzte Schrei, sind es seit kurzem Apps für Voice-Assistenten und jetzt auch Multimodale Skills, die ein Gerät mit zusätzlichem Touchscreen wie den Echo Show unterstützen. Denn die Technik bleibt nie stehen und Designer müssen sich so auf immer neue Ausgabeformate einstellen.
Ein guter Style-Guide hilft hier mit Grundüberlegungen zu Farben, Größen und Branding. Mithilfe dieser konzeptionellen Vorüberlegungen wird auch das Design eines Chatbots für den Kundenservice einfacher, bei dem entschieden werden muss, mit welcher Persönlichkeit er auftritt.
Voice-Assistenten wie Amazons Echo Show kombinieren Touchscreen und Voice-Bedienung.
6) Digitales Design = User Experience Design
Wer Design allein auf eine Website, ein Produkt oder ein Ladengeschäft beschränkt, irrt. „Die Leute kaufen Erfahrungen, nicht Produkte,“ so Adobe CEO Shantanu Narayen. Es geht heute nicht darum ein Produkt oder ein User Interface zu gestalten, auch die Verpackung oder die Bedienung des Produkts, der freundliche Kundenservice, die schnelle Lieferung, die einfache Möglichkeit der Rückgabe gehören zur Gesamterfahrung, die es positiv zu gestalten gilt. Aber: Gutes Design ist der richtige Anfang. „Alle großartigen Kundenerlebnisse starten mit großartigem Design,“ so Narayen. „Und alles hat heute ein digitales Interface.“